URI: 
       # taz.de -- Schwul-lesbische Filmfestivals im Norden: Mutters neues Leben
       
       > Der Film „52 Tuesdays“ erzählt einfühlsam von einer 16-Jährigen, deren
       > Mutter eine Geschlechtsumwandlung durchmacht.
       
   IMG Bild: Wenn die Mutter ein zweiter Vater wird: Die 16-jährige Billie erlebt in "52 Tuesdays" die Geschlechtsumwandlung ihrer Mutter.
       
       BREMEN taz | Für lokale Filmfestivals ist gerade Hochsaison. Außer dem
       Filmfest Emden finden alle Veranstaltungen zwischen Anfang September und
       Mitte November statt. Nach Oldenburg und Hamburg kommen in den folgenden
       Wochen Osnabrück, Lübeck und Braunschweig.
       
       Noch enger aufeinander folgen in diesen Wochen die Queerfilmfeste in Bremen
       (7. bis 12. Oktober), Hamburg (14. bis 19. Oktober) und Hannover (19. bis
       25. Oktober). Diese Veranstaltungen stehen nicht in Konkurrenz zueinander,
       weil ihrer Zuschauerschaft weitgehend aus den örtlichen schwul/lesbischen
       Communities kommt. So hat sich über die Jahre eine enge Zusammenarbeit
       entwickelt und einige Filme werden auf allen drei Filmfesten gezeigt.
       
       Ein schönes Beispiel für diese Kooperation ist der australische Spielfilm
       „52 Tuesdays“ von Sophie Hyde, dessen Festivalkarriere im Januar auf dem
       Sundance Festival in Utah begann – dort gewann Sophie Hyde den Preis als
       beste Regisseurin im internationalen Wettbewerb. Im Februar lief ihr Film
       dann auf der Berlinale in der Rubrik Generation 14+ und wurde auch dort mit
       dem Hauptpreis, dem Kristall Bären ausgezeichnet.
       
       Nun ist es eher selten, dass ein Film zugleich für ein Programm für
       Jugendliche ausgewählt wurde und dann auf lesbisch/schwulen Filmfesten
       gezeigt wird. Diese thematische Bandbreite gehört zu den Qualitäten von „52
       Tuesdays“: In ihm wird zuerst einmal eine Coming-of-Age-Story erzählt. Die
       16-jährige Billie ist mitten in der Pubertät und von Grenzüberschreitungen
       fasziniert, bei denen sie versucht, zu erfahren, wie ein „authentisches
       Leben“ für sie aussehen könnte. Sie lebt in einer typischen
       Patchworkfamilie abwechselnd bei den geschiedenen Eltern, doch dieses
       Arrangement ändert sich in der ersten Szene des Films, wenn ihr Vater ihr
       offenbart, ihre Mutter wolle sie eine Zeitlang nicht mehr bei sich wohnen
       lassen, weil sie Zeit für sich selber brauche.
       
       Billie will sofort ihre Mutter zur Rede stellen, doch als sie wütend an der
       Tür des verschlossenen Badezimmers steht, öffnet ihr ihre Mutter in der
       Kleidung und mit dem Haarschnitt eines Mannes. Jane will künftig James
       genannt werden und hat sich entschieden, eine Geschlechtsumwandlung zu
       machen. Sie/Er vereinbart mit ihrer/seiner Tochter, dass die beiden sich
       das nächste Jahr über an jedem Dienstagnachmittag treffen. Diese 52
       Dienstage bilden dann die Struktur des Film.
       
       ## Zwei existentielle Verwandlungen
       
       In „52 Tuesdays“ wird von zwei existentiellen Verwandlungen erzählt: das
       Mädchen wird zur Frau und die Frau zum Mann. Beide werden im Film etwa
       gleichrangig behandelt, wobei die Entwicklung von Billie zwar viele
       Grenzüberschreitungen beinhaltet, aber dennoch vergleichsweise
       konventionell verläuft.
       
       Die verschiedenen Stadien einer Geschlechtsumwandlung werden detailliert
       und einfühlsam dargestellt. James wird von Del Herbert-Jane nicht gespielt,
       sondern verkörpert: DieseR LaiendarstellerIn ist transsexuell, die
       Geschichte der Verwandlung ist damit autobiografisch. Wenn aus Jane im
       Laufe des Films immer mehr James wird, dann ist das absolut glaubwürdig:
       Ihr Körper wird immer mehr zu seinem Körper, durch eine Hormonbehandlung
       entwickeln sich Muskeln und Körperbehaarung.
       
