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       # taz.de -- Debatte Syrien und IS: Die Liebe zu den Waffen
       
       > Der „Islamische Staat“ ist zu besiegen – wenn Militärschläge, humanitäre
       > Hilfe und politische Lösungen endlich koordiniert werden.
       
   IMG Bild: Hunderttausend syrische Kinder warten darauf, wieder in die Schule gehen zu können
       
       Was kann man schon tun, die Lage ist doch viel zu unübersichtlich! Wie oft
       wurde dieses Argument im Falle Syriens ins Feld geführt – in der Politik,
       in den Redaktionen, zu Hause am Küchentisch. Die britische
       Hilfsorganisation [1][Oxfam] hat nun einen Bericht mit dem Titel [2][„A
       Faire Deal for Syrians“] vorgelegt, der die Versäumnisse der
       internationalen Gemeinschaft dokumentiert: „Reiche Länder geben zu wenig
       Geld für Nothilfe aus, sie nehmen zu wenige Flüchtlinge bei sich auf, und
       es gibt keine wirksamen Anstrengungen, um Waffenlieferungen an
       Konfliktparteien zu unterbinden.“
       
       Bislang wurden nur rund 40 Prozent der laut UN-Kalkulationen nötigen Gelder
       ausgezahlt. Daher musste etwa das World-Food-Programm seine Hilfe für
       syrische Flüchtlinge im Libanon im Oktober 2013 um 30 Prozent kürzen. Oxfam
       sah sich gezwungen, seine monetäre Hilfe für Flüchtlinge in Jordanien
       einzustellen. In der Folge dieses mangelnden finanziellen Engagements
       stiegen Hunger, Krankheiten, Kinderarbeit, Verheiratung von minderjährigen
       Mädchen sprunghaft an.
       
       Das zentrale Argument gegen Hilfe für Syriens Opposition oder auch
       Zivilbevölkerung war stets die Unterwanderung durch Islamisten. Doch manche
       Hilfsorganisationen haben gar keine so schlechten Erfahrungen mit den
       Islamisten gemacht.
       
       So sagte der Koordinator der Syrienhilfe Ton van Zutphen gegenüber der taz:
       „Wir arbeiten nicht in Regionen, die unter Kontrolle des Assad-Regimes
       stehen, sondern nur in Oppositionsgebieten unter der Kontrolle der Freien
       Syrischen Armee (FSA), der al-Qaida-nahen Islamisten von al-Nusra oder auch
       in Gebieten des Islamischen Staates.“ Bislang habe keine islamistische
       Gruppe versucht, auf die Verteilung von Hilfsgütern Einfluss zu nehmen.
       
       ## Die vorgeschobene Angst
       
       Zudem: Wie passt die Angst vor der unfreiwilligen Förderung des religiösen
       Fundamentalismus mit der Weigerung zusammen, zumindest die Nachbarländer
       Syriens angemessen dabei zu unterstützen, die Millionen von Flüchtlingen
       humanitär zu versorgen – zumal die Kinder, denen man sicher keine
       islamistische Agenda nachsagen kann?
       
       Es sei unangemessen, so wiederum Ton van Zutphen, die mediale Fokussierung
       auf das Leid der Kinder als Kitsch abzutun: „Es mag auch eine Strategie
       sein, aber vor allem beschreibt es die Wirklichkeit. Überall auf der Welt
       wollen Eltern, dass ihre Kinder zur Schule gehen können. Doch in der Türkei
       leben zwischen 300.000 bis 400.000 syrische Kinder, die keinen Zugang zu
       einer Schule haben. Das darf nicht so bleiben. Die Kinder müssen zumindest
       die Grundschulausbildung im Rahmen eines syrischen Curriculums abschließen
       können.“
       
       Auch der Libanon steht vor der Aufgabe, 172.000 syrische Kinder im Herbst
       einschulen zu sollen. Ähnliches gilt für Jordanien. Alle diese Länder
       leisten seit Beginn des Krieges in Syrien Flüchtlingshilfe im großen Stil.
       Doch angesichts der Millionen von Flüchtenden droht diesen ohnehin
       instabilen Gesellschaften nun der Kollaps. Um ihn zu verhindern, braucht es
       die Hilfe der Geberländer.
       
