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       # taz.de -- Konvivialistisches Manifest: Zusammenleben für die Zukunft
       
       > In einem Manifest fordern 40 Intellektuelle – darunter Eva Illouz,
       > Chantal Mouffe und Eve Chiappello – Fürsorge und Maßhalten im globalen
       > Maßstab.
       
   IMG Bild: Das hieß noch nicht Konvivialismus, war aber auch so was: John Lennon und Yoko Ono 1968 beim „Bed in“ für den Frieden.
       
       Die romanischen Sprachen haben es in manchen Dingen leichter. Ein
       lateinischstämmiges Wort wie „convivialisme“ klingt dort viel weniger
       akademisch als im Deutschen, denn „conviver“, aus dem sich der Begriff
       herleitet, bedeutet im Französischen schlicht „zusammenleben“. Und um genau
       diese Frage geht es dem Konvivialismus, der auf eine Gruppe Intellektueller
       um den Pariser Soziologen Alain Caillé zurückgeht.
       
       Rund 40 Autoren und Autorinnen – darunter Eva Illouz, Chantal Mouffe, Edgar
       Morin oder Yann Moulier-Boutang, stehen hinter dem „konvivialistischen
       Manifest“, das jetzt als Büchlein erschienen ist. Mit ihrem Text bringen
       sie dringende Fragen auf den Punkt: „Wie mit der Rivalität und der Gewalt
       zwischen den Menschen umgehen? Wie sie dazu bewegen, zusammenzuarbeiten, um
       sich weiterzuentwickeln, wobei jeder das Beste von sich selbst gibt, sodass
       es möglich wird, einander zu widersprechen, ohne einander niederzumetzeln?
       Wie lässt sich die heute grenzenlose und potenziell selbstzerstörerische
       Anhäufung von Macht über Mensch und Natur verhindern?“
       
       Die Verfasser lassen keinen Zweifel daran, dass ihr Aufruf kein bloßer
       Denkanstoß sein soll, vielmehr geht es ihnen ums Ganze: „Ohne eine rasche
       Antwort auf diese Fragen wird die Menschheit untergehen.“ Da in der Politik
       nach wie vor ökonomischen Fragen der Vorrang gebühre und die natürlichen
       Ressourcen als prinzipiell unendlich behandelt würden, sei von dort aktuell
       wenig Hilfe zu erwarten. Demgegenüber stünden eine Vielzahl von
       Initiativen, die an einer Antwort im Sinne des Konvivialismus arbeiten: Von
       fairem Handel, lokalen Tauschsystemen über Wachstumsrücknahme bis zu den
       Indignados, Occupy Wall Street und den Care-Ethics gebe es zahlreiche
       Bewegungen des Maßhaltens. Deren Energien gelte es zu bündeln, um „der
       tödlichen Dynamik unserer Zeit mit hinreichender Kraft entgegenzuarbeiten“.
       
       Da der Text im weitesten Sinne ein Konsenspapier der beteiligten Denker
       ist, überrascht es nicht, dass die Analysen und Forderungen allgemein
       gehalten sind und mitunter sehr offensichtlich scheinen. Wenn eine der
       Grundannahmen etwa lautet: „Die einzige legitime Politik ist diejenige, die
       sich auf das Prinzip einer gemeinsamen Menschheit, einer gemeinsamen
       Sozialität, der Individuation und der Konfliktbeherrschung beruft“, klingt
       das zunächst einleuchtend, man fragt sich aber, wie die konkrete
       Ausgestaltung zu denken ist.
       
       ## Kein konkreter Entwurf
       
       Dieses Defizits sind sich die Autoren bewusst: „Die schwierigste Aufgabe,
       die dazu erfüllt werden muss, besteht darin, ein Bündel politischer,
       wirtschaftlicher und sozialer Maßnahmen vorzuschlagen, die es der
       größtmöglichen Zahl von Menschen ermöglichen, zu ermessen, was sie bei
       einer neuen konvivialistischen Ausgangssituation (einem New Deal) nicht nur
       mittel- oder langfristig, sondern sofort zu gewinnen haben. Schon morgen.“
       
       Auch wenn die Konvivialisten keinen konkreten Entwurf parat haben, kann man
       ihnen zugute halten, dass ihr Text ja kein Regierungsprogramm ist, sondern
       ein Manifest. Und dass sie mit ihren Anliegen in Politik und Wirtschaft auf
       Widerstand stoßen dürften, verschweigen die Autoren ebenso wenig. Man
       sollte das „konvivialistische Manifest“ daher in erster Linie als
       Hilfeschrei lesen. Ein Schrei allerdings, der die Vision einer besseren
       Zukunft zumindest andeutet.
       
       28 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tim Caspar Boehme
       
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