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       # taz.de -- Grüne Bezirksbürgermeisterin in Berlin: Planlos durch Kreuzberg
       
       > Ein Spaziergang mit Monika Herrmann, die vor einem Jahr zur
       > Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg gewählt wurde.
       
   IMG Bild: Monika Herrmann bei einer Podiumsdiskussion im April
       
       BERLIN taz | Dass es ausgerechnet die Dealer sind, die an einem
       Freitagmorgen ein Lächeln für ihre Bezirksbürgermeisterin übrig haben,
       scheint Monika Herrmann zu belustigen. Die Männer, die am Ausgang des
       Görlitzer Parks Spalier stehen, grüßen freundlich: „Guten Morgen, Herrmann.
       Alles klar?“ Monika Herrmann nickt, lächelt – und geht zügig weiter. Eine
       kurze Begegnung nur – und doch illustriert sie, wie sich die seit einem
       Jahr amtierende Grüne Monika Herrmann sieht. In ihrer Funktion als
       Bürgermeisterin, in ihrem Kiez. Oder besser, in dem Teil des Bezirks, der
       die öffentliche Wahrnehmung prägt.
       
       Seit Monika Herrmann das grüne Bürgermeisteramt von ihrem Vorgänger Franz
       Schulz übernommen hat, kommt der südöstliche Teil von Kreuzberg aus den
       Schlagzeilen gar nicht mehr heraus: Drogendealer im Görlitzer Park,
       Flüchtlingsaktivisten und Marginalisierte, die öffentliche Orte besetzen.
       Der Kiez steht unter Druck wie kein anderer in Berlin: höchste
       Bevölkerungsdichte Berlins, erhöhte Arbeitslosenquote, massive
       Gentrifizierungsgefahr.
       
       Einige der Debatten um SO36 hat Monika Herrmann bewusst selbst initiiert.
       Etwa die Idee, im Görlitzer Park einen Coffeeshop zu eröffnen. Auch in die
       Tourismusdebatte hat sie sich zuletzt eingemischt, Benimmregeln für
       Berlinbesucher und Gummiüberzieher für Rollkoffer gefordert. Viel Häme hat
       es dafür gegeben, doch Herrmann bleibt dabei: Sie findet es richtig,
       Touristen für die Stadt zu sensibilisieren. Argumente führen, davon ist sie
       überzeugt, eher zum Ziel als Verbote: „Verbieten, das ist so gar nicht
       meins“, sagt sie beim Spaziergang durch SO36. Den Kiez also, den sie, wie
       es in der lokalen Presse bereits zu lesen war, zu einem Experimentierfeld
       für grüne Sonderwege machen will.
       
       Experimente – warum nicht? Sie habe eben, sagt die Bürgermeisterin,
       bestimmte politische Werte. Eine grüne Haltung, die sie sich, Realpolitik
       hin, Sachzwänge her, auch gar nicht abgewöhnen wolle. „Eine andere Politik
       ist möglich“, so könnte man ihr Credo in Abwandlung des Attac-Mottos
       zusammenfassen. Welche Ergebnisse an deren Ende stehen sollen? Einen Plan
       habe sie nicht, sagt sie. Und meint das keineswegs entschuldigend – es ist
       Teil ihres Konzepts.
       
       ## Posieren für's ZDF
       
       Ein Spaziergang mit der Regierenden Bürgermeisterin zwischen
       Oberbaumbrücke, Wrangelkiez, Görlitzer Park bis hin zur Markthalle Neun,
       gibt Einblick in ihr Politikverständnis – und in ihr persönliches
       Verhältnis zu dem Teil ihres Bezirks, der bundesweit als Synonym für
       „Kreuzberger Verhältnisse“ steht.
       
