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       # taz.de -- Europa-Spiele in Aserbaidschan: Im Reich des Überflusses
       
       > Erstmals wird es 2015 die Olympischen Spiele von Europa geben. In der
       > Petrodollardynastie Aserbaidschan. Wirklich glücklich ist damit fast
       > niemand.
       
   IMG Bild: Hier kämpfte sie noch für die Sommerspiele 2020: Mehriban Alijewa.
       
       Mehriban Alijewa freut sich schon. Sie ist die erste Frau im Staate
       Aserbaidschan, verheiratet mit dem Präsidenten Ilham Alijew. Fast
       wöchentlich lässt sie sich von ihrem Sportminister, Asad Rachimow, darüber
       informieren, wie es mit den Europaspielen vorangeht. Ob alles läuft beim
       Bau des neuen Nationalstadions in Baku und all der anderen kostspieligen
       Sporttempel. Es wird natürlich „großartig“ werden kommenden Juni,
       „fantastisch“ und „bahnbrechend“, wenn Frau Alijewa und ihre Familie dem
       großen, fernen Europa seine ersten Olympischen Kontinentalspiele schenken.
       
       Mehriban Alijewa repräsentiert das neue, das neureiche Aserbaidschan. Hier
       am Kaspischen Meer, Tausende Kilometer entfernt von Mitteleuropa, sprudelt
       das Öl, und riesige Gasvorkommen zapft man auch seit einigen Jahren an.
       Gelenkt wird das muslimische Land von den Alijews, quasi feudalistisch. Der
       erste Präsident von Aserbaidschan hieß gleichfalls Alijew, Heidar Alijew.
       Er war der Vater des jetzigen Präsidenten.
       
       Die Dynastie der Alijews hat so ziemlich alles im Griff: das Business, die
       Politik und den Sport. Im Nationalen Olympischen Komitee, NOK, sitzen
       gleich vier Alijews, das First Couple hat die Führung inne im Zirkel der
       Sportfunktionäre. Sportverrückt sei das Land, „multikulturell und offen“,
       versprechen die Alijews und verschweigen dabei, dass die Menschenrechte
       einen schweren Stand in Aserbaidschan haben und auch der Konflikt um
       Berg-Karabach, wo sich Armenier und Aserbaidschaner bekriegen,
       problematisch ist.
       
       Alles Mögliche hat in den vergangenen Jahren schon in Aserbaidschan
       stattgefunden, die U17-Weltmeisterschaft der Fußballfrauen, die WM der
       Sportgymnastinnen und die Radrundfahrt Tour de Azerbaijan. Künftig wird es
       sogar einen Formel-1-Grand-Prix geben, 2016 die Spiele der islamischen
       Solidarität und 2020 ein EM-Viertelfinale. Nur mit der Bewerbung um
       Olympische Spiele hat es bislang noch nicht geklappt.
       
       ## Wir kümmern uns um alles
       
       Doch der Hunger der Petrodynastie nach einem glitzernden Sportereignis ist
       groß, so groß, dass sie dem Europäischen Olympischen Komitee, EOC, ein
       Angebot machte, das es nicht ablehnen konnte: Wir kümmern uns in Baku um
       alles, auch um die Kosten für die Reisegruppen – und ihr gebt uns die
       ersten Europaspiele.
       
       Gesagt, getan. 2012 wurde das auf einer Sitzung des EOC in Rom beschlossen,
       mit 38:8 Stimmen und nicht einmal drei Jahre vor Beginn der Spiele. Das ist
       eine satte Mehrheit, aber sie verdeckt die massiven Vorbehalte, die es in
       der Welt des Sports gegen dieses Event gegeben hat. Das Ereignis sei
       überflüssig, erhöhe den Termindruck, kollidiere mit bestehenden Verträgen,
       hieß es vor allem in den Reihen der großen Verbände wie denen der
       Leichtathleten oder Schwimmer.
       
       Auch der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB, ist nicht gerade ein
       begeisterter Anhänger der Idee von den Europaspielen. Michael Vesper,
       Generaldirektor des Bundes, sagt der taz, dass die „Einwände innerhalb des
       DOSB ausgiebig und kritisch diskutiert“ worden seien. „Der DOSB zählte zu
       den europäischen Nationalen Olympischen Komitees, die zu Beginn recht
       skeptisch waren.“ Aber dann sei entschieden worden, „sich den Europaspielen
       nicht zu verweigern“.
       
