URI: 
       # taz.de -- Computerspiel DayZ: Die wahren Zombies sind die Spieler
       
       > In DayZ gilt es, nach der Zombie-Apokalypse lange durchzuhalten.
       > Schwierig machen das Mitspieler, die nicht nur schießen – sondern auch
       > foltern.
       
   IMG Bild: Foltern gehört zum Alltag bei DayZ.
       
       Zwischen drei Männern mit Gasmasken, Macheten und Tarnklamotten kniet ein
       Gefangener am Boden. Er war auf der Suche nach Trinkwasser in dieses
       verlassene Dorf gekommen und wurde von den anderen überwältigt, die
       zwischen den verfallenen Backsteinhäusern in einem verwilderten Garten auf
       der Lauer lagen.
       
       Sie haben ihm Handschellen angelegt und die Beine gebrochen. Für ihn ist
       das Spiel gleich vorbei. „Who's your daddy?“, fragt ein Geiselnehmer und
       kichert ins Mikro, als hätte er versehentlich einen guten Witz gemacht. Er
       klingt schwer nach Stimmbruch, hat einen deutschen Akzent und spielt sein
       Folterprogramm routiniert ab. Das heißt: Klamotten ausziehen und gehorchen.
       „Schrei lauter, sonst knall ich dich ab", befielt er. Zehn Minuten später
       stirbt die Geisel dann auch ohne Kugel, weil ihr jemand eine Flasche
       Desinfektionsmittel in den Hals gegossen hat.
       
       Ziel des Computerspiels „DayZ“ ist es, nach einer Zombie-Apokalypse
       möglichst lange am Leben zu bleiben. Die Untoten sind dabei jedoch nicht
       das größte Problem. Der Folterknecht mit der Gasmaske hingegen ist extrem
       gefährlich und im doppelten Sinn ein Mensch: Im Spiel ein „Survivor“ und in
       der Echtwelt ein Jugendlicher am Computer. Auch, wer seine Demütigungen
       aushält, muss mit realen Konsequenzen umgehen: Wer tot ist, bleibt tot. Wer
       aber genug bettelt oder das richtige Angebot macht, wird vielleicht laufen
       gelassen und kann die Figur weiterspielen. Der Gegenüber tötet zum
       Selbstzweck, bekommt nicht einmal Punkte dafür.
       
       „DayZ“ ist eine Sandbox: Eine Spielumgebung, die außer dem Überleben kein
       Ziel vorgibt. Man schleicht um die Zombies herum und sucht in Ruinen nach
       Ausrüstung. Und Nahrung, denn Verhungern ist tatsächlich eine akute Gefahr:
       Wer in einer vermüllten Küche mit Dosenspaghetti in der Tasche tot zu Boden
       sackt, weil er keinen Öffner auftreiben konnte, lernt die Detailfreude von
       „DayZ“ kennen.
       
       ## Ausnahmezustand ist Krieg
       
       Meist ist man mit solchen Probleme allein: Maximal 40 SpielerInnen pro
       Server verteilen sich auf die 225 Quadratkilometer große Spielwelt
       Chernarus. Dieser „post-sowjetische Staat" wurde einem Stück Tschechiens im
       Detail nachempfunden und wirkt so extrem realistisch: Die bewaldete
       Hügellandschaft gibt dem Horrortrip eine realistische Bühne.
       
       Hat man die ersten Stunden überlebt, kann man mit einem Rucksack voller
       potenzieller Beute am eigenen Leib erfahren, was Handlungsfreiheit im
       Ausnahmezustand bedeutet. Hier in der Regel: Krieg. Zwei Stunden herum zu
       irren, um plötzlich von einem Scharfschützen aus dem Hinterhalt erschossen
       zu werden, ist für manche die erste und letzte „DayZ“-Erfahrung.
       
       Ansonsten heißt es, auszuprobieren, was im Spiel möglich ist. Lässt sich
       das Reh da hinten jagen und verspeisen? Ja, klappt. Und genauso kann man
       eben auch das Desinfektionsmittel statt zum Frischmachen von Bandagen dafür
       benutzen, Gefangene zu vergiften. Die Neugier hält das Spiel am Laufen.
       
       ## „Rape-Jokes sind vorprogrammiert“
       
       Was das bedeuten kann, berichtet ein breitschultriger Typ in Handschellen,
       der bis auf die graue Unterhose nackt an der Landstraße als Zombiefutter
       zurück gelassen wurde. Erst die Stimme verrät, dass hinter der maskulinen
       Figur eine Frau steckt. Weibliche Charaktere gibt es zwar auch, aber
       spielen wolle sie die nicht mehr. Denn wenn Geiselnehmer beim
       standardmäßigen Entkleiden ihrer Opfer auf das blaue Höschen mit weißen
       Sternchen stoßen, seien „Rape-Jokes vorprogrammiert", sagt sie.
       
       Doch die Bevölkerung von Chernarus besteht nicht nur aus Gewaltverbrechern
       und Opfern. Über zwei Millionen Zugänge hat der Hersteller „Bohemia
       Interactive“ gezählt, obwohl das Spiel noch gar nicht fertig, sondern noch
       in der Testphase, ist. In der Nähe des Hafens sind gerade ein paar Schweden
       unterwegs, die sich als Ordnungsmacht versuchen. Eine Gestalt mit
       Motorradhelm und Sturmgewehr verteilt Dosenthunfisch an Neuankömmlinge und
       klingt wie ein Prediger: „Seht ihr, so macht das hier doch viel mehr Spaß,
       als anderen das Spiel zu versauen.“
       
       Vielleicht war er es ja, der in seiner Kundenrezension auf der Plattform
       Steam schrieb, „ein Spiel wie „DayZ“ steht und fällt mit der Community“.
       Und die bestehe „zum größten Teil aus minderbemittelten Schießwütigen“.
       Aber vielleicht liegt ja gerade darin die traurige Wahrheit von „DayZ“.
       Denn bei einer echten Zombie-Apokalypse, müsste man es ja mit der gleichen
       Menschheit aushalten, die hier am Computer sitzt.
       
       9 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Zombies
   DIR Computerspiel
   DIR Folter
   DIR Protest
   DIR Polizei
   DIR Hacker
   DIR Blinde
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Plattform entfernt Vergewaltigungsspiel: Einfach so zum Spaß
       
       Im Videospiel „Rape Day“ können Spieler Frauen vergewaltigen. Nach
       Protesten hat die Plattform Steam es nun aus dem Programm genommen.
       
   DIR Computerspiel-Swatting als neuer Trend?: Wenn das Spiel zur Realität wird
       
       Gamer in den USA hetzen sich gegenseitig die Polizei auf den Hals, um zu
       gewinnen. Psychologen sehen darin eine bedenkliche Entwicklung.
       
   DIR Computerspielegucken mit Twitch: Schlimm, schlimm, schlimm
       
       Amazon hat für viel Geld eine Plattform gekauft, auf der Millionen Menschen
       anderen beim Zocken zusehen. Ein neues Untergangsszenario muss her.
       
   DIR Angriffe auf Spiele-Hersteller: Hack for Fun
       
       Chinesische Hacker haben sich in Gaming-Unternehmen gehackt. Anscheinend
       ging es ihnen nicht um finanziellen Gewinn, sondern nur um die Spiele.
       
   DIR Computerspiele für Blinde: Tschkk-Tschkk, Klick, Klick, Klick
       
       Erkin Simsek und Sebastian Dellit lieben Computerspiele. Sie sehen mit den
       Ohren – und hoffen auf mehr Unterstützung durch die Hersteller.