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       # taz.de -- Landwirtschaft im Münsterland: Idylle in Tüten
       
       > Ein Bauer im Münsterland hat es geschafft, aus einem alten Prinzip ein
       > modernes Geschäftskonzept zu machen: mit Milch vom Hof.
       
   IMG Bild: Verkauft erfolgreich Idylle und Milch in Tüten: Leonhard Große Kintrup.
       
       MÜNSTER taz | Die Kuh und Leonhard Große Kintrup blicken sich in die Augen,
       sie hebt ein Vorderbein und senkt es wieder. Die Kuh will, dass er geht.
       Große Kintrup ist ein großer Mann, schmale Augen, graue Schläfen, er ist
       Bauer, Sohn und Enkel von Bauern – Generationen vor ihm haben auf diesem
       Hof, am Stadtrand von Münster, Rinder gehalten. Jetzt drückt sich Leonhard
       Große Kintrup hinter eine Steinmauer im Stall und versteckt sich. Wenn die
       Kuh allein sein möchte, will er nicht stören.
       
       Auf seinem Milchhof im Münsterland versorgen Leonhard Große Kintrup und
       seine zwei Stallarbeiter rund 200 Tiere. In diesem Betrieb entstehen
       konventionelle Produkte, ein Ökolabel hat er nicht. Das liegt am Futter.
       Doch die Lebensbedingungen der Kühe sind in Große Kintrups Stall
       außergewöhnlich – sie sind Teil des Geschäftsmodells. Wer Milch von diesem
       Hof holt, kauft keine Massenware.
       
       Regen prasselt in harten Tropfen auf den Asphalt vor dem Stall und auf die
       Weide dahinter. Drinnen kann ihn Große Kintrup rauschen hören. Dieses
       Gebäude hat keine Wände, die Kühe mögen es kalt. „Im Winter muss sich der
       Bauer eben eine Jacke anziehen“, sagt er. Die Plattform ragt wie eine
       Empore in den Stall hinein, hoch über den Rücken der Tiere. Der Bauer
       erreicht sie über eine Holztreppe – genau wie sein Publikum.
       
       ## Hightech im Stall
       
       Die Großkunden, die Schulklassen, die Zeitungsreporter – Leonhard Große
       Kintrup lädt ständig Besucher ein. Vor das Geländer der Stalltribüne hat er
       weiße Klappstühle gestellt und weiter hinten Bierbänke, für größere
       Gruppen. Von hier oben sollen sie alle das vollautomatisierte Kuhparadies
       bestaunen.
       
       Beinahe geräuschlos fährt ein roter Wagen an den Beinen der Tiere entlang
       und schiebt den Mist zusammen. Eine Rundbürste hängt in Kuhhöhe an der
       Wand, ihre Borsten sind krumm von den vielen selbst ausgelösten
       Kuhmassagen. In einem Teil der Halle liegt Stroh – und in ihm ein sehr
       kleines Kalb. Dies ist das Mutter-Kind-Abteil des Stalls, sozusagen.
       
       Wann immer das Euter drückt, können sich die Rinder selbst ihrer Milch
       entledigen. Das Melken liegt im Hightechstall in der Verantwortung der Kuh:
       Sie betritt die Melkmaschine, wann es ihr passt. Laserstrahlen suchen nach
       den Zitzen, dann saugen sich die Pumprohre fest. Die Aufgabe des Landwirts
       auf diesem Hof ist es hauptsächlich, die Tiere zufriedenzulassen.
       
       ## Münsteraner ticken anders
       
       Leonhard Große Kintrup verkauft Idylle. In schwarz-weiß gefleckten
       Lieferwagen bringen seine Mitarbeiter die Milchflaschen und Quarktöpfe zu
       Hof-Abo-Kunden im Umland und die Cafés und Kantinen im Stadtzentrum.
       „Glückliche Kühe“ sind seine Werbebotschaft, und an einem Ort wie Münster
       sind sie ein schlagendes Argument.
       
       Münster ist eine Studentenstadt, etwa die Hälfte der Einwohner ist jünger
       als 25 Jahre. In den Großstädten des nahen Ruhrgebiets würde sein Konzept
       schon nicht mehr funktionieren, glaubt Große Kintrup. „Münsteraner ticken
       anders“, sagt er. Hier zieht sie: die Strategie der Kühltasche.
       
       Regelmäßig verpackt Bauer Große Kintrup seine Milchprodukte in Taschen aus
       Aluminium und fährt mit ihnen in die Innenstadt. Sein Ziel: Restaurants,
       Geschäfte, Großküchen. Wenn er mit seiner Kühltasche unterwegs ist, wird
       Große Kintrup vom Bauern zum Molkereivertreter.
       
       ## Mensaküchen wollten erst nicht
       
       Münsteraner spazieren über das Kopfsteinpflaster des Prinzipalmarkts,
       zwischen Rundbögen aus Stein, auf denen die Namen der Läden in goldenen
       Buchstaben stehen. Die Giebel der Häuser sind mal spitz, mal stufig, und
       die Fahrradständer immer überfüllt.
       
       Münsteraner fahren Rad. Die Universität hat ihre Institute in der ganzen
       Stadt verteilt, und auch die zentrale Promenade ist hier kein Gehweg,
       sondern für Fahrräder bestimmt. Dass Leonhard Große Kintrups Modell
       funktioniert, hat viel mit dem Denken der Bürger dieser Stadt zu tun. Immer
       mehr von ihnen kaufen ihre Lebensmittel statt beim Discounter in
       Biosupermärkten oder an den Marktständen auf dem Domplatz.
       