       Ein kühler Freitagmorgen um halb zehn. Monika Herrmann hat gerade für das
       ZDF am May-Ayim-Ufer posiert: Hinter ihr die Oberbaumbrücke, auf der
       anderen Uferseite die East Side Gallery mit ihren bunten Mauerresten. Vor
       dieser Kulisse hat sie wieder einmal über den ausufernden Tourismus in
       ihrem Bezirk gesprochen, über vollgepinkelte Hauseingänge, dröhnende
       Rollkoffer, betrunkene Hostelgäste. Zustände, denen sie den Kampf angesagt
       hat: Erst kürzlich hat ihr Bezirksamt die Neueröffnung einer Weinstube in
       der Grimmstraße untersagt – weil schon mehr als genug Gastronomie im Gebiet
       sei. Jetzt will sie erstmal eine rauchen, zusammen mit ihrem Pressesprecher
       Sascha Langenbach. „Aber nicht fotografieren, ja?“
       
       Schnellen Schrittes durchquert die Rathauschefin – schwarzer Anorak, Jeans,
       Turnschuhe – den Wrangelkiez. Die Straßenzüge rund um das Schlesische Tor
       haben sich in den letzten Jahren zur Ausgeh- und Amüsiermeile gewandelt, es
       gibt Ärger mit Ferienwohnungen und steigenden Mieten. Und dann ist da noch
       die zu diesem Zeitpunkt noch zugängliche Cuvrybrache, das illegale Camp auf
       einer Investorenbrache am Wasser, von den Medien bereits „Berlins Favela“
       genannt. Rund 150 Menschen leben dort ohne Wasser, Strom, Toiletten.
       
       ## Neun Tage Nervenkrieg
       
       Hineingehen will Monika Herrmann nicht. Aber sie findet: „Da muss bald mal
       was passieren.“ Der Eigentümer müsse Müll beseitigen und Ratten bekämpfen.
       Aber das reiche nicht. Die Stadt brauche ein Konzept für die Zeit nach der
       Räumung. „Aber glauben Sie, dass der Senat einen Plan hat für die
       Unterbringung von Leuten? Nicht die Spur!“ Sie schnaubt. Die Stadt müsse
       einen Umgang mit innerstädtischer Armut finden. Stattdessen tue
       CDU-Innensenator Henkel so, als seien die Menschen, die auf der Brache und
       am Görlitzer Park campierten, ein Kreuzberger Problem.
       
       Vor dem Haus ihres Baustadtrats Hans Panhoff sieht sich Herrmann wiederholt
       um – sie wolle sehen, ob der Polizeischutz noch da sei, sagt sie leise.
       Nachdem Panhoff im Juli die von Flüchtlingen besetzte
       Gerhart-Hauptmann-Schule räumen ließ – eine Aktion, von der Herrmann sich
       öffentlich distanzierte –, hatten er und Herrmann Morddrohungen erhalten.
       Die „neun Tage Nervenkrieg“ nach der Räumung sei die bisher härteste Zeit
       in ihrem Leben gewesen, gesteht Herrmann. Seit ein Journalist ihre
       Privatadresse getwittert habe, habe sie nicht zu Hause schlafen können und
       sei im Auto durch die Stadt gefahren worden. „Jetzt bin ich das erste Mal
       wieder zu Fuß in diesem Kiez unterwegs“, sagt sie. „Ein komisches Gefühl“.
       
       Die Räumung ist fast drei Monate her. Viele Anwohner des
       Reichenbergerkiezes, der tagelang von der Polizei abgeriegelt worden war,
       nehmen es Herrmann noch heute übel, dass sie so wenig vor Ort war. Als
       Wegducken empfanden das viele, auch die Medien. Jetzt erklärt sie: Man habe
       sie aus Sicherheitsgründen in den Innendienst verbannt. Sie sei trotzdem
       eingebunden gewesen in alle Entscheidungen. „Jeden Abend diskutierten wir
       bei mir bis spät in die Nacht.“
       
