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       # taz.de -- Kolumne Blicke: Idylle ist schwer zu halten
       
       > Dumme Menschen, depperte Hunde und ohne gewienerte Schuhe ist man
       > weiterhin gar nicht vorhanden: München bleibt sich treu. Wenigstens das.
       
   IMG Bild: Weiß-blaue Idylle ohne störende Lebewesen
       
       „Dummer Hund“, sagt der Rentner auf dem Rad. „Dummer Mensch“, erwidert der
       Rentner im beigen Trenchcoat. Wir befinden uns in einer der reichsten
       Regionen des Erdballs – mal sehen, wie hier Konflikte gelöst werden.
       
       Der Rentner auf dem Rad, der wegen eines freilaufenden kleinen Hundes
       selbstverständlich keinerlei Anstalten gemacht hat, das Tempo zu
       verringern, bis er im allerletzten Moment dann doch noch scharf abbremst:
       Dieser Mensch kann es nicht auf sich sitzen lassen, als „dummer Mensch“
       betitelt worden zu sein. Er zieht eine tattrige Kurve, bis er vor dem
       Herrchen halt macht:
       
       „Sagen Sie das noch mal!“
       
       „Dummer Mensch!“
       
       „Dummer Hund!“
       
       „Dann haben wir die Standpunkte ja ausgetauscht.“
       
       Der Rentner auf dem Rad fährt nun weiter. Der Hunderentner in Beige lächelt
       mir zustimmungsheischend zu. Ich sage: „Grins mich nicht so debil an, du
       Hundenazi. Du hast Leinenzwang, er ist Geradeausfahr-SS. Ihr vergebt euch
       nichts. Wenn nicht mal ihr es hier schafft, euch entgegenzukommen, wie soll
       es in der Ostukraine funktionieren?“
       
       Der Mann sieht mich lobotomiert an, sein Wasti jault auf und versteckt sich
       im Gebüsch. Im Münchner Norden darf man nicht zimperlich sein. Es ist die
       einzige Gegend der Welt, wo man mit einem entzückenden Kleinkind um den
       Bauch geschnallt ausschließlich hasserfüllte Blicke erntet.
       
       Und doch kann es schön sein im Sanatorium, wenn die Insassen auf
       Betriebsausflug oder ruhiggestellt sind. Rund ums „Bamberger Haus“ im
       Luitpoldpark ist es so still, das Trapsen der Taubenkrallen auf dem Kies
       ist schon laut.
       
       ## Baby schreit wie Pfau
       
       Dann schreit oben auf der Terrasse ein fremdes Baby wie ein Pfau. Die
       Kastanien sind gleichzeitig erhaben und bodenständig. Aus der Küche riecht
       es nach Schweinsbraten. Erst später dröhnt sehr weit im Hintergrund eine
       Baumaschine, die einen neuen Appartementkomplex hinklotzt, wo früher noch
       eine Gärtnerei war oder eine Tennisanlage. Idylle ist schwer zu halten.
       
       Die neue Münchner Abendzeitung, die jetzt aus Straubing kommt, titelt
       nationalzeitungsmäßig: „Jetzt betteln sie an Ampeln – Ob das erlaubt ist
       und wie die Münchner Polizei auf die Masche reagiert“. Den, der das
       verbrochen hat, möchte man eine Woche lang am Kreuzberger Kottbusser Tor im
       Kreis fahren lassen, dann weiß er, wie schmutzige Wäsche gewaschen wird.
       
       Ich aber glaube an das Positive, trinke mein Weißbier aus und denke zurück
       an eine sommerliche Radfahrt durch Schwabing ins Zentrum, vor zwanzig
       Jahren, als München leuchtete und schmeckte und roch und ich zum Aids-Test
       fuhr und nicht sterben wollte, nicht jetzt, nicht in dieser Schönheit.
       
       Am Abend standen wir dann vor dem „Türkenhof“, drei vom Leben gezeichnete
       Männer, und ein anderer, der Krebs hat und nicht mehr lang leben wird und
       ein berühmter Musiker war und auf seinen schluffigen Spezi einredet, der
       nimmt uns als Beispiel und sagt, schau dir die an, das sind
       Persönlichkeiten, schau sie dir an, schau dir die Schuhe an, alle haben
       gute, geputzte Schuhe. Und da hatte er verdammt recht.
       
       4 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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