URI: 
       # taz.de -- Krieg in Afghanistan: Die Taliban sind zum Sturm bereit
       
       > Fünf Jahre nach dem Luftschlag, den Bundeswehr-Oberst Klein anordnete,
       > stehen die Taliban nun vor den Toren von Kundus.
       
   IMG Bild: Spurensicherung nach einem Bombenanschlag in Kundus Anfang September 2014.
       
       BERLIN taz | Kurz geisterte vor einer Woche die Falschnachricht von Fall
       der Stadt Kundus durch die Medien. Das wäre der größte militärische Erfolg
       der Taliban seit dem Sturz ihres Regimes im November 2001 gewesen. Doch die
       Realität in der wichtigsten Provinz des afghanischen Nordostens sieht nicht
       viel besser aus.
       
       Fünf Jahre nach dem vom Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeordneten
       folgenschweren Luftschlag gegen vermeintliche Aufständische nahe der
       Großstadt, die bis Oktober 2013 ein deutsches Provinzaufbauteam aus
       militärischem und zivilem Personal beherbergte, stehen die Taliban wieder
       vor deren Toren.
       
       Erst vor zwei Wochen raffte sich die afghanische Armee zu einer
       Gegenoffensive auf. Dafür erbat sie sogar Luftschläge der Nato-geführten
       Isaf-Truppen. Solche Luftangriffe hatte der scheidende Präsident Hamid
       Karsai eigentlich untersagt.
       
       In fünf der sieben Distrikte der Provinz erzielten die Taliban über die
       vergangenen Monate erhebliche Geländegewinne und rückten auf deren
       Hauptorte vor. Deren Fall will die Regierung um fast jeden Preis
       verhindern, wie die vor Ort ansässige Analystin Lola Cecchinel berichtet.
       Zwei Distrikte beherrschen die Taliban fast vollständig. Im entlegeneren
       Dascht-e Artschi kontrolliert die Regierung noch den gleichnamigen Hauptort
       sowie ein einziges Dorf. In Tschahrdara gleich außerhalb der
       Provinzhauptstadt war sie zeitweilig sogar auf das befestigte Distrikt- und
       Polizeihauptquartier zurückgedrängt worden.
       
       Am 13. August hissten die Taliban symbolträchtig ihre Flagge auf einem
       Polizeiposten, der vor einem Jahr noch von der Bundeswehr mitgenutzt wurde.
       Die Distrikte Imam Sahib und Kala-je Sal werden nur von regierungstreuen
       Milizen gehalten, die dort Drogentransitrouten verteidigen.
       
       ## Keine staatlichen Strukturen
       
       Wie schon in der Vergangenheit wird die Armeeoffensive höchstens eine
       zeitweilige Entlastung sein. Noch Ende letzter Woche berichtete der
       Fernsehsender al-Dschasira, die Taliban stünden fünf Kilometer vor
       Kundus-Stadt und einen Kilometer vor Tschahrdaras Verwaltungszentrum. Sie
       treiben weiter sogenannte islamische Steuern ein und halten Gericht.
       Staatliche Strukturen gibt es in einigen der umkämpften Distrikte nicht.
       
       Auch die noch immer nicht entschiedene Präsidentenwahl schlägt auf die
       Sicherheitslage durch. Gerüchten zufolge sollen der Polizeichef und der
       Bürgermeister von Kundus, die den paschtunischen Kandidaten Aschraf Ghani
       unterstützen, den Taliban Munition und Verpflegung geliefert haben. Damit
       wollen sie ihren Gegenspieler Mir Alam, den stärksten Milizenführer der
       Provinz, unter Druck setzen. Der steht hinter Oppositionskandidat Abdullah
       Abdullah.
       
       Zudem versäumte es Kabul, die als Bollwerk gegen die Taliban eingerichtete
       Afghanische Lokalpolizei (ALP) zu bezahlen. Einige ALP-Gruppen liefen zu
       den Taliban über. Andere versorgen sich ähnlich wie diese selbst, erheben
       „Steuern“, plündern die Ernte der Zivilbevölkerung und treiben sie den
       bewaffneten Regierungsgegnern in die Arme.
       
