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       # taz.de -- Debatte Syrienpolitik des Westens: Der geliebte Feind
       
       > Im Vergleich zu den Kämpfern von IS erscheint der radikale Werteverfall
       > unter westlichen Eliten als Peanuts. Doch er ist die größte Gefahr.
       
   IMG Bild: Wird international rehabilitiert: Baschar al-Assad im Juli 2014
       
       Die Kämpfer des Islamischen Staats (IS), mit ihren schwarzen Hasskappen und
       Flaggen, ihrem schweren Kriegsgerät und ihren Gräueltaten – der Westen und
       seine Verbündeten lieben sie, wenn auch nur heimlich. Perfekt passen sie
       ins Bild vom Nahen Osten, der sich stets in Religionskriege verwickelt und
       damit das Vexierbild zur westlichen Aufklärung liefert.
       
       Dank IS lässt sich die Welt wieder problemlos in Schwarz-Weiss einteilen:
       IS sind das ganze andere und ganz Böse. Im Vergleich dazu erscheinen die
       USA doch noch als Retter der Menschenrechte. Dass sie mithilfe der Achse
       des Guten Afghanistan in Schutt und Asche legten und unter falschem Vorwand
       in den Irak einmarschierten, Guantanamo schufen, Libyens Gaddafi wegbombten
       und anschließend vergaßen, beim zivilen Aufbau des Landes zu helfen, das
       alles gerät in Vergessenheit.
       
       Genauso ignorieren viele, zumal deutsche Medien, dass es sich bei IS um
       eine internationale Gruppierung handelt, die viele Akademiker und
       Geheimdienstler in der Führungsriege versammelt, moderne
       Kommunikationsstrategien einsetzt. Diese Armee mordet zudem nicht nur,
       sondern weiß auch mit Öl zu handeln, verfügt also über gute
       Handelskontakte. Ihre Führer repräsentieren nicht das „ganz Andere“,
       sondern sind Teil einer internationalen Elite. Sei‘s drum. Jetzt ist die
       rote Linie überschritten, jetzt wird aufgerüstet.
       
       Welche Erleichterung, auch für Deutschland, dessen Präsident und
       Verteidigungsministerin zur Freude hiesiger Rüstungsfirmen internationale
       Verantwortung mit Militärhilfe gleichsetzen. Schnitt.
       
       ## Vergessene Giftgasattacke
       
       Der Jahrestag der Giftgasanschläge in Syrien ist es erst 10 Tage her. Kaum
       einem Medium bot er Anlass, dorthin zu blicken, wo am 21. August an nur
       einem Morgen 1.400 Menschen vergast wurden. Warum nicht? Mithilfe von Skype
       lässt sich durchaus mit Überlebenden vorort Kontakt aufnehmen, manche haben
       stundenweise Strom und hoffen immer noch, dass sie gehört werden. Ihre
       Berichte lassen sich miteinander vergleichen, insofern kann ein Bild von
       der Lage gezeichnet werden, auch wenn keine westlichen Journalisten dort
       sind.
       
       Der Medienaktivist Tareq A. (das ist sein Pseudonym) etwa erzählte mir von
       verstärkten [1][Bombenangriffen auf Ost-Ghouta] (Achtung! Diese Seite zeigt
       möglicherweise verstörende Bilder von Verletzten und Toten): „Das Regime
       feiert den Jahrestag auf seine Weise“. Das deckt sich mit vielen Einträgen
       auf Facebook.
       
       Seit dem Anschlag hat das Regime die Region abgeriegelt, Hilfsgüter kommen
       hier nicht an, die Menschen hungern, viele sterben. Die wenigen
       eingeschmuggelten Lebensmittel sind horrend teurer. A. ist Ende zwanzig und
       Englischlehrer, seine Familie verfügt noch über etwas Geld. Offiziell sind
       Sommerferien, doch der sehr dünne junge Mann bezweifelt, dass sie den schon
       seit zwei Jahren improvisierten Unterricht fortsetzen können.
       
