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       # taz.de -- Debatte Regierungskrise in Frankreich: Die Fehler von Hollande
       
       > Mit Ach und Krach hat die Regierung die Vertrauensabstimmung überstanden.
       > Doch der Präsident ist trotzdem politisch erledigt.
       
   IMG Bild: Es wird immer enger für François Hollande.
       
       Es ist noch mal gut gegangen. François Hollandes Ende August umgebildete
       Regierung hat die Vertrauensabstimmung mit 269 zu 244 Stimmen heil
       überstanden. Doch der Schein trügt. Aus Protest gegen den Kurs von Hollande
       und Premierminister Manuel Valls haben sich 31 Abgeordnete der
       sozialistischen Regierungspartei der Stimme enthalten. Hätten sie gegen
       Valls votiert, wäre die Regierung zu Fall gebracht worden. Das aber wollten
       sie verhindern.
       
       Die Sozialisten, die theoretisch über eine absolute Mehrheit in der
       Nationalversammlung verfügen, bleiben zerstritten. Von den Grünen und
       Kommunisten, die 2012 Hollandes Wahl ermöglicht hatten, bekam Valls keine
       einzige Stimme. Mit einer so schmalen Grundlage lässt sich kaum regieren.
       Bereits bei der Abstimmung über den Sparhaushalt für 2015 im Herbst müssen
       Valls und Hollande erneut zittern.
       
       François Holland befindet sich in einer auswegslos erscheinenden Situation.
       Was immer er zu unternehmen plant, wird von links und rechts als
       grundverkehrt und Schritt in die falsche Richtung kritisiert. 62 Prozent
       der Franzosen und Französinnen wünschen seinen Rücktritt vor dem Ende
       seines Mandats 2017. Und ständig wächst die Zahl der Wähler, die aus Wut
       oder Verzweiflung in der Rechtsextremistin Marine Le Pen die einzige
       Alternative sehen.
       
       ## Pakt mit den Bossen
       
       Was ist da bloß passiert? Der Sozialist Hollande hatte 2012 ein gute
       Wahlkampagne geführt und mit seinem 60-Punkte-Programm seinen konservativen
       Gegner und Vorgänger Nicolas Sarkozy in die Wüste geschickt. Auch
       entsprachen seine Wahlversprechen, die Allmacht der Finanz zu brechen und
       die Reichen vermehrt zu besteuern, den Herzenswünschen einer linken
       Wählerschaft weit über den Parti socialiste hinausreichte. Nach der Wahl
       aber beugte sich Hollande sehr schnell den angeblichen Sachzwängen. Er
       senkte die Kosten für die Unternehmer zulasten der gewerkschaftlichen
       Errungenschaften mit dem Hinweis auf eine angeschlagene
       Wettbewerbsfähigkeit.
       
       Damit nicht genug. Es folgten drei weitere kapitale Fehler. Hollande hat
       zweitens seinen Triumph nicht wirklich ausgekostet. Er hätte seinen am
       Boden liegenden Gegner politisch erledigen müssen. Er hätte detailliert
       auflisten müssen, in welch desolatem Zustand ihm die Rechte nach insgesamt
       17 Jahren Präsidentschaft von Chirac und Sarkozy das Land hinterlassen
       hatte. Nie wurden die Schulden so massiv angehäuft wie unter Sarkozy! Doch
       wie Frankreich 2012 dastand, ist heute längst vergessen. Hollande aber, der
       Konflikten gern aus dem Weg geht, wollte fair bleiben; dafür muss er jetzt
       die alten Rechnungen seiner Vorgänger begleichen.
       
       Der dritte Fehler ist ebenso typisch. Als guter Sozialdemokrat meinte
       Hollande, Politik werde mit schönen Ideen und realistischen Vorschlägen
       gemacht. Hätte er Lenin gelesen – aber das ist längst tabu –, wüsste er,
       dass Politik eine Frage von Macht und Kräfteverhältnissen ist. Nach seinem
       Wahlsieg in Frankreich glaubte er, seine Ideen für Europa und Frankreich
       würden auch in Berlin und Brüssel einleuchten.
       