       ## Neue Phase des Krieges
       
       Auch der Luftschlag vom 4. September 2009 sowie die Bundeswehr-Offensive
       Halmazag („Blitz“) im Herbst 2010 im Zusammenspiel mit afghanischen
       Streitkräften und Milizen sowie US-Spezialkräften sollte die Aufständischen
       wenigstens aus der unmittelbaren Umgebung der Provinzhauptstadt vertreiben.
       Dies wurde genauso gründlich verfehlt wie auch der Luftangriff fehlschlug.
       Recherchen der Journalisten Christoph Reuter und Marcus Mettelsiefen
       zufolge kostete er 90 Zivilisten das Leben.
       
       Die Bundeswehr argumentierte in einem von Opferanwälten angestrengten
       Verfahren vor dem Landgericht Bonn Ende 2013 zwar erfolgreich, Oberst Klein
       habe die Anwesenheit der Zivilisten nicht erkennen können. Aber der Fall
       geht noch in die nächsthöhere Instanz.
       
       Inzwischen ergaben Recherchen des freien Reporters Marc Thörner, dass auch
       bei Halmazag Zivilisten umkamen, was die Bundesregierung auf eine
       parlamentarische Anfrage der Grünen Agnieszka Brugger bestritt. Immerhin
       sicherte sie eine neue Untersuchung zu.
       
       Noch ziehen sich die Taliban nach Geländegewinnen meist bald wieder zurück.
       Aber in Kundus und mehreren anderen Provinzen hat mit offenen Angriffen
       eine neue Phase des Krieges begonnen, für die Hunderte Kämpfer konzentriert
       werden.
       
       4 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Kundus
   DIR Bundeswehr
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Bundeswehr
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Abdullah Abdullah
   DIR Ukraine
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan: Von der Leyen warnt vor Hektik
       
       Beim Truppenbesuch sprach sich die Verteidigungsministerin gegen einen
       abrupten Abzug nach Ende des Nato-Einsatzes aus. Die Taliban töteten bei
       Anschlägen zahlreiche Menschen.
       
   DIR Bundeswehr in Afghanistan: 850 Soldaten bleiben
       
       Der Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan dauert noch sechs Wochen.
       Danach folgt eine Ausbildungsmission. Das Mandat ist zunächst auf ein Jahr
       begrenzt.
       
   DIR Sicherheitsabkommen mit Afghanistan: Immunität zugesichert
       
       Einen Tag nach der Vereidigung des neuen afghanischen Präsidenten Ghani
       unterzeichnet die Regierung das umstrittene Sicherheitsabkommen mit den
       USA.
       
   DIR Kommentar Regierung in Afghanistan: Wahlergebnis ohne Zahlen
       
       Fantasievolle Afghanen: Weil keiner der Kandidaten sein Gesicht verlieren
       soll, werden die genauen Wahlergebnisse nicht bekannt gegeben.
       
   DIR Einheitsregierung in Afghanistan: Einer Präsident, einer Regierungschef
       
       Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah haben sich auf eine Einheitsregierung
       in Afghanistan geeinigt. Das offizielle Wahlergebnis wird noch am Sonntag
       erwartet.
       
   DIR Nato-Gipfel in Wales: Kein Streit dank Putin
       
       Die gescheiterte Afghanistan-Mission hätte Thema des Gipfels sein sollen.
       Wegen Russlands Aggression in der Ukraine wird es erneut vertagt.
       
   DIR Überprüfung der Wahl in Afghanistan: Wahlbetrug „in industriellem Ausmaß“
       
       Der bisher zweitplatzierte Abdullah Abdullah boykottiert die Neuauszählung
       der Präsidentenwahl. Es seien zu wenig gefälschte Stimmen erkannt worden.