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       # taz.de -- Landtagswahl in Sachsen: Die Schrumpfgermanen
       
       > Die NPD steckt in der Krise, sogar in Sachsen. Jetzt geht’s ums
       > Überleben. Den Ruf der „netten Nachbarn“ hat die Partei verspielt.
       
   IMG Bild: Die NPD könnte nach zwei Legislaturperioden aus dem Landtag fliegen
       
       ZITTAU/BERLIN taz | Der Wahlkampflaster kommt nicht, seit einer halben
       Stunde schon nicht. „Technische Probleme“, murmelt Holger Szymanski, seine
       Hände graben sich in die Jeanstaschen. Dann lege man eben so los.
       Szymanski, Karohemd und graues Jackett, und seine Leute haben sich an
       diesem Augustnachmittag etwas ausgedacht: „Deutsche helfen Deutschen“.
       Kostenlose Bratwürste für die Zittauer.
       
       Direkt vorm Rathaus haben der sächsische NPD-Spitzenkandidat und ein
       Dutzend Parteikollegen ihren Grill aufgestellt, daneben zwei Bierbänke und
       einen weißen Schirm mit Parteilogo. Eine Frau im „Fuck USA“-Shirt legt die
       Würste auf den Rost.
       
       Das Problem nur: Die Zittauer interessiert das Grillen wenig. Szymanski
       notiert neben dem fehlenden Wahlkampfwagen noch ein Problem: Der Markt vorm
       Rathaus hat heute früher Schluss gemacht – kurz vor Beginn der NPD-Aktion.
       „Komischer Zufall, nicht?“, ärgert sich Szymanski. Und dann tauchen auch
       noch sechs Leute von der Antifa auf, entfalten auf der anderen Straßenseite
       ein Anti-Nazi-Banner.
       
       Es läuft nicht rund. Dabei ist Zittau ein aussichtsreiches Pflaster für die
       NPD. „Eine Hochburg“, behauptet Szymanski. 28.000 Einwohner, im
       Südostzipfel Sachsens, gleich vor der tschechischen Grenze. Hohe
       Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Leerstand. Und 4,7 Prozent für die NPD bei
       der Europawahl im Mai. Heute aber ist von der „Hochburg“ nicht viel zu
       sehen.
       
       ## Eine Existenzfrage
       
       Es ist nicht nur Zittau. Seit zehn Jahren sitzt die NPD im sächsischen
       Landtag. Wenn der am 31. August neu gewählt wird, geht es nicht nur um den
       Wiedereinzug – es geht um die Existenz der Partei insgesamt.
       
       In Umfragen kratzt die NPD in Sachsen neuerdings knapp an der
       Fünfprozentmarke, wochenlang waren es zwischen 3 und 4 Prozent. Die Partei
       plagen arge Finanznöte. Ein Verbotsverfahren vor dem
       Bundesverfassungsgericht soll demnächst beginnen. Und in Sachsen steht eine
       andere Partei bereit, die NPD auf der rechten Seite zu verdrängen, eine mit
       besserem Leumund: die AfD. Es ist eine katastrophale Ausgangslage.
       Szymanski spielt sie herunter. „Wenn ich Angst hätte, hätte ich die
       Spitzenkandidatur nicht übernommen.“
       
       In der NPD-Zentrale in Berlin-Köpenick klingt das anders. Ende Juni lud
       dort Bundeschef Udo Pastörs zur Pressekonferenz. Die Stuhlreihen blieben
       leer, nur drei Journalisten kamen. Es ging um das drohende Verbot. Dann
       ging es um Sachsen. „Wir werden es schwer haben“, sagte Pastörs, den Blick
       angestrengt. „Aber wir schaffen das.“ Durchhalteparolen.
       
       Dabei war Sachsen mal Vorzeigeland der NPD. Mit 9,2 Prozent zog die
       Neonazi-Partei 2004 in den Landtag ein – nach 32 Jahren
       Parlamentsabstinenz. Es war die damalige Stimmung gegen Hartz IV, die die
       Partei aufgriff. Und das Image des Kümmerers vor Ort, wo sich keiner mehr
       kümmert. Handwerker, Fahrschullehrer, Ärzte kandidierten für die NPD –
       Leute aus der Nachbarschaft. In Gegenden wie der Sächsischen Schweiz holten
       die Neonazis zweistellige Ergebnisse. Von einer „Revolution“ tönte damals
       NPD-Anführer Holger Apfel.
       