       ## Was ist geblieben?
       
       Die Situation in der Schule an der Ohlauer Straße ist nach wie vor
       ungeklärt: Rund 40 Besetzer sind noch im Gebäude, das rund um die Uhr von
       einem Sicherheitsdienst bewacht wird. Der ohnehin klamme Bezirk geht an
       diesen Kosten fast zugrunde, Finanzstadträtin Jana Borkamp musste unlängst
       die Haushaltssperre ausrufen. Auch für das „internationale
       Flüchtlingszentrum“ mit Wohngemeinschaften und Beratungsstellen, das
       Herrmann den Leuten versprochen hatte, ist kein Geld da. Das Landesamt für
       Gesundheit und Soziales (Lageso) soll jetzt als Träger mit einsteigen. WGs
       und Plätze für Illegalisierte wird es mit dem Lageso aber wohl nicht geben.
       Die Flüchtlinge sind unzufrieden, ein Unterstützer sagt am Telefon: „Jetzt
       machen sie aus der Schule ein Lager, das werden wir nicht hinnehmen.“ Fühlt
       er sich von Herrmann betrogen? „Ach, sie will uns eigentlich helfen, aber
       die Realität ist immer anders. Und Herrmann war schon länger nicht mehr in
       der Schule.“
       
       Was ist eigentlich geblieben vom grünen Versprechen, eine andere, humanere
       Flüchtlingspolitik zu versuchen? Und wie geht es jetzt weiter? Monika
       Herrmann wirkt ein wenig kleinlaut, als sie gesteht: „Wir Grünen haben das
       zu wenig von hinten her gedacht. Weder beim Oranienplatz, noch bei der
       Schule.“ Sie wirkt ehrlich ratlos – für eine Politikerin eigentlich ein
       No-Go. Aber Herrmann weigert sich, die Pose der souveränen Bürgermeisterin
       einzunehmen. Sie sagt keine Dinge, die sie nicht auch so meint. Und sie ist
       nicht der Typ, der Hände schüttelt, auf die Leute zugeht, um einen
       engagierten Eindruck zu machen. Zu den Sicherheitsmännern mit gelben
       Leuchtwesten, die das Gittertor zur Schule bewachen, bleibt sie auf
       Abstand, nickt nur knapp. Es ist ihr Pressesprecher, der mit den Männern
       plaudert, sich nach der Lage erkundigt. „Alles ruhig“, sagt ein Wachmann.
       
       Währenddessen bleiben ein paar Anwohner am Zaun stehen, lesen Aushänge,
       linsen missbilligend zu den Wachleuten. Herrmann würdigen sie keines
       Blickes. Auch sie unternimmt gar nicht den Versuch, hier irgendetwas zu
       kommentieren, zu erklären.
       
       Hat sich das Verhältnis der Bürgermeisterin zu den Anwohnern abgekühlt?
       „Ach, das sind die Kreuzberger, die tun halt immer so cool“, tut Herrmann
       die Reaktionen ab.
       
       Langenbachs Handy klingelt. Die Pfarrerin der gerade eben von Flüchtlingen
       besetzten Kirche am Mariannenplatz bittet um Unterstützung. Kleiner
       Abstecher zum Mariannenplatz, oder? Herrmann winkt ab. Sie wolle sich da
       nur blicken lassen, wenn sie den Leuten auch etwas anzubieten habe. Aber
       dazu müsse sie erst telefonieren. „Später.“ Sie wirkt jetzt genervt, will
       lieber auch mal über was Positives sprechen: „Wussten Sie, dass
       Friedrichshain-Kreuzberg der Bezirk mit der höchsten Dichte an
       Jugendhilfeeinrichtungen ist“?
       
       ## Jugendhilfe ist ihr Metier
       
       Jugendhilfe, darin kennt Herrmann sich aus. Von 2010 bis 2012 war sie
       Jugend- und Schulstadträtin des Bezirks. Kitas, Spielplätze,
       Familienförderung, das ist Herrmanns Metier. Hier hat sie Erfolge
       eingefahren. Schulschwänzerprojekte initiiert, Projekte mit cleverem
       Umschichten von Haushaltsmitteln gerettet. Noch heute loben sie Jugend-und
       Bildungseinrichtungen im Kiez. Franziska Giese, Sozialpädagogin im
       Jugendhaus Chip in der Reichenberger Straße schätzt sie als engagierte
       Fachfrau, die im Jugendhilfeausschuss kompetent auftrete. Und als
       unermüdliche Diplomatin, die langwierige Verhandlungsprozesse aushält –
       auch wenn sie lange dauerten. Dass Herrmann stets offen zugibt, wenn sie
       kein Geld oder keine Lösung anzubieten hat, findet sie „bewundernswert
       mutig“. Nur den Vorschlag mit dem Coffeeshop versteht sie nicht. Der sei
       undurchdacht. Und für die Jugendlichen im Kiez „nicht das günstigste
       Signal“.
       
