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       # taz.de -- Ungarn gegen westliche Landpächter: Selbst Kleingärten werden enteignet
       
       > Ein neues Gesetz gibt Bauern Land zurück, das sie an Ausländer abgetreten
       > haben. Gültige Verträge werden entschädigungslos annulliert.
       
   IMG Bild: Auch der Anbau des (übrigens aus der Slowakei stammenden) Tokajer-Weins soll fest in ungarischer Hand sein.
       
       WIEN taz | Hannes Mosonyi staunte nicht schlecht, als am Wochenende ein
       Mähdrescher auf seinem Maisacker mit der Ernte begann. Er ging zur Polizei,
       aber seine Anzeige wurde wegen der hohen Schadenssumme – über 240.000 Euro
       – nicht angenommen. Die Staatsanwaltschaft in Tatabánya sei zuständig.
       Mosonyi muss jedoch fürchten, dass er die 900 Hektar große Landwirtschaft
       verliert, die er seit der Jahrhundertwende bearbeitet. Wahrscheinlich ohne
       jede Entschädigung.
       
       Denn: Der Bauer, der die Ernte einbringt, ist der Eigentümer des Ackers,
       für den er allerdings das Nutzungsrecht für 50 Jahre an Mosonyi abgetreten
       hat. Das wurde nun aber per Gesetz rückwirkend annulliert. Ernst Zimmerl,
       österreichischer Agrarattaché in Budapest, kümmert sich derzeit vor allem
       mit besorgten Landsleuten, die in Ungarn Land erworben haben.
       
       Hunderten Landwirten und Wohnungsbesitzern aus Deutschland, Österreich und
       anderen EU-Ländern, die in Westungarn leben oder arbeiten, wurden in den
       vergangenen Tagen Anfragen des Grundbuchamts zugestellt, ob die Nutzer mit
       dem Eigentümer nahe verwandt sind. Denn nur für diesen Fall findet das im
       Mai in Kraft getretene Gesetz keine Anwendung. Für über 99 Prozent der
       Fälle trifft das nicht zu, so Zimmerl. Ihr Nutzungsrecht wird aus dem
       Grundbuch getilgt.
       
       Seit 1994 können Ausländer Ackerland in Ungarn nur noch durch
       Umgehungsgeschäfte erwerben. Ungarische Rechtsanwälte warben für die damals
       legale Möglichkeit, einen langfristigen Nutzungs- oder Nießbrauchsvertrag
       abzuschließen. Laufzeiten von 99 Jahren oder auf Lebenszeit waren keine
       Seltenheit. Das Nutzungsrecht ist durch einen Eintrag im
       Bewirtschaftungsverzeichnis, einem Anhang des Grundbuchs, abgesichert.
       
       ## Rückwirkende Annulierung
       
       2002 wurde auch dieses Geschäft verboten. Bestehende Verträge blieben aber
       unangetastet. Das seit 1. Mai geltende Gesetz annulliert jetzt
       Nutzungsverträge rückwirkend. Kaum kommuniziert wurde, dass nicht nur Äcker
       betroffen sind, sondern selbst Kleingärten. Nach ungarischer Berechnung ist
       eine Million Hektar betroffen. In Österreich hält man diese Zahl für stark
       übertrieben.
       
       Österreichs Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter alarmierte wegen des
       Gesetzes bereits die EU-Kommission, die nun ein
       Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleiten will. Viktor Orbáns
       nationalistisches Gesetz macht ihn zu Hause jedoch populär. Denn für Leute,
       die bereits dafür bezahlt wurden, dass sie ihr Land abtraten, ist die
       Regelung wie ein Jackpot.
       
       Bauer Mosonyi hat sein Ackerland in Bakonysárkány, 35 Kilometer von der
       westungarischen Stadt Györ entfernt, von einer Gesellschaft, die das
       Nutzungsrecht besitzt, gepachtet. Letzte Woche, als er die Sonnenblumen
       erntete, erschien der ungarische Eigentümer mit der Polizei und wollte ihn
       stoppen. Die Polizei ließ sich aber vom bisher legalen Nutzungstitel
       überzeugen. Gegen die Selbstjustiz des Bauern, der jetzt den Mais erntet,
       ist Mosonyi jedoch machtlos.
       
       30 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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