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       # taz.de -- Debatte Männerpartei AfD: „Natürliche Geschlechterordnung“
       
       > Mit der AfD zieht der Antifeminismus in die Parlamente ein. Und die
       > Konservativen und Reaktionäre aller Parteien wittern Morgenluft.
       
   IMG Bild: Mit der AfD zieht der Antifeminismus nicht nur an die Urinale, sondern in die Parlamente
       
       Zuerst sollte es witzig sein. 2013 ließ die Jugendorgansiation der AfD, die
       „Junge Alternative“, auf Facebook Testimonials posten: „Ich brauche keinen
       Feminismus, weil“ – „eine Mutter genauso wertvoll ist wie eine
       Vorstandschefin“ oder „ich auch mal schwach sein möchte“.
       
       So banal wie uninteressant. Aber nun sitzt diese Partei im EU-Parlament und
       in drei Landtagen. Und ihr Feminismus-Bashing ist mittlerweile endemisch
       geworden. Mit der AfD ist der kämpferische Antifeminismus in der Demokratie
       angekommen.
       
       Die latente Abwehr einer Politik, die traditionelle Geschlechterrollen
       infrage stellt, ist dort wohlbekannt. Die FDP hat in falsch verstandenem
       Liberalismus die schlechtere Ausgangslage der Frauen in Beruf und Politik
       von jeher ignoriert.
       
       Die Union will es mit der Emanzipation keinesfalls übertreiben und bremst.
       Keine Quote, Betreuungsgeld, Ehegattensplitting – und das
       Gender-Mainstreaming, das Benachteiligungen, die ans Geschlecht anknüpfen,
       beseitigen will, wurde sanft diskreditiert und dann in den Tiefschlaf
       versenkt. Die AfD ist anders.
       
       „Gender-Wahn abschaffen“, lautet einer ihrer Schlachtrufe. Im Wahlprogramm
       zur Europawahl fordert die Partei die Abschaffung des Gender-Mainstreaming.
       
       ## Ein altes Leitbild
       
       Der Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, Björn Höcke, sagte der Thüringer
       Allgemeinen: „Schädliche, teure, steuerfinanzierte
       Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen
       Geschlechterordnung dienen, zum Beispiel das Gender-Mainstreaming, sind
       sofort zu beenden.“ Kinder sollten wieder „verstärkt in der Familie erzogen
       werden“: „Die klassische Familie ist wieder zum Leitbild zu erheben.“
       
       Und die wenigen Frauen in der Partei? Frauke Petry, die Spitzenkandidatin
       in Sachsen, nennt es „wünschenswert, dass eine normale deutsche Familie
       drei Kinder hat“, und spricht sich für ein Volksbegehren für eine
       Verschärfung des Paragrafen 218 aus. Die Spitzenkandidatin für die
       Europawahl, Beatrix von Storch, ist eine zentrale Figur im Konglomerat der
       „LebensschützerInnen“. Bei deren „Marsch für das Leben“ in Berlin 2013 war
       sie ganz vorn mit dabei.
       
       Der Soziologe Andreas Kemper hat sich ihre Aktivitäten für seine Studie
       über die AfD, „Keimzelle der Nation?“, genauer angesehen: Auch die
       europäische Bürgerinitiative „One of us“ initiierte von Storch mit ihrem
       Mann. Die Initiative wollte mit einer an die EU-Kommission gerichteten
       Petition – die von zwei Millionen BürgerInnen unterzeichnet wurde –
       erreichen, dass die EU keine „verbrauchende“ Embryonenforschung mehr
       unterstütze. Nebenbei wurde auch noch gefordert, dass
       Entwicklungshilfeprojekte, die Familienplanung betreiben, also auch
       Abtreibungen ermöglichen, nicht mehr unterstützt werden sollten. Die
       Kommission wies die Petition zurück.
       