       Am Eingang zum Görlitzer Park prallt Monika Herrmann fast mit einem
       Polizeibeamten zusammen, der sich Notizen macht. Neben ihm fährt im
       Schritttempo eine Polizeiwanne. Statt den Beamten anzusprechen, nickt
       Herrmann nur knapp – und geht vorbei, wie eine Passantin. Hat die
       Bürgermeisterin kein Interesse, ein paar Dinge zu dem Einsatz zu fragen?
       Nein, sagt Herrmann etwas trotzig. Polizeieinsätze seien keine Bezirkssache
       – das sei Henkels Beritt.
       
       Die Bürgermeisterin bleibt jetzt im Gebüsch stehen. Sie spricht über
       Verschönerungsmaßnahmen im Park, die der Bezirk durchgeführt hat: Neue
       Wege, bessere Beleuchtung, das neue Kronkorken-Mosaik, das die Ruine des
       Pamukkale-Brunnens ziert. Wo sind eigentlich an diesem Vormittag die
       Dealer? Nur ein paar von ihnen drücken sich zwischen den Büschen herum.
       Herrmann zuckt wieder mit den Schultern. „Da war wohl vor uns eine Razzia“,
       sagt sie.
       
       An Tagen, an denen es keine Razzia gibt, stehen die Dealer bis zur
       U-Bahnstation Görlitzer Bahnhof Spalier. Vorne am Hähnchenimbiss die
       Libanesen, weiter hinten die Afrikaner. Und mittendrin im Geschäft der
       Kinderbauernhof. Das selbstverwaltete Projekt existiert dort seit 1980.
       Seit einiger Zeit befinde man sich in einer „Belagerungssituation“, sagt
       die Leiterin Claudia Hiesl: Sechs bis acht Einbrüche in den letzten zwei
       Jahren, der Eingang zur Glogauer Straße dauerbelagert von Dealern, die bei
       Razzien versuchten, auf dem Gelände ihre Ware zu verstecken. Den
       langjährigen Kontakt zu Monika Herrmann bezeichnet Hiesl als „gut“.
       Trotzdem: „Wir sind hier mit Problemen konfrontiert, für die wir keine
       Lösung sehen“. Der Präventionsbeauftragte der Polizei habe ihr kürzlich
       „viel Glück“ gewünscht – Hiesl lacht bitter. Dass ein quasi rechtsfreier
       Raum von allen Autoritäten toleriert werde, sei für die Kinder „pädagogisch
       eine Katastrophe“. Das Projekt lässt sich jetzt von ehemaligen Kindern
       beschützen: Kräftige Jungs mit arabischem Hintergrund, die ehrenamtlich
       patrouillieren und Dealer vom Gelände verjagen.
       
       ## Aus dem Ruder gelaufen
       
       Am Görlitzer Park wird Monika Herrmann gemessen – auch wenn sie sich selbst
       lieber mehr Aufmerksamkeit für die neue Gebärdendolmetscherin im
       Bezirksparlament wünschen würde. Oder für den neuen Spielplatz der
       Kindernothilfe in Friedrichshain. Für das was gut läuft, wo sie selbst
       etwas gestalten kann. Trotzdem sind es immer wieder die Drogen, die
       Armutszuwanderung, die Touristen, die über Berlin hinaus Schlagzeilen
       machen. Und im Görlitzer Park, dieser immer überfüllten Graskuhle zwischen
       dem Wrangelkiez und der Wiener Straße, bündeln sich all diese Probleme.
       
