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       # taz.de -- Ein Tschüss an Antje Hermenau: Dann halt nicht
       
       > Antje Hermenau konnte Schwarz-Grün nicht durchsetzen. Sie war die
       > wichtigste Grüne des Ostens. Jetzt geht sie. Ein Abschiedstreffen.
       
   IMG Bild: Antje Hermenau bei den Landtagswahlen 2009
       
       Der Ministerpräsident von Sachsen führt im Dresdner Ständehaus just in
       diesem Moment Koalitionsgespräche, da betritt Antje Hermenau einen
       Kilometer entfernt ein Café. Blondes Haar, blaues Kleid, großes Lächeln.
       
       Am falschen Ort zur richtigen Zeit, liebe Frau Hermenau? 
       
       „Überhaupt nicht.“ 
       
       Zehn Jahre hat sie als Fraktionsvorsitzende dafür gearbeitet, die Grünen
       zunächst zurück ins Parlament und dann in die sächsische Regierung zu
       führen. Der Gestus war stets: Ich krieg das hin. Vermutlich ihr
       Lebensmotto. Aber das mit dem Regieren hat sie nicht hingekriegt.
       
       Wie waren die letzten zehn Jahre? 
       
       „Anstrengend“. 
       
       Sie wurde zuletzt öfter krank, einmal muss sie das Schlimmste befürchten,
       irgendwann denkt sie: „Mein Körper stößt diese Existenz ab.“ Nach der
       Absage des grünen Landesparteirats von Koalitionsverhandlungen mit dem
       Wahlsieger CDU hat sie Schluss gemacht. Am vergangenen Samstag endete ihre
       Rede auf dem Landesparteitag in Leipzig mit den Worten: „Lebt wohl!“
       Während selbst Vertraute noch rätselten, hatte sie bereits auf das
       Landtagsmandat verzichtet und an ihrem Wohnort Dresden ein Kleingewerbe
       angemeldet. Sie ist jetzt politische Beraterin.
       
       Hast du gekündigt?, fragte ihr achtjähriger Sohn. 
       
       Ja, sagte sie. 
       
       Gut, sagte er. 
       
       Hermenau ist Jahrgang 1964, der geburtenstärkste dieses Landes. 25 Jahre
       hat sie in der DDR gelebt, 25 in der Bundesrepublik. Gründungsmitglied von
       Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen. Sie kam 1990 in den Landtag und 1994 in
       Bonn in den Bundestag. Fachbereich: Geld. Damals saß sie schon in
       Lockerungsrunden mit CDU-Abgeordneten.
       
       Zu grünen Regierungszeiten in Berlin wurde sie von Vizekanzler Joschka
       Fischer im Privatissimum in gehobener Lautstärke geföhnt und danach vom
       Kollektiv abgestraft, weil ihre haushaltspolitischen Sparpositionen nicht
       zum rot-grünen Geldausgeben passten. 2004 flehte man sie an, zurück nach
       Dresden zu kommen, um die Partei neu aufzubauen. Sie stand bei 2,6 Prozent.
       Ergebnisse seither: 5,1, dann 6,4 und jetzt zuletzt 5,7 Prozent. Das
       grundsätzliche Problem im Osten: Die Funktion der Grünen ist den meisten
       unklar.
       
       ## Sie sei schuld an den 5,7 Prozent
       
       Hermenau nicht. Sie sah die Grünen bei dieser Wahl angesichts des
       Rechtsrucks im Bundesland und näherrückender Megaprobleme in einer
       „historischen Verantwortung“. Anders als in Thüringen gab es keine Chance
       für Rot-Rot-Grün. Es folgten die surrealen Grünen-typischen Verrenkungen,
       die man aus dem letzten Bundestagswahlkampf kennt. Man wolle die CDU
       ablösen, aber auch regieren. Nach der Wahl hieß es dann, schuld an den nur
       5,7 Prozent sei Hermenau. Sie habe durch ihre schwarz-grüne Präferenz die
       Rot-Grünen vergrätzt.
       
       Dem kann Hermenau viererlei entgegnen: Durch den desaströsen
       Bundestagswahlkampf stürzten auch Sachsens Grüne von den
       11-Prozent-Umfragen in eine Grube, die sie in Würdigung des Masterminds
       „Trittin-Loch“ nennt. Sie mussten von 4,9 Prozent bei der Bundestagswahl
       zurückkommen. Zweitens: Die Thüringer Grünen holten mit der Präferenz
       Rot-Rot-Grün auch genau 5,7 Prozent.
       
       Die SPD erreichte übrigens in beiden Ländern 12,4 Prozent. Drittens: Die
       interne Auseinandersetzung nach dem klassischen Muster (Moral und grüne
       Inhalte in Gefahr) wirkte auch diesmal nicht vertrauensbildend. Selbst die
       Chemnitzer Freie Presse tadelte es als „Grünen Holzweg“, in der
       „Oppositionsrolle besser schlafen“ können zu wollen.
       
       Eine große Mehrheit in Sondierungsgruppe und dem Rest der Partei meinte,
       dass die Differenzen zur CDU zu groß seien und gemeinsame, vorzeigbare
       Projekte fehlten, speziell ein Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle.
       Macht’s halt wieder die SPD. Die hat mit Braunkohle nie ein Problem. Soll
       sie doch, sagen die Grünen: „Aber wir können nicht daran beteiligt sein,
       dass nichts passiert.“ Das drückt vermutlich die Urangst dieser Partei aus.
       