       Jeden Tag geht er ins Feldhospital, fotografiert dort die Verletzten und
       Toten, um den Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu dokumentieren und lädt
       die Bilder auf seiner Website hoch. Seine Facebook-Seite hat derzeit mehr
       als 45.000 Abonnenten.
       
       ## Wo bleibt die US-Armee?
       
       Wer kämpft auf Seiten der Rebellen, frage ich. Vor allem islamische
       Gruppen, sagt er. Und dass er guten Kontakt zu ihnen habe, aber keiner
       Gruppierung gehören wolle: „Ich bin Zivilist“. Was ich denke, wie es weiter
       geht, möchte er im Gegenzug wissen.
       
       Während ich noch zögere mit einer Antwort, höre ich ein dumpfes Geräusch im
       Hintergrund. Das sind Bomben, erklärt er. Dimashqis Englisch ist fast
       fehlerfrei. Ob er jetzt nicht in einem Keller oder so Schutz suchen sollte?
       Meine Frage löst ein gutmütiges Lachen aus. So etwas haben wir hier nicht.
       Erneut will der junge Mann wissen, welche Zukunft ich für Syrien sehe. Die
       USA werden im Irak den Vormarsch von IS nicht länger dulden und
       intervenieren, antworte ich vorsichtig. „Werden sie auch in Syrien
       eingreifen, endlich?“, fragt er sofort, „auch hier sterben jeden Tag viele
       Menschen und die Stadt Raqqa ist die Basis von IS“. Ich zucke mit den
       Schultern, er holt tief Luft. Wir verabschieden uns.
       
       Dass Assad gerade als Verbündeter der USA im Kampf gegen IS rehabilitiert
       wird, habe ich mich nicht getraut zu sagen. Er wird es anderweitig
       erfahren.
       
       ## BND und Syrien
       
       Noch vor einem Jahr wollten die USA und auch Deutschland Baschar al-Assad
       loswerden. Dann reiste Geheimdienstchef Schindler nach Damaskus, der BND
       unterhält traditionell gute Kontakte zum syrischen Regime. Die Süddeutsche
       vermutete, dass Schindler vor allem Informationen über deutsche Islamisten
       haben wollte. Irgendwie verebbte die Kritik an Assad nach diesem Treffen,
       das vom BDN dementiert wurde.
       
       Solange Terror allein als Sicherheitsproblem bekämpft und die sozialen
       Voraussetzungen für den Fundamentalismus genauso wie ihre Profiteure
       ignoriert werden, solange werden IS und die anderen Gruppierungen weiterhin
       Zulauf haben und Millionen von Menschen in die Flucht treiben. Staaten, die
       einen niedrigen Ölpreis brauchen, um ihre Ökonomie am Laufen zu halten, wie
       die Türkei, kommt das zupass. Genauso wie der internationalen
       Rüstungsindustrie und allen Händlern auf dem Schwarzmarkt.
       
       Die Vereinten Nationen wiesen jüngst darauf hin, dass mittlerweile nahezu
       jeder Zweite in Syrien sein Zuhause verlassen musste. Viele versuchen, in
       den Irak zu fliehen – in der Hoffnung auf internationale Hilfe, die es in
       Syrien seit drei Jahren für sie nicht gibt. In der Türkei, in Jordanien und
       im Libanon sind bereits Millionen Syrer gestrandet. Der Hass auf sie
       wächst, denn ihre Not bringt auch diese Länder aus dem Gleichgewicht.
       
       Terror scheint ein einfaches Phänomen zu sein: Bewaffnete Gruppen
       unterjochen und töten Zivilisten mithilfe von fadenscheinigen moralischen
       Grundsätzen.
       
       Doch zuzulassen, dass Millionen von Menschen auf der Flucht sind, ohne dass
       Strategien zu ihrer Hilfe entwickelt werden, dieser radikale Werteverfall
       ist auch eine Spielart von Terror. Er wird vor allem die hiesigen
       Demokratien weiter aushöhlen.
       
       1 Sep 2014
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
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