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       # taz.de -- Steinmeier in Brandenburg: Auf eine Bockwurst nach Brielow
       
       > Frank-Walter Steinmeier kann vermitteln. Aber nicht alles. Während seiner
       > Wahlkampftour durch Brandenburg stößt er auch auf Unverständnis.
       
   IMG Bild: Nicht jeder versteht seine Außenpolitik: Frank-Walter Steinmeier.
       
       BRIELOW taz | Nach einem langen Arbeitswochenende – mit einem Treffen der
       EU-Außenminister in Brüssel, einem Abstecher nach Bagdad und einem
       sonntäglichen Krisengipfel mit Russland und der Ukraine – sitzt
       Frank-Walter Steinmeier vor dem Landfrauenstübchen in Radewege. Er löffelt
       Kartoffelsuppe mit Bockwurst. Der Außenminister ist mit dem Fahrrad
       gekommen, und die Damen aus dem Dorf nahe der Havel geben sich alle Mühe,
       ihn aufzupäppeln. Sie wissen ja, wie viel der Mann arbeitet.
       
       „Wir haben Sie gestern in der ’Tagesschau‘ gesehen“, sagt eine der
       Landfrauen. „Ist spät geworden, nicht?“ „Um zwei war ich im Bett“,
       antwortet Steinmeier. „Merkt man. Das letzte Mal waren Sie lebhafter.“ Dann
       kommt Steinmeiers Mitarbeiter und unterbricht das Gespräch. Ein wichtiger
       Anruf. Der halb volle Suppenteller bleibt stehen.
       
       Drei Tage tourt Steinmeier in dieser Woche durch seinen Wahlkreis in
       Brandenburg. Eigentlich Routine, er macht das jeden Sommer. Aber in diesem
       Jahr fällt der Ausflug auf eine Woche, an deren Ende die Zeitungen über
       Waffenlieferungen an die Kurden und einen Wendepunkt in der deutschen
       Außenpolitik schreiben. Eine stressige Woche nach einem schlaflosen
       Wochenende. Vor allem wegen des Plans, den Steinmeier seit seinem
       Amtsantritt verfolgt.
       
       Auf der Münchner Sicherheitskonferenz verkündete er im Januar die neue
       Marschrichtung der deutschen Außenpolitik, flankiert von Bundespräsident
       Joachim Gauck: Die Bundesrepublik müsse international eine aktivere Rolle
       spielen. Wo möglich, mit friedlichen Mitteln, wo nötig, auch militärisch.
       Andere Länder hielten sich schließlich immer öfter raus: Die USA nach den
       Erfahrungen der Bush-Ära. Großbritannien, das seinen Militäretat
       zusammenkürzt. Oder Frankreich, das von der Finanzkrise gebeutelt ist.
       Deutschland, reich und mächtig, müsse einen Teil dieser Lücke schließen.
       
       In Washington, Paris und London kam das gut an, trotzdem blieb Skepsis:
       Setzen Steinmeier und Merkel den Plan wirklich um?
       
       ## Die erste Bewährung
       
       Inzwischen, nach einem halben Jahr mit neuen Kriegen in der Ukraine und im
       Irak, hat die Bundesregierung die ersten Praxistests absolviert. Die Krisen
       haben gezeigt, wie Deutschlands neue Außenpolitik aussehen kann – und wo
       sie an Grenzen stößt.
       
       Die erste Bewährungsprobe erwartete Steinmeier drei Wochen nach der
       Sicherheitskonferenz in Kiew. Der Krieg in der Ukraine war noch nicht
       ausgebrochen, aber auf dem Maidan lagen bereits erschossene Demonstranten.
       Zusammen mit den Außenministern Polens und Frankreichs handelte Steinmeier
       einen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition aus. Letzlich scheiterte
       das Abkommen, aber seit dem Februartag führt Deutschland die Verhandlungen
       im Ukraine-Konflikt an.
       