       Gezeigt wird auch, welche sozialen, gesundheitlichen, seelischen und
       behördlichen Hürden James auf seinem Weg, den er selbst „Transitioning“
       nennt, überwinden muss. Nach einer Zeit müssen die Hormoninjektionen
       abgebrochen werden, weil der Körper allergisch auf sie reagiert und für
       eine Brustamputation muss James nach San Francisco reisen, weil sie in
       Australien nicht erlaubt ist. Doch obwohl Billie gebeten wird, ihre „Mom“
       in Zukunft „Dad“ zu nennen, verändert sich das Verhältnis zwischen ihnen
       nur wenig.
       
       ## Sexuelle Experimente
       
       Für Billie sind diese Dienstage auch eine Gelegenheit, sich selber
       Freiräume zu schaffen. Sie belügt ihren Vater über die Länge der Besuche
       bei James und hat so nachts zwei Stunden, in denen sie mit neuen Freunden
       aus der Schule sexuelle Experimente macht, die sie mit einer Digitalkamera
       filmt. Diese Aufzeichnungen werden von den Eltern entdeckt und es
       entwickelt sich eine Krise, bei der es zumindest nach dem australischen
       Recht zu einer absurden Gesetzesübertretung kommt: Wenn dort eine
       Minderjährige Nacktfotos von sich an eine Freundin verschickt, kann dies
       als Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie bestraft werden.
       
       Auch James filmt seine Veränderungen mit einer Kamera und auf der Reise in
       die USA nimmt er Kontakt zu anderen Transsexuellen und deren
       Familienmitgliedern auf. So kann Sophie Hyde elegant und ohne Stilbrüche
       dokumentarisches Material in ihren Film integrieren. Auch die Filmaufnahmen
       von Billie sind ein stilistisch wichtiger Bestandteil des Films: Sie kann
       damit aus der Distanz das Geschehen kommentieren.
       
       „52 Tuesdays“ wurde tatsächlich an 52 chronologisch aufeinander folgenden
       Dienstagen gedreht. Dadurch wirkt der Film noch dokumentarischer, denn
       nicht nur James verändert sich in dieser Zeit radikal, sondern auch der von
       Tilda Cobham-Hervey mit einer sympathischen Sturheit gespielte Billie kann
       man dabei zusehen, wie sie langsam erwachsen wird.
       
       ## „52 Tuesdays“: 8. Oktober, 20.30 Uhr, City 46, Bremen; 17. Oktober, 18
       Uhr, Passage, Hamburg; 21. Oktober, 20 Uhr, Kino im Künstlerhaus, Hannover
       
       3 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
       ## TAGS
       
   DIR Queer
   DIR Schwul-Lesbisch
   DIR Filmfestival
   DIR Pfadfinder
   DIR Kuba
   DIR Homosexualität
   DIR Katar
   DIR Christopher Street Day (CSD)
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Homosexuellenrechte in den USA: Gleichheit mit Lücken
       
       In Utha dürfen Homosexuelle auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt nicht
       benachteiligt werden. Ausnahmen gelten für bestimmte Religionsgruppen und
       die Pfadfinder.
       
   DIR LSBT-Rechte in Kuba: Das Ende der Einstimmigkeit
       
       Ausgerechnet eine Castro hat die Tradition gebrochen: Die Nichte Fidels
       wagte es, bei einer Abstimmung im Parlament die Hand unten zu lassen.
       
   DIR Magazine für Homosexuelle: „Schwule leben anders, lieben anders“
       
       Früher Wichsvorlage und Infoquelle – heute Gratisheftchen oder pleite.
       Schwule Printmedien stecken in der Krise. Wieso eigentlich?
       
   DIR Ladyboy in Katar: Endlich Frau werden
       
       Zoe hat ein riskantes Geschäftsmodell: Um sich eine Geschlechtsumwandlung
       zu finanzieren, schafft der Ladyboy in Katar an und schläft mit Männern.
       
   DIR Queere Community in Berlin: CSD fährt Stonewall in die Parade
       
       Der CSD heißt auch wieder so: Die Veranstalter nehmen die Umbenennung in
       Stonewall-Parade zurück. Die Community bleibt gespalten und demonstriert
       getrennt.