       ## Keine Strategie gegen Merkel
       
       Sein Vorschlag, den Stabilitätspakt mit einem effektiven europäischen
       Wachstumsprogramm zu ergänzen, war richtig. Nur hatte Hollande keine
       Strategie, um Angela Merkels Widerstand zu brechen. Er hatte mit hohem
       Einsatz gepokert und keine Asse in der Hand. Also musste schnell und
       kleinlaut einlenken, weshalb sich seine Anhänger frustriert abwendeten. Da
       Hollande auch außerhalb Frankreichs als Alternative zur liberalen Politik
       begrüßt worden war, machte sich auch in diesen europäischen Ländern
       Enttäuschung breit. Denn offensichtlich wollte der französische Präsident
       keine offene Kraftprobe mit Merkel riskieren.
       
       Zu seiner Entlastung muss man sagen, dass er auch von seinen
       sozialdemokratischen Parteikollegen in der EU nur schwach unterstützt
       worden wäre.
       
       Falsch war es auch, darauf zu setzen, dass mit dem erhofften
       konjunkturellen Aufschwung schon bald alles (Wirtschaftswachstum,
       Arbeitslosigkeit, Verschuldung) ein bisschen wenig dramatisch aussehen
       werde und dass die Staatsführung diese Aufhellung als ihren politischen
       Erfolg verkaufen könne. Erneut hat er falsch gepokert: Der Aufschwung kam
       nicht, und die eingeleitete Sparpolitik bremste zusätzlich das geringe
       Wachstum.
       
       ## Private Schmierenkomödie
       
       Der vierte Fehler aber ist vielleicht am verhängnisvollsten und für einen
       Sozialisten unverzeihlich: Mit seinem „Pakt der Verantwortung“ hat Hollande
       sein Schicksal in die Hände der französischen Arbeitgeber gelegt. Diese
       kassieren die Abgabenerleichterungen (insgesamt 40 Milliarden), weigern
       sich aber mit zig Ausreden, konstant zu investieren und Leute zu
       beschäftigen, wie dies als Gegenleistung vorgesehen war. Eine solche
       Win-win-Politik hatten vor ihm schon andere Präsidenten und Regierungen
       versucht. Mit ebenso wenig vorzeigbaren Resultaten. Eine Partnerschaft mit
       den Bossen funktioniert nicht in Frankreich.
       
       Für die Franzosen und Französinnen geht es aber nicht mehr nur um die
       Linie, sondern auch um den Mann Hollande, dem sie die Führungsfähigkeit
       absprechen. Diese Vertrauenskrise hat bisher nicht gekannte Ausmaße
       angenommen. Und alle, die ja auch keinen Ausweg wissen, machen den
       Staatspräsidenten verantwortlich. Die delikate Situation seines Landes ist
       zu seinem persönlichen Problem geworden. Dies nicht zuletzt darum, weil er
       sich mit seinem Privatleben unnötig exponiert hat: Dass er neben seiner
       Beziehung zur offiziellen Partnerin Valérie Trierweiler eine Affäre mit der
       Schauspielerin Julie Gayet hatte, geht grundsätzlich seine Wähler nichts
       an. Die Art und Weise, wie der Streit und die Rache von Trierweiler nun in
       aller Öffentlichkeit ausgetragen wird, hat Hollande vor der ganzen Nation
       diskreditiert.
       
       Solche Schwächen darf der gewählte „Monarch“ der französischen Republik
       nicht zeigen. Seine Landsleute wären bereit, dem Präsidenten – wie zuvor
       seinen Vorgängern – viel zu verzeihen. Eines aber geht keinesfalls: dass
       sich ein Staatspräsident lächerlich macht.
       
       18 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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