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       # taz.de -- Serbiens Wirtschaft in der Ukraine-Krise: Im Ost-West-Spagat
       
       > EU-Anwärter Serbien soll sich dem Embargo gegen Russland anschließen.
       > Aber das Land ist von russischer Wirtschaftshilfe abhängig.
       
   IMG Bild: Serbiens Premier Vucic (li.) im freundlichen Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin.
       
       BELGRAD taz | Das hat Serbien gerade noch gefehlt: Krieg in der Ukraine.
       Als ob man nicht andere, selbst verschuldete Sorgen hätte: Die Folgen der
       Kriege der 1990er Jahre, die Wirtschaftsmisere, Vetternwirtschaft und
       Korruption. Aber die Ukrainekrise ist in Serbien allgegenwärtig.
       
       Immer öfter hört man aus Brüssel und Washington, Belgrad solle sich
       gefälligst an den Sanktionen gegen Russland beteiligen, wenn es schon
       EU-Mitglied werden möchte. Und trotz aller slawisch-orthodoxen
       Liebeserklärungen ist aus Moskau ein leises, doch unmissverständliches
       „Wehe“ an die serbische Regierung gerichtet.
       
       Sollte Serbien über Russland Sanktionen verhängen, würde es sich selbst
       „ins Knie schießen“, erklärte Russlands Botschafter in Belgrad, Alexander
       Tschepurin. Nur ein „politischer Selbstmörder“ würde die gerade vor einem
       Jahr unterzeichnete russisch-serbische strategische Partnerschaft infrage
       stellen.
       
       Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic versucht den Spagat zwischen
       Ost und West. Wie ein Mantra wiederholt er, dass Serbien zwar die
       „territoriale Integrität der Ukraine samt der Krim anerkennt“, doch nicht
       vorhat, über Russland irgendwelche Sanktionen zu verhängen. Dass der
       Verstand Serbien nach Europa führt, doch das Herz für Russland schlägt,
       merkt man auch, wenn Vucic liebevoll von „unseren Russen“ spricht.
       
       ## Stützpunkt für humanitäre Zwecke
       
       Und die Russen sind sehr wohl da. Die russische Gazprom hat den serbischen
       Erdölmonopolisten NIS (Naftna Industrija Srbije) gekauft, der inzwischen
       einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent hat; die Gaspipeline Southstream
       soll durch Serbien führen, eine Investition von über 2 Milliarden Euro, die
       allerdings von der EU-Kommission kritisiert wird. Russland hat Serbien
       einen Kredit in Höhe von 800 Millionen Dollar für die Modernisierung der
       Eisenbahn gebilligt; auf der Website des serbischen Außenministeriums
       steht, dass Moskau Belgrad zwei Kredite von 200 und 500 Millionen Dollar
       gebilligt hat, um den Haushalt zu konsolidieren; auf dem Flughafen der
       südserbischen Stadt Nis hat Russland für 20 Millionen Dollar einen
       „Stützpunkt für humanitäre Zwecke“ gebaut, den der russische
       Verteidigungsminister Sergei Schoigu mehrmals besucht hat.
       
       Das Ministerium erwähnt auch, dass die Länder „erfolgreich“ im
       Verteidigungsbereich zusammenarbeiten. Bei einer schrumpfenden Wirtschaft
       und einer weitersteigenden Arbeitslosigkeit von rund 27 Prozent ist Serbien
       existenziell auf die russische Unterstützung angewiesen.
       
       ## Freihandel mit Russland
       
       Serbien ist das einzige europäische Land außerhalb der Gemeinschaft
       unabhängiger Staaten, das ein Freihandelabkommen mit der Russischen
       Föderation unterzeichnet hat. Das Abkommen ist seit vierzehn Jahren in
       Kraft, erregt nun aber in Zeiten des Embargos helle Aufregung. Trotz des
       Abkommens war Russland im Vorjahr nach Italien, Deutschland sowie Bosnien
       und Herzegowina erst der viertwichtigste Exportmarkt Serbiens. Nach
       Russland lieferte Serbien Waren für 1,65 Milliarden Dollar, vor allem
       Produkte für die Bauindustrie, Autoreifen, Strümpfe, Medikamente und Äpfel.
       
       Zwar sieht nun Serbiens Handelsminister Rasim Ljajic eine Chance für die
       serbische Landwirtschaft, mehr nach Russland zu exportieren, doch das hört
       sich wie Berufsoptimismus an. In der Tat: Russland würde alles Obst,
       Gemüse, Fleisch und Milch aus Serbien kaufen, doch Serbien kann die
       landwirtschaftliche Produktion in absehbarer Zeit kaum steigern. Außerdem
       hat das katastrophale Hochwasser im Mai der Landwirtschaft großen Schaden
       zugefügt.
       
       Wirtschaftsexperten halten es für unwahrscheinlich, dass Unternehmen aus
       der Europäischen Union die Sanktionen gegen Russland über den Umweg Serbien
       umgehen, wie serbische Medien berichten. Russland hat schließlich auch
       bisher beim Import aus Serbien strikt darauf geachtet, dass es sich
       tatsächlich um Produkte „Made in Serbia“ handelt.
       
       20 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrej Ivanji
       
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