       ## Sie hat zu Ende gedacht
       
       Das Frappante an Hermenau ist, dass sie in dem langen Gespräch an diesem
       Mittwoch nie „abrechnet“, wie man gern sagt. Es klingt vielmehr, als sorge
       sie sich um die Zukunft der Grünen.
       
       Hermenaus Nachteil war, dass sie wenig inhaltlich laviert, wie es für
       Politiker angeblich notwendig ist. Sie hat etwas zu Ende gedacht und
       Schlüsse daraus gezogen. Die anderen hatten den Eindruck, sie entscheide
       das meiste einfach und man könne dann nur hinterherrennen. Zudem konnte sie
       nie nachempfinden, worin das emotionale Problem mit der Union besteht.
       
       „Dieses Vibrieren, wenn das Wort Schwarz-Grün fällt, als sei das etwas
       Widernatürliches“, es blieb ihr stets unverständlich. Entsprechend
       kompliziert war der Umgang zwischen ihr und dem Protestmilieu, speziell dem
       Dresdner Kreisverband, den sie jetzt verlassen hat, um zu den Bautzenern zu
       wechseln.
       
       Sie war als Bürgerrechtlerin 1989 auf der Straße, mit Leuten aus der
       heutigen CDU, gegen die DDR und ihre Staatspartei, aus der die heutige
       Linkspartei wurde. Eine völlig andere Prägung, als sie West-Grüne haben und
       auch Teile der 1.375 Grünen-Mitglieder in Sachsen, für die die CDU jetzt
       die „Staatspartei“ ist, die man stürzen muss.
       
       ## Sie suchte das Verbindende
       
       Allerdings ist Sachsen konservativer als andere Länder, und diese CDU hat
       seit 1990 alle Wahlen gewonnen, weil sie das versteht. Hermenau suchte
       trotz der großen Differenzen das Verbindende und sah „die Modernisierung
       der CDU“ als Voraussetzung, um Sachsen modernisieren zu können.
       
       Aha, also doch wieder ein grünes Erziehungsprojekt? 
       
       Hermenau, lächelnd und blitzschnell: „Ne, ein Modernisierungsauftrag.“ 
       
       Sie war nie eine typische Grüne. Keine Bildungsbürgerinnenjugend mit
       Geigenunterricht, sondern im sozialistischen Leipzig als Arbeitertochter
       aufgewachsen. Harte Kindheit, Vater Alkoholiker. Furchtbare
       Schicksalsschläge. Bruder Freitod, Schwester Drogentod. Sie: zwei
       Hochschulabschlüsse, mit 30 im Bundestag. Mit 42 Mutter. Inzwischen
       alleinerziehend.
       
       Sie zog die Grünen mit ihrer Kraft und ihrer strategischen Intelligenz
       hoch, aber die anderen mussten damit auch zurechtkommen. Aus Hermenaus
       Sicht hat sie Geduld aufgebracht und Rücksicht genommen. Aus Sicht anderer
       machte sie ihr Ding.
       
       Selbstverständlich hat eine Reala mit linken Grünen im Kern Differenzen:
       Die von ihr entwickelte und mit der CDU durchgezogene Schuldenbremse ist
       für sie die Grundlage für nachhaltige Sozialpolitik. Im ökosozialen
       Verständnis ist Haushalt sanieren links, im klassisch-sozialen ganz und gar
       nicht.
       
       Dass Grüne die Ablehnung von Koalitionsgesprächen damit begründen, dass man
       zur „Ökofunktionspartei“ degradiert werden solle, findet sie ironisch.
       Ökopolitik ist für sie der Kern der Partei. Nicht als Umweltgedöns, sondern
       als Sozial- und Wirtschaftspolitik. Sie traut der Union die Entwicklung zu,
       SPD und Linkspartei nicht.
       
       ## Fidel, pointiert und klar
       
       Man muss immer argwöhnen, dass eine Politikerin, die ihr Ziel nicht
       erreicht hat und nach jahrelangem Hickhack nun die Parlamentspolitik
       aufgibt, seelisch angeschlagen ist. Dass sie nur von einem Plan spricht, um
       das zu vertuschen. Es deutet aber wenig darauf hin, zumindest zu diesem
       Zeitpunkt. Hermenau ist fidel, pointiert und klar.
       
       Sicher, nicht nur sie wollte nicht mehr Fraktionsvorsitzende sein, auch die
       anderen fanden, dass es reicht. Klar, wenn man kein gemeinsames Ziel hat.
       Sicher, sie wollte unbedingt als Ministerin in der Regierungsverantwortung
       zeigen, wie man sozialökologische Politik trotz Koalitionszwängen und
       Schuldenbremse machen kann. Was sie auf keinen Fall wollte: noch eine
       Wahlperiode den anderen beim Regieren zusehen.
       
       So ein Landtag ist ja auch nicht immer ein intellektuell inspirierender
       Ort. Sie hat jetzt einen Arbeitsplatz bei netten Menschen in einer
       Bürogemeinschaft. Sie will ein Buch schreiben. Nicht über die
       Vergangenheit, sondern darüber, wie Zukunft doch geht.
       
       28 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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