       Es ist bereits Jahre her, dass Große Kintrup das erste Mal mit in einer
       Mensaküche stand, um den Köchen, die täglich Gerichte für Tausende
       Studenten zubereiten, den Inhalt seiner Kühltasche zu zeigen: die Vollmilch
       und den Sahnequark, den Haselnussjoghurt und den Molkedrink. Sie nahmen die
       Becher und Flaschen, Große Kintrup ging. Danach hörte er nichts mehr: Die
       Milch aus den Großmolkereien war günstiger. Heute zählen auch andere
       Argumente.
       
       ## Studenten mit Anspruch
       
       Im Café Uferlos serviert das Studentenwerk mittlerweile vegetarische und
       vegane Gerichte. Auch in der Mensa am Aasee, in den Bistros Denkpause oder
       Durchblick gibt es heute – neben Schnitzel und Pommes für 2,40 Euro – das
       3-bis-4-Euro-Gericht: für Studenten mit Anspruch.
       
       Studentenwerkgeschäftsführer Achim Wiese sagt, „die Interessengruppe wächst
       immer mehr“. Genauso, wie hier in Münster die Zahl der Bafög-Empfänger eher
       sinke als steige. Die Münsteraner Studenten können sich eben teures Essen
       leisten.
       
       Auf dem Milchhof stehen nun seit vergangenem Jahr 40 Kühe mehr im Stall: Da
       bekam Große Kintrup endlich den lukrativen Auftrag von den Mensen und
       investierte noch einmal. Erst 2011 hatte er seinen neuen Komfortstall
       gebaut, für 1,5 Millionen Euro, wie er sagt.
       
       Auch das Gebäude, in dem früher die Rinder seines Vaters und seines
       Großvaters standen, ist noch da. Doch heute hat auch dieses Haus keine
       Wände mehr. Vor drei Jahren baute er auch hier computergesteuerte
       Futtersysteme und Überwachungskameras ein und außerdem die Hofmolkerei aus.
       Große Kintrup geht es um Unabhängigkeit: von den Großmolkereien und von den
       Großhändlern. Das liegt auch daran, dass ihm hier sonst nicht viel übrig
       bleibt.
       
       ## Höchste Bodenpreise
       
       In dieser Gegend kosten Agrarflächen so viel wie nirgendwo sonst in
       Nordrhein-Westfalen, dabei sind die Böden dieses Bundeslands ohnehin die
       teuersten in ganz Deutschland. 47.203 Euro kostete ein Hektar Münsterland
       im vergangenen Jahr, knapp 5 Prozent mehr als noch 2012. Auch die
       Pachtpreise sind unerschwinglich: 540 Euro muss man zahlen, um hier einen
       Hektar zu mieten – 300 Euro mehr als in Brandenburg etwa.
       
       Landwirtschaftliche Flächen in Westfalen zu kaufen lohnt sich deshalb nicht
       einmal für die Konzerne, die sich im Osten Deutschlands mit Äckern
       eindecken. Im Münsterland können nur noch diejenigen Bauern überleben, die
       bereits Boden besitzen. Große Kintrup expandiert deshalb in Qualität.
       
       Die Sonne ist gerade aufgegangen, da hängt über den Stahltonnen in der
       Molkerei bereits der Dunst. Es ist heiß, über den Steinboden rinnt eine
       klare Flüssigkeit. Mit weißen Gummistiefeln treten die Männer hinein, ihre
       Gesichter glänzen, die Maschinen dröhnen.
       
       Einer, mit rundem Bauch und kurzen grauen Haaren, beobachtet die weiße
       Masse in der Quarkwanne. In Brocken kleckert sie in Plastikeimer, und aus
       einem zweiten Rohr schießt sie als zäher Strahl. Der Molkereichef fährt mit
       einem Finger hinein und probiert. Für diesen Quark wurde die Milch gedrückt
       – nicht in Zentrifugen geschleudert und danach wieder mit Sahne versetzt,
       so wie in Industrieanlagen.
       
       ## 3,8 Prozent Fett
       
       Am Ende des Raums heben und senken sich Stahldrüsen und schießen Milch in
       bauchige Plastikflaschen. Sie drehen sich um die eigene Achse, während ein
       Fließband sie zu einem Mitarbeiter schiebt. Der steckt sie in Kisten.
       15.000 Liter produzieren sie in der Woche. Die Vollmilch hat 3,8 Prozent
       Fett und nicht 3,5 Prozent, wie die im Supermarkt. Sie kostet 90 statt 60
       Cent.
       
       Neben einem massiven Metalltrichter, der ihm bis zum Bauch reicht, steht
       ein junger Mann, schlaksig, keine 20. Ein Stab verrührt Joghurt, Quark,
       Fruchtmasse und Zucker zu einem Brei: Die Münsteraner-Stippmilch-Maschine
       spuckt die Plastikbecher ladenfertig aus. Mit den Fingerkuppen setzt der
       Junge einen nach dem anderen in einen Träger aus Pappe.
       
       Draußen warten jetzt schon die Kastenwagen und die Kuhflecken-Sprinter. Um
       diese Uhrzeit stapelt Leonhard Große Kintrup seit einigen Monaten auch
       einen Teil der Molkeerzeugnisse auf Holzpaletten. Der Lastwagen einer
       Supermarktkette kommt jetzt auf den Hof gefahren. Einige Filialen haben ihr
       Angebot um Milchhof-Flaschen erweitert, sie holen die frische Ware täglich
       ab.
       
       Im Kühlregal stehen Große Kintrups Süßspeisen nun neben Schokopudding,
       dessen Sahnehäubchen auch nach zwei Wochen noch unverändert steht.
       „Kunstprodukte“, nennt sie Große Kintrup. Sein Nachtisch verdirbt, das
       wissen die Kunden und nehmen es in Kauf. Weil sie ihn kennen. Weil sie
       seine Kühe kennen. Das spricht sich rum.
       
       3 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kristiana Ludwig
       
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