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       # taz.de -- Clemens Schick übers Schwulsein: „Es sorgt für Irritation? Umso besser“
       
       > Schick spielt in dem Film „Praia do Futuro“ einen Mann, der sich in einen
       > Mann verliebt. Inzwischen hat er öffentlich gemacht, dass ihm das auch in
       > der Realität passiert.
       
   IMG Bild: Clemens Schick: „Es geht mir aber auch heute nicht darum, mein Privatleben von innen nach außen zu kehren.“
       
       taz: Herr Schick, Sie spielen in „Praia do Futuro“ Konrad, der sich in
       Brasilien nach dem Tod seines Freundes in den Rettungsschwimmer Donato
       verliebt. Ihnen ist dieser Film sehr wichtig. Wieso? 
       
       Clemens Schick: Zum einen war „Praia do Futuro“ die erste internationale
       Produktion, bei der ich eine so große Rolle gespielt habe. Dann haben wir
       sehr lange geprobt – zwei Monate. Das gibt es im Filmbusiness kaum, weil es
       nur funktioniert, wenn man dafür wenig bezahlt wird, wie bei „Praia do
       Futuro“. Und dann natürlich das Team. Als Schauspieler ist man davon
       abhängig, was der Regisseur in einem sieht und was er von einem will.
       
       Was wollte denn der Regisseur Karim Aïnouz von Ihnen? 
       
       Ich habe nicht groß mit ihm darüber gesprochen, wir haben anders
       kommuniziert. Aber er hat in mir was gesehen, was im Film noch niemand bei
       mir gesehen hatte. Und wollte von mir im Film etwas, was im Film noch
       niemand von mir wollte. Deshalb war ich auch so frei und konnte anders
       spielen, als ich es vielleicht bisher getan habe.
       
       Können Sie das konkreter fassen? 
       
       Das ist schwierig zu beschreiben. Die Kommunikation zwischen Schauspieler
       und Regisseur findet auf so vielen Ebenen statt, eine von vielen ist die
       nonverbale. Die ist fast feinstofflich. Auf jeden Fall hatte ich das
       Gefühl, dass die Kamera einfach da ist, wartet und geduldig ist. Es war
       kein Druck da. Obwohl Karim Aïnouz ein sehr fordernder Regisseur ist.
       
       Der Film wurde auf der Berlinale vorgestellt und schien einige zu
       irritieren … 
       
       … der Film beantwortet eben vieles nicht.
       
       Woher kommt dieses Bedürfnis vonseiten der Rezipienten und Kritiker, im
       Film alles erklärt haben zu wollen? 
       
       Ich kann das durchaus verstehen. Das Leben ist aber meiner Meinung nach
       meistens mehr als dieser Film. Ein großes Thema des Films ist Kommunikation
       oder Nichtkommunikation. Wie diese beiden Liebenden eben nicht miteinander
       kommunizieren. Ich finde das männlich.
       
       Das finden Sie männlich? 
       
       Die Form, wie die beiden nicht miteinander kommunizieren. Nicht, dass
       Männer nie miteinander kommunizieren, aber in diesem Fall finde ich das
       männlich.
       
       Haben Sie in „Praia do Futuro“ tatsächlich Ihre erste schwule Rolle? 
       
       So bewusst ja.
       
       Was meinen Sie damit? 
       
       Bewusst in dem Sinne, dass es im Film eine Rolle spielt, ohne dass es das
       bestimmende Thema ist.
       
       Die Frage der Homosexualität wird in „Praia do Futuro“ nicht thematisiert
       und nicht problematisiert. 
       
       Es ging nicht um die politische Situation von Homosexuellen in der heutigen
       Zeit, das war überhaupt nicht das Thema. Es geht um eine Beziehung. Es geht
       einfach um zwei Männer, die sich zueinander hingezogen gefühlt haben. Ab
       wann jemand schwul oder nicht schwul ist, ist auch noch einmal eine andere
       Frage. Sind die beiden schwul? Ich weiß es nicht. Genau das hat mich
       interessiert. Ich kannte „Madam Satã“ von Karim Aïnouz und habe gemerkt, da
       interessiert mich jemand, wie er mit diesem Thema umgeht.
       
       Und wie geht er mit diesem Thema um? 
       
       Ohne Klischees.
       
       Schafft das dann eine Identifikation für das Publikum – fern jeglicher
       Geschlechteridentitäten und sexueller Orientierung? 
       
       Das hat mich an dem Buch so interessiert – dass es eigentlich unerheblich
       ist.
       
       Sie selbst haben aber gerade beschlossen, den Medien zu sagen, dass Sie
       schwul sind. Zufall? 
       
       Der Moment der Premiere und dass ich es jetzt gesagt habe, das ist
       vielleicht Zufall.
       
       Dabei haben Sie doch eigentlich gar keine Lust auf Kategorien, aber es
       schien Ihnen ein Bedürfnis zu sein, es genau jetzt zu sagen. 
       
