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       # taz.de -- Proteste gegen S21: „Wir hätten anders geplant“
       
       > In den vergangenen Wochen kam Stück für Stück ans Licht, wie die Polizei
       > den schwarzen Donnerstag vor vier Jahren wahrgenommen hat.
       
   IMG Bild: Ein Wasserwerfer spritzt am 30.9.2010 auf Demonstranten – mit den bekannten fatalen Folgen.
       
       STUTTGART taz | Sie wollten einen Brennpunkt befrieden und schufen
       stattdessen einen neuen. Vier Jahre sind seit dem Polizeieinsatz mit mehr
       als 150 Verletzten vergangen. An diesem "schwarzen Donnerstag"
       protestierten Gegner des geplanten unterirdischen Hauptbahnhofs gegen
       Baumfällungen im Stuttgarter Schlossgarten. Vier Jahre, in denen die
       Bewegung laut geblieben ist, und die Polizei gemauert hat.
       
       Wie Polizisten den Einsatz wahrgenommen haben, berichten sie seit Juni als
       Zeugen vor dem Landgericht: Dort sind zwei Polizeieinsatzleiter wegen
       fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Auch im Untersuchungsausschuss
       „Schlossgarten II“ werden Einsatzdetails rekonstruiert. Und so langsam
       formt sich ein Muster.
       
       Die Planung beurteilen befragte Polizisten als schlecht. Die Polizei muss
       den Park absichern, damit Bäume zur Vorbereitung von S21-Bauarbeiten
       gefällt werden können. Mehrfach wird der Einsatzbeginn verschoben. Am
       Vorabend wird die Wasserwerferstaffel aus Biberach plötzlich mit vier statt
       wie geplant zwei Wasserwerfern angefordert. „Wir waren knapp besetzt“, sagt
       der Staffelführer (44). Bei der Lagebesprechung am Morgen wird nicht auf
       die Wasserwerferfahrer gewartet. Der Staffelführer erhält keine Funkgeräte
       für seine Mannschaft, wie es vereinbart war. Über die nahe Schülerdemo wird
       er nicht informiert.
       
       Ankunft im Park: „Viele Leute, wenig Polizei“, beschreibt der
       Wasserwerferstaffelführer seinen ersten Eindruck. Manche Polizisten sind in
       ihrer normalen Dienstuniform da, ein Zeichen, dass sie zum Führungsstab
       gehören. Viel mehr tragen einen grünen oder schwarzen Einsatzanzug, darüber
       eine Weste, Barett oder Helm. 13 Einsatzhundertschaften und die
       Wasserwerferstaffel.
       
       Vom Hauptbahnhof her strömt die Schülerdemo in den Park. Jugendliche
       besteigen den Gitter-Lkw. „Die waren gut drauf, da herrschte
       Partystimmung“, sagt der Staffelführer. Es gab eine Lautsprecher-Durchsage,
       den Wagen zu räumen. „Das hat alles nicht gefruchtet. Die haben uns
       ausgebuht, ausgelacht.“
       
       Dann habe sich die Situation zugespitzt. Vor allem weil die Leute auf den
       Wasserwerfer aufmerksam geworden seien und den Weg blockiert haben.
       „Mangels Personal haben wir erstmal den Gitter-Lkw geräumt und dann die
       Blockade vor den Wasserwerfern. Aber wir haben gemerkt: Man kommt ohne
       Zwang nicht weiter.“ Um 11.45 Uhr sagt ihm der Einsatzleiter: „Jetzt macht
       sie mal nass.“
       
       ## Von Schwerverletzten lange nichts gewusst
       
       Die Einsatzleiter hätten dadurch auf Rückzug gehofft. Sie hätten eine Panik
       verhindern wollen, kein zweites Duisburg produzieren, wo bei der Loveparade
       Menschen in einer Massenpanik gestorben sind, sagt der Verteidiger der
       angeklagten Einsatzleiter vor Gericht. Die Strategie geht nicht auf. „Durch
       das Wasser kamen immer mehr Leute“, sagt der Wasserwerferstaffelführer. Die
       Aggression nahm halbstündlich zu. „Meine Theorie: Auch weil ziemlich viel
       Pfefferspray benutzt werden musste.“
       
       Von Schwerverletzten habe man lange nichts gewusst, sagt der
       Führungsassistent des damaligen Polizeipräsidenten vor dem
       Untersuchungsausschuss. Dass das Bild von Dietrich Wagner mit den blutenden
       Augen an der Wand im Büro des Führungsstabs geklebt habe, sei ein Gerücht.
       „Das haben wir erst abends über die Medien mitbekommen. Da war es schon
       dunkel.“
       
       Im Schlosspark arbeitet der Wasserwerferstaffelführer bis 5 Uhr morgens,
       geht dann ins Hotel. Nach dem Aufwachen gegen 12 Uhr liest er
       Medienberichte. „Ich habe mich gefragt: War das ein anderer Einsatz? Ich
       habe von der Polizeikette gar nichts davon mitbekommen.“
       
       Nicht die Behörde, aber einzelne Polizisten äußern nun oft Bedauern. „Wir
       hatten die Lage ganz anders vorgesehen. Sonst hätten wir anders geplant“,
       sagt der Führungsassistent. Er spricht von einer „Verkettung vieler
       unglücklicher Umstände an dem Tag. Es tut mir leid, dass es so gekommen
       ist“.
       
       Für den damals schwerverletzten Dietrich Wagner verdichtet sich das Gefühl,
       dass der Einsatz hätte verhindert werden können. Er spricht von
       „Kadavergehorsam von jungen Beamten. Keiner hat aus Eigenverantwortung
       gesagt: Ich mach hier nicht mit.“
       
       28 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lena Müssigmann
       
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