       ## Neue Heimat: AfD
       
       Die Revolution aber kam nicht. Und nun kandidieren die Nachbarn mit
       übersteigertem Heimatbedürfnis für die AfD. Im Landkreis um Zittau sind die
       Spitzenleute der rechtskonservativen Neupartei eine Busunternehmerin, ein
       Polizist und ein Solarzellenunternehmer. Und es ist die AfD, die jetzt
       Grenzkontrollen fordert, weniger „Integrationsfolklore“ oder das
       „selbstverständliche Absingen“ der Nationalhymne. In Zittau holte die
       Partei zur Europawahl 10,2 Prozent. Mehr als doppelt so viel wie die NPD.
       
       Spricht man Udo Pastörs auf die AfD an, entblättert sich die ganze
       Nervosität der NPD. „Salon-Tiger, Feierabendpatrioten, windelweich“,
       schimpft er. „Denen geht es nicht um die deutsche Nation, nur um
       Besitzstandswahrung.“ Es ist auch die Sprachregelung in Sachsen: „Die echte
       Opposition von rechts“, wirbt die Partei dort.
       
       Nur: Die AfD ist nicht mal das einzige Problem der NPD. Immer wieder gibt
       es interne Zerwürfnisse, gleich in der ersten Legislatur verließ fast die
       Hälfte der zwölf Abgeordneten die Fraktion. Auch das Bündnis mit den
       Kameradschaften, die jahrelang die Parteikundgebungen füllten, ist brüchig.
       Im Landkreis Leipzig trat der gesamte NPD-Kreisvorstand aus der Partei aus
       – und lief zu den „Freien Kräften“ über.
       
       Und zuletzt blamierte sich die NPD mit der Posse um ihren Ex-Chef Holger
       Apfel. Wegen Vorwürfen, einen Jungrechten belästigt zu haben, trat der
       zurück. Wenig später tauchte er als Gastwirt auf Mallorca wieder auf.
       „Nicht förderlich“ sei die Episode, gesteht Szymanski.
       
       ## Tütensuppe und Kekse
       
       Es ist nun an dem 41-Jährigen, die Lücke zu schließen. Szymanski aber ist
       keiner, der nach vorne drängt. Seine Partei machte ihn vor allem zum
       Nachfolger, weil der Ex-Republikaner am wenigsten polarisierte. Vor seinem
       Landtagsmandat betrieb Szymanski von seinem Haus am Dresdener Stadtrand aus
       einen Internetantiquariat, zur „sächsischen Geschichte“, Schwerpunkt: die
       Zeit zwischen 1933 und 1945.
       
       Zittau zeigt, wo Szymanski jetzt ansetzt: bei den weniger Privilegierten.
       Schon in den Vortagen verschenkte die NPD rote Plastiktüten auf
       Marktplätzen, gefüllt mit Tütensuppen und Keksen. Jetzt das
       Bratwurstgrillen. Pastörs sieht auch das als Abgrenzung zur AfD. Die, ätzt
       er, interessiere nicht die soziale Frage, sondern Geld.
       
       Der ganze Bundesverband unterstütze jetzt Sachsen, so Pastörs. 300.000 Euro
       investiert die NPD in den dortigen Wahlkampf. 60.000 Plakate will sie
       aufhängen, 50 Kundgebungen abhalten – vor allem in Kleinstädten und
       Dörfern. Dort, wo die AfD bisher noch nicht angekommen ist.
       
       Tatsächlich hatte die NPD mit dem Kurs bei den jüngsten Kreistagswahlen,
       parallel zur Europawahl, halbwegs Erfolg. 4,6 Prozent holte die Partei. Das
       ist nicht so weit weg von der Fünfprozenthürde, die für die Landtagswahl
       gilt. Und auch da trat bereits die AfD an.
       
       Überraschend war die Neupartei dort stark, wo es die NPD blieb: im
       Osterzgebirge und der Sächsischen Schweiz. Wahlforscher erklären dies mit
       den letztlich doch unterschiedlichen Schichten, die beide Parteien
       ansprechen. So unterstützen die NPD eher Jungwähler und Geringverdiener –
       die AfD eher Ältere und Gutsituierte. Letztere erhält ihren größten
       Wählerzustrom bisher von der FDP.
       