       Die nichtolympischen Verbände sehen eine Chance darin, ihre Sportart
       voranzubringen, Sportarten wie Drei-gegen-drei-Basketball oder den
       paramilitärischen Kampfsport Sambo. „Zudem“, sagt Vesper, „war die
       internationale Ausgangslage klar: Es gab innerhalb von Europas
       Olympiakomitees eine klare Mehrheit für die Spiele, weshalb eine
       Mitgestaltung sinnvoller war als eine Verweigerung.“
       
       ## Politische Diskussionen nur am Rande
       
       Eine Diskussionen über die politische Lage in Aserbaidschan möchte der
       Sportbund nur am Rande führen. Grundsätzlich sei es nicht „zielführend“,
       Sportereignisse lediglich in Musterdemokratien nach westeuropäischem
       Vorbild auszurichten, sagt Vesper. „Aber zweifelsohne gibt es in
       Aserbaidschan Verhältnisse, die nicht unseren Standards entsprechen, das
       muss man kritisch sehen.“ Man habe mit „Reporter ohne Grenzen“ gesprochen
       und wolle das auch künftig tun.
       
       Nach den Europaspielen soll es eine Bewertung des eigentlich überflüssigen
       Sportevents geben. Vesper sagt, diese Evaluierung müsse man abwarten – und
       dann über die Zukunft der Spiele entscheiden. Doch es wird bereits eifrig
       für 2019 geplant. Einige Städte sind im Rennen wie Mersin und Istanbul,
       Amsterdam und Rotterdam, Sotschi und Kasan sowie verschiedene Städte in
       Polen. Mitte des kommenden Jahres soll über den Ausrichter entschieden
       werden.
       
       Clemens Prokop würde diese Vergabe wohl am liebsten abblasen. „Wenn heute
       weltweit sehr kontrovers der zunehmende Gigantismus und die entsprechende
       Kostenentwicklung von Sportgroßveranstaltungen kritisch und auch ablehnend
       diskutiert werden“, sagt der Präsident des deutschen
       Leichtathletikverbandes, „und wenn zunehmend weniger Länder bereit sind,
       diesem Weg zu folgen, dann ist eine zusätzliche Veranstaltung dieser Art
       durchaus zu hinterfragen.“
       
       Prokop, im Hauptberuf Direktor des Amtsgerichts Regensburg, sieht die
       Europaspiele „nach wie vor kritisch“. Denn: „Spitzenathleten in vielen
       Sportarten haben heute schon eine Wettkampfdichte an der Grenze der
       Verträglichkeit, und eine Ausweitung des Wettkampfkalenders verschärft
       dieses Problem.“
       
       ## Drittklassige Leichtathleten
       
       Hinzu komme, „dass Veranstaltungen des IOC oder EOC eine dramatische und
       existentiell bedrohende Reduzierung der Vermarktungsmöglichkeiten für die
       nationalen und internationalen Verbände“ nach sich zögen. Das heißt: Eine
       gut vermarktete EM bringt den Verbänden mehr als eine Teilnahme an
       Europaspielen, weswegen in Baku auch nur ein relativ unwichtiger
       Leichtathletik-Wettkampf stattfindet: Die dritte Liga der
       Team-Europameisterschaften darf ran, während die erste Liga im russischen
       Tscheboksary um Medaillen kämpft.
       
       „Wir haben nun mal Verträge mit Medienpartnern und Sponsoren geschlossen,
       und die halten wir ein“, sagt Christian Milz, Generalsekretär des
       europäischen Leichtathletikverbands EAA, „wir können nicht alles abblasen,
       nur weil es jetzt plötzlich die Europaspiele gibt. Das kam alles zu spät
       für uns.“ Dass überhaupt Leichtathleten in Baku an den Start gehen, liegt
       vermutlich an einem Deal, den beide Seiten geschlossen haben: Den Auftritt
       der Drittligisten erkaufte sich Aserbaidschan mit der Ausrichtung von zwei
       kleineren Leichtathletik-Events: der Qualifikation für die Jugendspiele in
       Nanjing und dem EAA-Kongress im Herbst in Baku.
       
       Bei den Schwimmern sieht es übrigens ähnlich aus. Man wird keine Topstars
       in Baku ins Becken hüpfen sehen, denn es finden nur Juniorenwettbewerbe
       statt. Fernsehverträge über Live-Übertragungen wurden bisher nur mit
       Ungarn, Rumänien, der Türkei und Belgien geschlossen. ARD und ZDF haben
       immerhin die European Broadcasting Union, EBU, beauftragt, Rechte zu
       erwerben. „Eine umfassende Live-Übertragung ist nicht geplant“, heißt es
       jedoch.
       
       Mehriban Alijewa, Trägerin des olympischen Exzellenz-Ordens, muss ihre
       Spielemacher also noch ein wenig antreiben, damit die schönen Bilder von
       Baku aus in die Welt transportiert werden. Aber die alterslose First Lady
       mit dem Jetset-Schmollmund tut ihr Bestes, neulich etwa bei den
       „Aserbaidschanischen Kulturtagen“ in Cannes, als sie drei Dutzend Franzosen
       bei einem Volkslauf schon mal für sich antreten ließ. Der Sieger darf zu
       den Europaspielen 2015 reisen. Der junge Mann schaute etwas unschlüssig
       drein, als ihm Frau Alijewa die Hand schüttelte.
       
       4 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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