       Manche Dinge – die Dealer, die am Park in ihren Autos campierenden
       Roma-Familien – habe man lange einfach laufen lassen, gibt Monika Herrmann
       zu. In der vergangenen Woche forderte das Jugendamt nun die Roma-Familien
       auf, eine Unterkunft für ihre Kinder zu suchen. Sollte dies nicht gelingen,
       so hieß es in dem Schreiben, wolle man die Kinder in Obhut nehmen.
       
       „Wir dachten, wir sind tolerant, das kriegen wir hin.“ Doch dann sei die
       Situation aus dem Ruder gelaufen. Bei den Dealern zeichnet sich bisher
       keine Veränderung der Lage ab. Dass Henkels Polizei auch wenig ausrichten
       konnte, scheint Herrmann in ihrem Credo zu bestärken: „Law and Order ist
       nicht die Lösung.“ Was aber dann? Herrmann erzählt vom Coffeeshop-Hearing
       mit Experten vorige Woche. Nett und informativ sei das gewesen, sie lobt
       die konstruktive Haltung vieler Anwohner, auch wenn sie das Projekt
       kritisch sähen, wie eine Mutter, die sich Sorgen um ihren drogenabhängigen
       Sohn machte. Sie wolle, betont sie, keinen Kiff-Tourismus am Görli. Eine
       Meldekarte könnte die Cannabisabgabe nur für über 18-Jährige mit Wohnsitz
       in Berlin garantieren. „Es wäre natürlich entlastend, wenn es auch in
       anderen Bundesländern klappen könnte mit legalen Abgabestellen“, sagt sie.
       Noch in diesem Jahr will sie den Genehmigungsantrag für die Coffeeshops
       beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einreichen.
       
       ## Mal was wagen
       
       Wahrscheinlich ist eine amtliche Genehmigung nicht. Auch hat Herrmann, die
       von sich sagt, sie habe noch nie gekifft, für diesen Vorstoß harte Kritik
       geerntet, sogar aus ihrer Partei. Antje Kapek, grüne Fraktionsvorsitzende
       im Abgeordnetenhaus und Kreuzbergerin, sagte öffentlich, sie halte von dem
       Projekt nichts. Dass die legale Abgabe von Cannabis den Drogenhandel im
       Görlitzer Park beseitigen könnte, ist selbst für wohlwollende Beobachter
       zweifelhaft: Schließlich werden dort auch jede Menge harte Drogen und
       Hehlerware gehandelt. Ein lukrativer Markt, an dem auch ohne Cannabis viele
       verdienen.
       
       Auch Herrmann weiß das. Man müsse halt auch mal etwas wagen, sagt sie: „Ich
       bin überzeugt, dass man in viele Richtungen denken muss, um Ergebnisse zu
       erreichen. Auch wenn es dauert.“ Diese radikale Grundüberzeugung, die
       Sturheit, die sie hinter scheinbarer Lockerheit versteckt, habe sie mit
       anderen Kreuzberger Grünen wie Dirk Behrendt oder Hans-Christian Ströbele
       gemeinsam. Manche nennen das grünen Fundamentalismus – wie ihre politischen
       Widersacher Frank Henkel und Klaus Wowereit, die ihr öffentlich fahrlässige
       Planlosigkeit vorwarfen. „Ich nenne es Haltung“, sagt Herrmann knapp.
       
       Die Kreuzberger Grünen gelten als besonders links, besonders grün. In
       diesem Kosmos ist Herrmann, die offen lesbisch lebt und sich politisch in
       Frauenprojekten sozialisiert hat, fest verwurzelt. Ihre Stammwählerschaft
       weiß zu schätzen, was sie leistet. Man schätzt ihre unverblümte Art, selbst
       ihr Eingeständnis, für viele Probleme keine Lösung zu haben. Wenn man rund
       ums Kottbusser Tor unterwegs ist, wo Herrmann von manchen „Monika“ genannt
       wird, hört man, sie sei „eine Gute“, die leider nur begrenzt ihre
       Vorstellungen durchsetzen könne – weil in der Regierung Betonköpfe säßen.
       „Sie ist absolut in Ordnung“, findet Ahmet Tuncer vom Mieterbündnis Kotti &
       Co., der vor dem Infostand steht. Zum Zweijährigen des Vereins sei sie da
       gewesen, habe praktische Tipps gegeben. Doch sei die Mietenexplosion nicht
       ihre Schuld. „Der Senat hat den Mieterschutz jahrzehntelang
       vernachlässigt“, sagt Tuncer.
       