       ## Traditionell voller Vorurteile
       
       Die lokale Stärke der beiden Rechtsaußenparteien ist aber auch ein
       sächsisches Phänomen. Eine Studie der Universität Bielefeld bescheinigte
       dem Land 2012, besonders anfällig für „offene, traditionelle Vorurteile“ zu
       sein. Knapp die Hälfte der befragten Sachsen befand, Migranten gehörten in
       ihre Heimat zurückgeschickt. Zwei Drittel sagten, es gebe zu viele
       Ausländer. Deren Quote liegt in Sachsen bei 2,2 Prozent.
       
       Eine Studie von diesem Frühjahr notierte allerdings eine Verschiebung. Nur
       noch 7 Prozent der Befragten in Ostdeutschland zeigten demnach ein
       „geschlossenes, rechtsextremes Weltbild“ – ein Tiefstwert seit 2006. Dafür
       machten sich laut den Forschern der Universität Leipzig subtilere
       Vorurteile breit: So waren ein Drittel der Befragten der Meinung,
       Deutschland müsse sich wieder mehr Macht verschaffen, brauche „wieder Mut
       zu einem starken Nationalgefühl“. Vorteil AfD.
       
       Die NPD manövriert ihr schrumpfendes Milieu in eine Falle. Immer schriller
       versucht die Partei neben der AfD aufzufallen. Selbst der ruhige Szymanski
       ließ sich in der letzten Landtagssitzung vor der Sommerpause hinreißen,
       eine SPD-Frau als „übelste Antidemokratin“ zu beschimpfen und zwei
       Ordnungsrufe zu kassieren.
       
       Später bekam er eine Anzeige, weil er sich in ein Asylbewerberheim
       einschlich. Schon zuvor hatte seine Fraktion im Landtag mit Reden über eine
       „blühende Holocaust-Industrie“ provoziert, wurde einmal gar kollektiv des
       Saals verwiesen. Das Image des netten Nachbarn ist die Partei damit
       endgültig los.
       
       ## Gegen „Asylantenheime“
       
       Die Parteiführung hofft jetzt noch auf Leute wie Torsten Hiekisch. Der
       44-Jährige mit dem Bürstenschnitt verteilt in Zittau neben dem
       Bratwurstgrill Flugblätter. Seit 17 Jahren ist Hiekisch bei der NPD. In
       Hirschfelde, einem Vorort Zittaus, kümmert er sich um das
       Feuerwehrgerätehaus, den Rodelberg oder den Erhalt der Sparkasse. Das
       brachte der NPD dort im Mai 16,6 Prozent ein.
       
       In Zittau aber schimpft Hiekisch vor allem, „was Asylanten hier alles
       bekommen“. Es ist das zweite Thema, auf das die NPD jetzt noch setzt.
       „Asylantenheime, nein danke“, plakatiert die Partei überall im Land. In den
       letzten Monaten organisierte sie Bürgerinitiativen gegen Unterkünfte,
       mischte Kundgebungen auf. Nicht ohne Erfolg: Im sächsischen Schneeberg etwa
       zogen Hunderte Bürger in einem „Lichtlmarsch“ durch die Stadt. Hinter dem
       NPD-Banner.
       
       Was aber, wenn es am 31. August nicht reicht? Das Ausscheiden in Sachsen
       träfe die NPD schwer. Staatsgelder aus der Parteienfinanzierung fielen weg,
       Jobs für Anhänger. Und bundesweit bliebe nur noch die Fraktion in
       Mecklenburg-Vorpommern – und der Status einer Splitterpartei.
       
       Torsten Hiekisch gibt sich auf dem Zittauer Rathausplatz gelassen. Die
       Landtagswahl sei wichtig, sagt er. Aber auch nicht alles. „Unser Schicksal
       liegt in der Kommunalpolitik.“ Selbst wenn Szymanski und seine Fraktion aus
       dem Landtag fliegen – Hiekisch wird weitermachen. Wie die letzten 17 Jahre
       schon.
       
       25 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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