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       # taz.de -- Berlin Music Week: Musikzirkus, mittellos
       
       > Ist freiwilliges Kulturschaffen neoliberal? Wo hört die Liebe zur Musik
       > auf und fängt die Selbstausbeutung an? Bei der Berliner Musikwoche wird
       > diskutiert.
       
   IMG Bild: Wütender Charmebolzen: Dieter Meier von der Elektropop-Legende Yello.
       
       Ein Zirkuszelt ist aufgebaut neben dem Postbahnhof. Eigentlich sogar
       mehrere, man sieht die gelb-roten Dächer vom Eingang der Berliner
       Musik-Location aus; es ist ein Berliner Kinder- und Jugendzirkus, der dort
       die Zelte aufgeschlagen hat und nun gleich von der Berlin Music Week
       mitgenutzt wird.
       
       Nichts passt besser zu diesem Branchentreffen, das am Mittwochabend
       offiziell eröffnet wurde und dessen Konferenz an diesem sonnigen
       Donnerstagmorgen startet: Der Musikzirkus und die Branche ist in der Stadt,
       mit all seinen angenehmen und unangenehmen Begleiterscheinungen.
       
       Neben tollen Artisten und Artistinnen, die ab dem Abend die Bühnen
       bespielen sollen, gibt es ein umfangreiches Programm an Panels und
       Debatten. In dem mit „Word!“ betitelten Programmteil der Musikwoche geht es
       um das ökonomische Segment Musik, um Kulturmanagement und -politik sowie um
       die weiteren Auswirkungen der Digitalisierung des Musikmarkts.
       
       ## Zukunft mit Streaming?
       
       Schon beim Eröffnungsgespräch ist man mit dem Thema Musikstreaming sehr
       schnell bei einem wichtigen Zukunftsthema. Alle in der Runde, in der unter
       anderem Dieter Meier von der Elektropop-Legende Yello sitzt, sind sich
       einig, dass Streaming auch den hiesigen Markt zu weiten Teilen einnehmen
       wird.
       
       Auch wenn Meier die Formatveränderungen generell für „maßlos überschätzt“
       hält, fände er das Streaming an sich wunderbar. Einzig: „Es verdienen alle
       daran – nur der, der den Tisch macht, nicht.“ Vor allem beim Anbieter
       Spotify, so Meier, würden die Künstler mit den 0,003-Cent-Beträgen pro
       Track „beschissen“. Meier hofft, dass sich „Artisten verbünden und ihr
       eigenes Spotify kreieren“.
       
       Der Ex-Universal-Chef und jetzige Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner
       schließt in seinem Vortrag daran an, spricht von der Verantwortung der
       Marktteilnehmer – und von den eingeschränkten Möglichkeiten der Politik, zu
       intervenieren.
       
       In seiner Rede zieht er eine Parallele zwischen Berlin, deren
       Kreativwirtschaft und der Musikwirtschaft: Beide, Stadt wie Musikindustrie,
       seien „im Arsch“ gewesen und hätten sich auch dank kreativer Potenziale
       erholt – nun müsse man hier wie dort schauen, dass die, die diese
       ermöglichten, nicht leer ausgingen.
       
       ## Selbstbestimmt arbeiten
       
       Spannend sind am weiteren Vormittag die Panels zum Wandel des
       Do-it-yourself-Prinzips, dem aus dem Punk kommenden Gedanken der
       selbstorganisierten Kulturarbeit. Der Blick auf D.I.Y., wie „Do it
       yourself“ in der Szene gern abgekürzt wird, habe sich inzwischen geändert,
       kann man schon dem Titel der Diskussion – „In D.I.Y.-Strukturen
       professionell arbeiten“ – entnehmen.
       
       „Ich habe das Gefühl, D.I.Y. entwickelt sich in eine Richtung, dass sie als
       neoliberale Strategie zur Selbstoptimierung verstanden wird“, sagt
       Sebastian Hoffmann, langjähriger Booker und heutiger Berater des Music Pool
       Berlin, „dem möchte ich doch vehement widersprechen.“
       
       Es gehe ihnen bei D.I.Y., so bestätigen auch die Nachredner, doch
       eigentlich zunächst einmal um freiwilliges Kulturschaffen, das man gerne
       macht und das sich auch als politisch versteht – und das idealerweise zum
       Beruf wird.
       
       „Für mich ist es wichtig, selbstbestimmt zu arbeiten“, sagt Lars Lewerenz,
       Betreiber des Hamburger Audiolith-Labels. „Mach einfach, worauf du Bock
       hast und glaub an deine Utopien und Visionen“, sei sein Credo bis heute –
       das bedeute auch, anders zu denken als die Majorlabels und kommerzielle
       Interessen eher als nachrangig anzusehen.
       
       ## Prekäre Idealisten
       
       Mit Labelarbeit aus Idealismus beschäftigt sich auch das Panel „Label 3.0“,
       das thematisiert, wie kleine Plattenfirmen heute arbeiten und
       funktionieren. Auch hier sitzen Labelmacher, für die die Musik nicht eine
       Ware wie jede andere ist. „Die Liebe zur Musik war bei uns der Grund, das
       Label zu gründen“, sagt Andreas Gutjahr vom Hamburger Our Label Records,
       mit dem er beharrlich weiterhin vor allem Vinyl-Singles aus dem Genre Funk
       veröffentlicht. Die Labelmacher in der Runde berichten, dass Rand- und
       Nischenlabels heute nur funktionieren, wenn man sie nicht hauptberuflich
       betreibt.
       
       Crowdfunding, die so sehr gehypte Methode des Geldeintreibens, sei dabei
       sicher kein Universalkonzept, sagt Petra Husemann-Renner von Motor Music,
       die auch in der Runde sitzt. „Crowdfunding kann ja nur funktionieren, wenn
       man schon eine Fangemeinde hat“, sagt sie. An der Konstellation der Runde,
       bei der Kleinstlabelbetreiber neben der Motor-Chefin sitzen, zeigt sich
       dabei auch, wie groß die Palette an Labels heute ist, von denen wir
       sprechen, wenn wir von Indie sprechen.
       
       5 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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