       In ihrer Abneigung gegen die Politik der rot-schwarzen Koalition sind sich
       Wähler und Bürgermeisterin einig. Herrmanns schlechtes Verhältnis zu Klaus
       Wowereit ist legendär. Nie hat sie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den
       scheidenden Bürgermeister für inkompetent hält, seine Koalitionspartner von
       der CDU für indiskutabel, seine Partei für arrogant.
       
       ## Mit einem Augenzwinkern
       
       „Die SPD braucht einen Paradigmenwechsel, besonders im Umgang mit den
       Bezirken“, sagt die Grüne, als sie sich in der Markthalle Neun mit einem
       Milchkaffee niederlässt. Stadt von oben zu herrschen, müsse die SPD lernen,
       die Stadt von unten zu denken, doziert sie. Und wirkt einen Moment lang wie
       eine typische Politikerin. Im nächsten Moment lacht sie lautstark los,
       lässt ihrer Schadenfreude über den SPD-Mitgliederzuwachs nach Wowereits
       Rücktrittsankündigung freien Lauf. Und plaudert über die
       Nachfolgekandidaten. Jan Stöß sei ein „total netter Kerl“ – sie kennt den
       ehemaligen Kreuzberger Finanzstadtrat noch aus ihrer gemeinsamen Zeit im
       Bezirksamt. An Saleh bewundert sie, wie er sich in der Partei durchgebissen
       hat. Und Müller? Der könne Verwaltung. „Ich bin froh, dass ich nicht mit
       abstimmen muss“, schmunzelt sie. Endlich mal etwas, wofür sie nicht
       verantwortlich ist. Nicht mal indirekt.
       
       Im Ambiente der Markthalle Neun mit ihren regionalen Gourmetständen wirkt
       Herrmann gelöst. Es ist eine bürgerlich-grüne Umgebung, der sie mit einem
       Augenzwinkern begegnet. Mit Langenbach frotzelt sie genussvoll über
       handgestreichelte Schweine und laktosefreien Café Latte. Den Leuten, die
       aus der heruntergekommenen Halle einen Slowfood-Tempel gemacht haben,
       bringt sie Sympathie entgegen. Sie ist Schirmherrin des anstehenden
       „Festival für gutes Essen und gute Landwirtschaft“, spontan schaut sie im
       Büro des Marktleiters vorbei, vermittelt den Kontakt zur Kreuzberger
       Weinkönigin. Die Marktleute sind glücklich, Herrmann wirkt beschwingt.
       
       Auf dem Weg nach draußen erzählt sie von Kreuzberg 61, dem westlichen Teil
       Kreuzbergs, in dem sie mit ihrer Lebensgefährtin wohnt. Dort könne man ohne
       Reservierung nicht mehr essen gehen – immer mehr „ganz normale“ Leute aus
       dem Kiez zögen weg, der Mieten wegen. Sie selbst wohnt in einer
       Eigentumswohnung. „Ich bin durchaus privilegiert“, sagt sie.
       
       Bürgerliches Elternhaus in Neukölln, beide Eltern CDU-Politiker. Vielleicht
       hat Monika Herrmann von ihnen das Diskutieren gelernt, vielleicht den
       bürgerlichen Sinn für Anstand in der Auseinandersetzung. Der habe sie, wie
       sie beim Weg zu ihrem Fahrrad erzählt, davon abgehalten, sich als Studentin
       in Antifa-Gruppen zu engagieren. Empört erzählt sie von einer Veranstaltung
       zur Flüchtlingspolitik in diesem Jahr, wo sie von radikalen Unterstützern
       niedergebrüllt wurde und von Polizisten aus dem Raum eskortiert werden
       musste. „Bei aller Radikalität. Aber wenn Leute bestimmen wollen, wo ich
       sein darf, und was ich sagen darf, werde ich bockig.“
       
       28 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Apin
       
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