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       # taz.de -- Landtagswahl in Sachsen: Und diese Partei heißt eben CDU
       
       > Wie ticken die Sachsen? Warum wählen sie seit 1990 immer wieder „schwarze
       > Regierungen“?
       
   IMG Bild: Die Sachsen wählen gern schwarz, und sie schwimmen mit Fackeln in der Elbe – wie hier am Samstag in Dresden
       
       Bis 1933 machte Sachsen noch als das „rote Sachsen“ von sich reden – als
       Stammland der Sozialdemokratie. Seit 1990 dominiert jedoch unangefochten
       die CDU. Dass das auch künftig so bleibt, gilt mittlerweile als
       ungeschriebener Artikel null der Landesverfassung. Gründe dafür lassen sich
       an einer Hand abzählen:
       
       ## 1. Politische Denkungsart: bloß keine Experimente!
       
       Das „rote Sachsen“ – insbesondere des 19. Jahrhunderts – ist eher eine
       Episode der Geschichte, die mit der hier besonders radikalen
       Industrialisierung zusammenhängt. Denn Aufrührerei passt nicht zum Naturell
       der Sachsen. „Freimütigkeit ist hier nicht zu Hause, und bezüglich der
       politischen und religiösen Denkungsart steht der Sachse hinter seinen
       Nachbarn wenigstens um ein halbes Jahrhundert zurück“, schrieb schon 1795
       der Aufklärer und Reisereporter Georg Friedrich Rebmann.
       Politikwissenschaftler Stephan Dreischer von der TU Dresden erinnert daran,
       dass es parallel zum „roten Sachsen“ auch starke nationalliberale
       Strömungen gab. 1882 fand in Dresden der erste internationale
       Antisemitenkongress statt. 1933 erzielte die NSDAP in Sachsen fast 45
       Prozent der Stimmen.
       
       Die Volksdichterin Lene Voigt, der Kabarettist Bernd Lutz Lange oder der
       Schauspieler Tom Pauls in der Rolle der Ilse Bähnert haben das Selbstbild
       des „gemiedlichen Saggsn“ geprägt. Nicht dumm, aber einfältig und alles
       andere als revoluzzelnd. Nur nicht beim Kaffee durch Politik gestört
       werden. Hier passt der Slogan „Keine Experimente!“ von Erstkanzler
       Adenauer.
       
       Zur Selbsterzählung der Sachsen gehört aber auch, gelegentlich „Dynamit im
       Blut“ zu haben. In der finalen DDR des Jahres 1989 rappelte es zuerst bei
       Demonstrationen in Leipzig, Plauen und Dresden.
       
       ## 2. Biedenkopf-Erbe bis ins entlegenste Dorf
       
       Kurt Biedenkopf hat als erster Ministerpräsident nach 1990 geschickt sowohl
       den verkannten Stolz als auch das Harmoniebedürfnis der Sachsen bedient. Es
       war ein raffinierter und weit reichender Schachzug einer Gruppe von
       CDU-Neumitgliedern, mit dem Ruf an den konservativen West-Intellektuellen
       einen Funktionär der Blockpartei CDU Ost als Ministerpräsidenten zu
       verhindern. Umwege wie in Thüringen oder Sachsen-Anhalt blieben Sachsen
       erspart.
       
       „König Kurt“ entsprach nicht nur den heimlichen royalistischen Neigungen
       seiner Untertanen. Er stand als der eigentlich überlegene Kleine, der mutig
       den großen, dicken Helmut Kohl angebellt hatte, synonym für das historische
       Trauma der Sachsen als verhinderte europäische Großmacht.
       
       Die Einheit von Volk, Partei und Führung – von der SED stets vergeblich
       beschworen – war rund ein Dutzend Jahre lang Realität in Sachsen. Und diese
       Partei hieß eben CDU.
       
       Ihre führende Rolle überdauerte auch den Verlust des Biedenkopf-Bonus nach
       dessen eher peinlichem Abgang 2002. Nicht nur aus massenpsychologischen
       Gründen. Der langjährige Landes- und Fraktionsvorsitzende von PDS und
       Linkspartei Peter Porsch verweist auf Biedenkopfs „Lenin’sche
       Kaderpolitik“.
       
       Der Mann, der im Buch „Zeitsignale“ noch für Überparteilichkeit, gar für
       wechselnde Mehrheiten plädiert hatte, platzierte als Machtpolitiker „bis
       ins entlegenste Dorf und in den kleinsten Verein hinein“ Gefolgsleute der
       Union. Diese hegemonialen Strukturen tragen bis heute.
       
       ## 3. Das wirtschaftliche Ost-Musterländle
       
       Sosehr auch Sachsen nach der Währungsunion 1990 vom Zusammenbruch der
       ostdeutschen Wirtschaft mitbetroffen war – man blieb doch immer noch ein
       bisschen besser als die anderen. Was als Sachsen-Mythos der technischen
       Begabung, der „Fichelanz“ der Sachsen zugeschrieben wurde, hatte und hat
       großteils mit günstigeren Ausgangspositionen zu tun. Bis 1989
       erwirtschafteten die drei sächsischen Bezirke 40 Prozent der
       Industrieproduktion der DDR. Auch Forschungseinrichtungen und Hochschulen
       konzentrieren sich hier traditionell.
       