       Von Radewege an der Havel bis nach Kiew dauert es mit dem Fahrrad nur rund
       zwei Wochen, mit dem Auto gerade mal 15 Stunden. Ein Krieg in der
       Nachbarschaft, das ist nicht im Interesse der Bundesregierung. Und im
       Außenministerium glaubt man: Abgesehen von Deutschland gibt es niemand, der
       sich mit aller Kraft für eine Lösung engagiert. Also sah sich Steinmeier
       gezwungen, einzuspringen.
       
       Womöglich hat er dabei auch Fehler gemacht. Etwa nicht stärker auf das
       Abkommen vom Februar beharrt zu haben. Auch konnte er nicht verhindern,
       dass der Konflikt eskalierte, im Osten des Landes Schulen zerbombt und
       hunderte Ukrainer getötet wurden. Immerhin: Die Präsidenten der beiden
       Länder sprechen wieder miteinander. Vielleicht wegen der deutschen Linie,
       mit Russland zu reden und durch Sanktionen politischen Druck zu erzeugen.
       
       Die Sanktionen haben auch in Deutschland Folgen. Im Nachbardorf von
       Radewege zum Beispiel. In Brielow steht Steinmeier am Montagvormittag neben
       einem Kuhstall und hört dem Bauern zu, der ihn auf dem Hof begrüßt.
       „Brüssel, Bagdad, Brielow“, sagt der Landwirt. „Großen Respekt vor ihrer
       Leistung!“ Dann druckst er ein wenig herum: Er wolle ja nicht jammern, aber
       im Stall stehe Zuchtvieh, drei Holstein-Rinder, die eigentlich ein Russe
       kaufen wollte. Nun seien das Geschäft und damit gut 5.000 Euro in Gefahr.
       
       ## Gegen die Mehrheit
       
       Der Außenminister kann nicht weiterhelfen. Der Schritt sei nicht leicht
       gewesen, beteuert er. Später wird er sagen: „Wir müssen unsere Außenpolitik
       den Leuten vor Ort vermitteln.“ Hier beginnt das Problem: Nicht alle wollen
       sich was vermitteln lassen. Schon gar nicht Waffenlieferungen an die
       Kurden.
       
       Von Kiew in den Nordirak fährt man mit dem Fahrrad etwas länger als zwei
       Wochen. Der Konflikt dort ist ein anderer. Die Bundesregierung hat weniger
       Möglichkeiten. Komplett raushalten kann sie sich aber nicht: Die
       Dschihadisten treten so brutal auf, dass inzwischen sogar Rupert Neudeck
       und der Papst dem Pazifismus abschwören. Die Erwartungen aus dem Ausland
       sind klar: Möchte die Bundesregierung mit ihrer neuen Außenpolitik ernst
       genommen werden, muss sie sich an einer militärischen Lösung beteiligen.
       
       Deshalb haben Steinmeier, von der Leyen und Merkel sich in dieser Woche
       bereit erklärt, deutsche Waffen in den Irak zu liefern. Eine Premiere, aber
       die Reaktionen zeigen, dass ein größeres militärisches Engagement nicht so
       ohne weiteres akzeptiert werden wird. Laut einer aktuellen Studie sind über
       80 Prozent der Deutschen gegen eine Ausweitung von Bundeswehreinsätzen.
       Gegen die Waffenlieferungen an die Kurden sind laut Politbarometer 67
       Prozent. Wenn jetzt auch noch das Parlament mitentscheiden dürfte – wer
       weiß, ob es Steinmeier nicht zurückpfeifen würde.
       
       Am Montagnachmittag steht eigentlich eine Floßfahrt über die Havel auf dem
       Programm, um das Gelände der Bundesgartenschau zu besichtigen. Aber daraus
       wird nichts, weil die Abgeordneten des Außenausschuss zur Lage im Irak
       tagen. Steinmeier eilt zurück nach Berlin.
       
       24 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
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