       ## Gut lobbyiert
       
       Zugleich lobbyierte das Bündnis gegen den Estrela-Bericht, benannt nach der
       Verfasserin, einer Abgeordneten der Sozialdemokraten, der europaweit
       liberale Standards bei Reproduktionsmedizin, Abtreibung und Sexualerziehung
       einforderte. Der Frauen- und Gleichstellungsausschuss des Europaparlaments
       hatte den Bericht schon verabschiedet, doch das Lobbying trug mit dazu bei,
       dass das Parlament ihn ablehnte. Ähnlich wurde danach das „Lunacek-Papier“
       torpediert, das die Respektierung der Grundrechte für Homo- und Bisexuelle,
       Trans- und Intersexuelle (LSBTI) forderte.
       
       Auch gegen die Reform der Sexualerziehung in Baden-Württemberg machen
       Storch-Organisationen mobil. Man tritt für das „elterliche Erziehungsrecht“
       ein und gegen die „Umerziehung, die den Kindern das natürliche Familienbild
       von Vater, Mutter und Kindern austreibe. Kurz: Man ist gegen alles, was
       queer ist.
       
       ## Männer bestimmen die Agenda
       
       Ein Grund für die neue Hemmungslosigkeit: Die AfD ist eine Männerpartei.
       Gäbe es mehr Frauen, wären die FamilienhüterInnen nicht mehr unter sich,
       eine frauenpolitische Debatte würde sich entwickeln.
       
       So aber, so erzählt es Andreas Kemper, stellte die Parteispitze, der die
       Frauenpolitik der AfD zunächst offenkundig völlig gleichgültig war, den
       Mitgliedern bei der Aufstellung des Europaprogramms zur Wahl, ob man für
       oder gegen Gender-Mainstreaming sein wollte, ob man für oder gegen die
       Quote eintreten wolle: 82 Prozent der Mitglieder waren gegen
       Gender-Mainstreaming und 93 Prozent gegen die Quote. Bei der Bundestagswahl
       2013 scheiterte die AfD dann auch an den Wählerinnen – hätten nur Männer
       abstimmen dürfen, wäre sie über die Fünfprozenthürde gekommen.
       
       ## Die christliche Rechte obenauf
       
       Wie ist die Ankunft der AntifeministInnen im deutschen Parteiensystem zu
       bewerten? Muss man sich um eine rechte Männerpartei, die eine Weile auf
       einer Prostestwelle segelt, Gedanken machen? Man muss. Hier bündeln sich
       junge und alte Männer, die Angst um ihre Geschlechterprivilegien haben.
       Diese Gruppe verschwindet nicht einfach wieder, sie wird uns noch eine
       Weile begleiten. Auseinandersetzung tut not.
       
       Denn hier beginnt sich auch der „Lebensschutz“ zu parlamentarisieren.
       „LebensschützerInnen“ wurden in den letzten Jahren immer aggressiver. Diese
       Haltungen können sehr leicht ausstrahlen: Die Union wird sich genau
       ansehen, womit die AfD ihre WählerInnen geködert hat. Und die christliche
       Rechte, die sich da nun zum Teil in der AfD artikuliert (auch Herr Lucke
       ist bekennender Calvinist und Abtreibungsgegner), ist eine ihrer
       Stammklientelen. Bei welchem Thema wird die Union rechts blinken, um diese
       zurückzugewinnen? Der Schritt vom Gender-Totschweigen zum Gender-Bashing
       ist nicht allzu weit.
       
       Zumal mit Spiegel, Focus, FAZ und punktuell auch der Süddeutschen der
       Großteil der „bürgerlichen Presse“ bereits die Gender-Polemiken übernommen
       haben, die ihnen die Männerrechtler in der Jungen Freiheit vorgemacht
       haben.
       
       Gender-Forscherinnen werden im Internet diffamiert und bedroht. Es könnte
       also passieren, dass auf die Ankunft der Anti-Gender-Partei AfD der
       Todesstoß für diese Methode der Antidiskriminierung folgt. Wäre schade,
       wenn die deutsche Gesellschaft dieses Instrument verlöre, bevor sie es
       überhaupt kennenlernen konnte.
       
       17 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heide Oestreich
       
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