       Mit deftigen Subventionsködern stimulierte die Regierung Biedenkopf
       spektakuläre Neuansiedlungen. „Silicon Saxony“ beispielsweise, also die
       Halbleiterindustrie um Dresden, zählt ebenso zu den „Leuchttürmen“ wie die
       Autowerke von BMW, Porsche und VW bei Leipzig und Zwickau. Tragend bleibt
       allerdings der relativ stabile Klein- und Mittelstand.
       
       Zeitig drosselte Finanzminister Georg Milbradt die Neuverschuldung, so dass
       die Landesfinanzen als vorbildlich gelten können. Dank üppiger
       Steuereinnahmen verkraftet der Landeshaushalt den Rückgang der Zuschüsse
       aus dem Solidarpakt II, von der EU und aus dem Länderfinanzausgleich.
       Möglich sind jetzt sogar Wahlgeschenke bei den heißen Themen Lehrer- oder
       Polizistenstellen, die Kommunen bekommen 50 Millionen sofort für den
       Straßenbau.
       
       All das schafft eine „positive Rückkopplungsschleife“, die mit der CDU in
       Verbindung gebracht wird, sagt Politikwissenschaftler Dreischer. Nicht mal
       die zweitniedrigsten Durchschnittslöhne in Deutschland rufen eine
       Wechselstimmung hervor. Die Union holt relativ mehr Stimmen sogar in den
       abgehängten Regionen, was aber eher dem strukturellen Konservatismus in
       ländlichen Räumen zuzuschreiben ist.
       
       ## 4. Der nette Herr Tillich und die Methode Merkel
       
       Bilder wie auf den CDU-Großflächen hat man doch vor 30 und mehr Jahren auch
       schon gesehen! Der nette Herr Tillich mit und ohne Bauhelm, in jedem Fall
       aber mit bemüht kompetentem Blick, umringt von Werktätigen der
       verschiedensten Klassen und Schichten. Das ist „Der Sachse“, wie noch 2009
       plakatiert wurde, genau genommen der Sorbe, der ewig lächelnde Typ solider
       potenzieller Schwiegersohn. Mehr braucht es in dieser Phase Sachsens gar
       nicht an der Spitze. Keinen intellektuell brillanten Biedenkopf, der sich
       erregt einmischte, keinen cholerischen und beinharten Milbradt. Der
       55-jährige Stanislaw Tillich kann es sich leisten, vor fast jeder brisanten
       Debatte zu kneifen. Mit Mühe war er jetzt von der Presse zu einem Wahlduell
       zu bewegen.
       
       „Die Sachsen schätzen diese Politik der ruhigen Hand“, meint
       Politikwissenschaftler Hendrik Träger von der Uni Leipzig. Sie entspreche
       den Merkel-Effekten, sich bei Entscheidungen zurückzuhalten, dann aber an
       Trends anzuhängen. Verinnerlichter DDR-Opportunismus eben. Anders als in
       Thüringen oder bei den sächsischen Vorgängerregierungen blieben der
       Regierung Tillich außerdem personelle Skandale weitgehend erspart.
       
       ## 5. Opposition ohne Machtwillen
       
       „Wir wissen zwar nicht, was wir wollen, aber das mit ganzer Kraft!“ Das
       Bild, das die sächsische Opposition abgibt, erinnert an diese
       kabarettistische DDR-Losung. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, da sich ein
       Karl-Heinz Kunckel als Alternative zu Kurt Biedenkopf präsentierte und 1999
       ein 10,7-Prozent-Ergebnis für die SPD quittieren musste. Als Peter Porsch
       2004 für die PDS ähnlichen Ministerpräsidenten-Ehrgeiz an den Tag legte,
       wurde er mit einer Stasi-Kampagne überzogen. Ja, irgendwie möchten die
       heutigen Wahlkämpfer Martin Dulig (SPD) und Rico Gebhardt (Linke) schon
       auch mal Ministerpräsident werden. Ersterer jetzt aber noch nicht,
       letzterer sagt es besser nicht so laut.
       
       Seit dem Verlust der absoluten Mehrheit nach dem Biedenkopf-Abgang hat das
       linke Lager, wenn man überhaupt davon sprechen kann, in Sachsen nichts
       hinzugewonnen. 2004 war zwar die Union auf die SPD als Koalitionspartner
       angewiesen, aber die Sozialdemokraten wurden dafür 2009 mit lediglich 10,4
       Prozent Wählerstimmen abgestraft. Dennoch scheint außer bei der Linken die
       Verlockung größer, als Juniorpartner der CDU ein Häppchen von der Macht
       abzubekommen, als gemeinsam auf einen Machtwechsel hinzuarbeiten. Porsch,
       der fast 70-jährige Linken-Senior, vermisst den Machtwillen. Sein
       Nachfolger André Hahn und 2012 eine Gruppe von Abgeordneten aus Linken, SPD
       und Grünen hatten vergeblich versucht, bei so genannten
       „R2G“(Rot-Rot-Grün)-Gesprächen ein solches Linksbündnis zu sondieren.
       
       18 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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