       Genau wie in dem Film, ist es eigentlich für mich unerheblich, dass ich
       schwul bin. Weil es aber so unerheblich für mich ist, habe ich keine Lust
       mehr, einen Bogen drum zu machen. In dem Ignorieren dieses Fakts vor mir
       selber gebe ich dem mehr Gewicht, als dass ich irgendwann sage, es ist mir
       egal. Und deswegen kann ich auch drüber reden.
       
       Warum diese Haltung gegen alle Labels? 
       
       Das interessiert mich einfach null. Ich habe gerade einfach nur für mich
       etwas verändert, und deswegen können wir jetzt auch anders über „Praia do
       Futuro“ reden.
       
       Hätten Sie früher anderes über so einen Film geredet? 
       
       Ich denke schon.
       
       Warum? 
       
       Weil ich einen bestimmten persönlichen Bezug zu der Rolle nicht erklären
       hätte können oder nicht erklärt hätte.
       
       Weil Sie Fragen dazu früher einfach nicht beantwortet haben? 
       
       Genau. Es geht mir aber auch heute nicht darum, mein Privatleben von innen
       nach außen zu kehren. Das finde ich total langweilig.
       
       Gleichzeitig geben Sie aber viel aus der Hand. Die mediale Reaktion können
       Sie jetzt nicht mehr steuern. 
       
       In dem, was und wie ich es gesagt habe, habe ich schon versucht, dem Ganzen
       eine Richtung zu geben, die ich haben wollte. Und mein Gefühl sagt mir,
       dass es auch gerade so aufgenommen wurde. Es wäre mein Wunsch, dass es
       keine Wichtigkeit mehr hat. Und dass ich als Mann, dem es so unwichtig ist,
       vielleicht mit ein paar Klischees aufräumen kann. Keine Ahnung, ob es zu
       hoch gegriffen ist.
       
       Als Schauspieler sollte es ja eigentlich keine Rolle spielen, weil ja jede
       Figur gespielt werden kann und soll. 
       
       Ich habe schon so viele unterschiedliche Sachen gemacht, ob im Film oder im
       Theater. Die Quelle, woher ich das nehme, ist nach wie vor die gleiche
       geblieben.
       
       Wäre es am Theater unproblematischer gewesen? 
       
       Da ist es überhaupt kein Thema. Es interessiert im Film, weil die
       Zuschauerzahl eine viel größere ist. Es interessiert die Leute gerade
       nicht, weil ich Schauspieler bin, sondern weil ich in der Öffentlichkeit
       stehe.
       
       Es interessiert aber auch die Leute, weil Sie sich vielleicht einen
       gewissen Typus aufgebaut haben – der kernige, etwas mysteriöse Mann. Und
       wenn dieses Gerüst vermeintlich zusammenbricht, löst es eben Irritationen
       aus. 
       
       Wenn es für Irritation sorgt, umso besser.
       
       Das machen Sie ja schon, wenn Sie im Interview mit den Zeitschriften Männer
       und Gala sagen, dass Sie sowohl Männer als auch Frauen lieben, aber schwul
       sind. 
       
       Ich will es ja niemanden einfach machen. Es geht am Ende um eine Neigung,
       das ist das Entscheidende. Es geht mir nicht darum, irgendetwas
       klarzustellen. Unser Leben ist so viel facetten- und nuancenreicher, als
       wir es vielleicht manchmal wünschen. Und zum Glück ist es das. Und da sind
       wir auch wieder bei „Praia do Futuro“. Das Leben, die Liebe ist oft nicht
       einfach zu zeigen.
       
       Sexszenen scheinen ein großes Thema um Ihre Person zu sein. In „Hotel
       Desire“ haben Sie im Film Sex, und die Kamera hält drauf. „Praia do Futuro“
       empfinden viele schon als explizit. 
       
       Immer wenn Schauspieler Sexszenen drehen, ist das ein großes Thema. „Hotel
       Desire“ ist ja auch nicht das gewöhnlichste Projekt, was man als
       Schauspieler macht. Ich habe Lust, erst einmal alles auszuprobieren und
       dann später zu sagen, weiß nicht, ob es ich noch mal machen würde.
       
       Gibt es nie die Erwähnung oder die Frage, ob die Rolle oder der Film der
       Karriere dienlich ist? 
       
       Wenn man den Luxus hat, seinem Instinkt folgen zu können und die Projekte
       zu machen, wo einen irgendwas anspricht und man so materiell frei ist, dann
       ist das ein großes Geschenk als Schauspieler. Frei zu sein, in anderen
       Ländern arbeiten zu können, mit anderen Regisseuren zu arbeiten, jetzt
       gerade in einer großen Hollywoodproduktion zu sein. Das sind alles so
       unterschiedliche Welten und so unterschiedliche Erfahrungen. Solange ich
       diesen Luxus leben kann, bin ich als Schauspieler glücklich.
       
       6 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Enrico Ippolito
       
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