       Oxfam hat in der genannten Studie überschlagen, wie viel die reichen Länder
       gemessen an ihrer Wirtschaftskraft zur Verfügung stellen müssten – und wie
       viel sie tatsächlich zahlen. Kuwait liegt mit 1.003 Prozent einsam an der
       Spitze, gefolgt von Norwegen und Dänemark mit 212 beziehungsweise 163
       Prozent. Deutschland hat nur 66 Prozent bezahlt, Frankreich 33 Prozent und
       Russland glänzt mit 1 Prozent.
       
       In Syrien spielt sich unter den Augen der Weltöffentlichkeit die größte
       Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg ab. Von ehemals 22
       Millionen Syrern sind laut UN 6,5 Millionen innerhalb des Landes auf der
       Flucht, 3 Millionen gelang es, über die Grenzen zu kommen. Aktivisten gehen
       von deutlich höheren Zahlen aus. Auch, was die Toten angeht. Die UN spricht
       von 190.000, Aktivisten von 400.000.
       
       ## Zwei Feinde: Assad und IS
       
       Sicher ist, dass diese in der absoluten Mehrheit nicht vom „Islamischen
       Staat“ (IS) ermordet wurden, auf den sich nun die westliche Gemeinschaft
       als zentralen Feind konzentriert, sondern vom Assad-Regime, das seit 2012
       ununterbrochen Luftangriffe gegen die syrische Bevölkerung fliegt. Dank der
       massiven Unterstützung durch russische Waffen und iranische Kämpfer.
       
       Wer die weitere Radikalisierung und Chaotisierung der Region verhindern
       will, der sollte also akzeptieren, dass es zwei Feinde gibt: das
       Assad-Regime und die IS-Milizen. Beide müssen sowohl militärisch als auch
       politisch bekämpft werden.
       
       Im Irak haben die USA darauf gedrungen, den sektiererischen, brutalen und
       korrupten Präsidenten al-Maliki zum Rücktritt zu zwingen und so zumindest
       die Möglichkeit zu eröffnen, die marginalisierten Sunniten wieder an der
       Regierung zu beteiligen. Erst dann begannen die Luftangriffe gegen die
       IS-Milizen. Das Gleiche muss auch in Syrien passieren. Die USA müssen ihren
       Kampf gegen IS mit der Forderung nach Assads Abtritt verknüpfen.
       
       Er ist der Initiator und also das Gesicht einer beispiellosen Brutalität
       und Zerstörung des Landes. Kein Flüchtling wird zurückkehren und keine
       Verhandlung zwischen den verfeindeten Gruppen wird beginnen, solange Assad
       noch im Amt ist. Bislang ist davon nichts zu erkennen.
       
       Gleichzeitig müssen Hilfsorganisationen Zutritt zu den belagerten Gebieten
       und auch zu den Gefängnissen erhalten. Aktivisten sprechen von 200.000
       politischen Gefangenen. Diese Zahl ist unbestätigt. Doch Anfang des Jahres
       veröffentlichten CNN und der Guardian Fotos von 11.000 zu Tode gefolterten
       oder schlicht verhungerten Gefangenen, die auf ihre Weise die
       katastrophalen und vom Assad-Regime herbeigeführten Verhältnisse
       dokumentieren.
       
       Dass massive Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten stattfinden,
       relativiert weder diese Verbrechen noch Notwendigkeit, Assad zu entmachten,
       nicht.
       
       Und der syrische Diktator benötigt die Hilfe der USA. Alle Waffen aus
       Russland und soldatische Unterstützung durch den Iran haben ihn die
       Kontrolle über das Land nicht zurückgewinnen lassen. Mittlerweile stellt
       der IS eine ernsthafte Bedrohung für ihn dar. Entsprechend haben die USA
       mit ihren angekündigten Luftschlägen spätestens jetzt einen Hebel gegen ihn
       in der Hand.
       
       12 Sep 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.oxfam.org/en/research/fairer-deal-syrians
   DIR [2] http://www.oxfam.org/en/research/fairer-deal-syrians
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
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