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       # taz.de -- Islamischer Staat im Netz: Archaisches Leben, moderne Medien
       
       > Twitter, Facebook, Instagram: Der Islamische Staat wirbt mit einer
       > globalen Propaganda-Strategie für ein Leben nach brutalen Gesetzen.
       
   IMG Bild: Feinde im Fadenkreuz: Der IS-Propagandafilm „The Clanging of Swords IV“ erinnert ästhetisch an Hollywood-Blockbuster.
       
       Eigentlich ist es kein Wunder, dass gerade Vice es geschafft hat, ins Herz
       der Finsternis vorgelassen zu werden. Das New Yorker Medienunternehmen gilt
       als cool und zeitgemäß – Attribute, die der Islamische Staat, die unter dem
       Kürzel IS firmierende Terrorgruppe in Syrien und Irak, gern für sich nutzen
       würde.
       
       Ein Vice-Reporter hat sich von den brutalen Islamisten als embedded
       journalist einladen lassen. In der [1][Dokumentation „Der Vormarsch des
       Kalifats“] berichtet er aus dem Herzen des neuen Staatsgebildes und von
       dessen Front. Dass IS die Gonzo-Journalisten von Vice ausgewählt hat, fügt
       sich perfekt ein in das Puzzle seiner globalen Medienstrategie.
       
       IS ist in den sozialen Netzwerken überall präsent, auf Twitter, Facebook,
       Instagram, auf Notiz-Diensten wie justpaste.it und natürlich auf Youtube.
       Die offiziellen Accounts werden von den jeweiligen Plattformen zwar immer
       wieder gelöscht, erst in der vergangenen Woche hat Twitter Dutzende
       Nutzerseiten gesperrt. Accounts von IS-Sympathisanten sprießen jedoch
       überall. Beispiel Instagram: Der User „Aldawlhislam“ verbreitet auf der
       Foto-Plattform martialische Kampfszenen, die ikonische schwarze Flagge von
       IS, Bilder von Enthauptungen. Viele der Fotos sind mit schicken Farbfiltern
       bearbeitet, die kurzen Videos sind kommentiert oder mit Untertiteln
       versehen.
       
       Auf Youtube werden aus Videoschnipseln richtige Filme: „The Clanging of the
       Swords IV“ ist der bisher letzte Teil einer Propagandaserie über die
       Aktivitäten des Islamischen Staats, er ist aufwendig produziert, spielt mit
       Hollywood-ähnlichen Kameratechniken und ist über eine Stunde lang. Es gibt
       die an den Twitter-Duktus angelegte Videoreihe „mujatweets“ – hochauflösend
       gefilmte Botschaften aus dem Alltag der Mudschaheddin, der Kämpfer für den
       Dschihad. Und der deutsche Exrapper Denis Cuspert alias Abu Talha al-Almani
       lässt sich bei einer fröhlichen Schneeballschlacht filmen.
       
       ## „Enorm professionalisiert“
       
       Die umfassende Medienstrategie verfolgt zwei Ziele: Zum einen sorgen die
       Videos von Enthauptungen für blanken Schrecken in den Gebieten, die sich IS
       als nächste Ziele vornimmt. Zum anderen sollen die heroischen, aber oft
       auch betont lässigen Inszenierungen junge Menschen für den Dschihad
       begeistern, sie rekrutieren. Cuspert, der zwischenzeitlich schon für tot
       erklärte Exrapper, spielt hierbei womöglich eine aktive Rolle. Er soll ein
       wichtiger Teil des Al Hayat Media Centers sein, der Medienorganisation des
       Islamischen Staats. Ob das stimmt und wer sonst hinter dem Media Center
       steckt, liegt im Dunkeln.
       
       Fest steht, dass die Organisation ihr Handwerk versteht. Der Leipziger
       Islamwissenschaftler Christoph Günther forschte über Jahre zur Propaganda
       von Isis, wie sich IS bis vor Kurzem noch nannte: „Über die sieben Jahre
       meiner Untersuchung hat sich die Medienabteilung von Isis enorm
       professionalisiert, vor allem was die Qualität und die
       Verbreitungsmechanismen betrifft.“ Ursprünglich war das Vorbild al-Qaida,
       doch mit deren pixeligen Entführungsvideos lässt sich die heutige
       IS-Medienarbeit nicht vergleichen. Dabei wurde die Strategie innerhalb der
       Bewegung durchaus kritisiert, sagt Günther: „2005 und 2006 gab es online
       eine Diskussion, ob diese Popularisierung dem Elitecharakter nicht eher
       schade. Heute ist das aber eine neue Generation, die streuen ihre Inhalte
       so weit wie möglich.“
       
       ## Schlichte Ästhetik
       
       Diese Inhalte bestehen meist aus einer relativ einfachen Symbolik. Das
       wichtigste visuelle Zeichen ist die schwarze Flagge, die an die
       Kriegsflagge des Propheten Mohammed erinnert, mit seinem Siegelring und dem
       islamischen Glaubensbekenntnis. Gleichzeitig wird sie in den Videos so
       inszeniert, dass sie in ihrer Schlichtheit auch aus dem MacBook eines
       Berliner Designers stammen könnte. Für IS ist es kein Widerspruch, dass die
       Verbreitung ihrer archaischen Ideologie ohne Internet und moderne Technik
       schwer denkbar wäre.
       
       Der Syrien-Experte Ghiath Bilal erklärt das so: „Das Ganze ist letztlich
       auch ein Produkt der jeweiligen Staatssysteme. Beide Regierungen, die von
       Assad in Syrien und die von al-Maliki im Irak, haben ja die technischen
       Errungenschaften genutzt, um ihre Völker zu unterdrücken. IS hat die
       gleiche Struktur und verwendet deshalb auch die gleichen Propagandawaffen,
       allerdings mit einer anderen Ideologie.“
       
       Es ist schwer zu sagen, ob die Propaganda ankommt, ob IS auf junge Menschen
       attraktiv wirkt. Onlineaktivitäten sind trügerisch, können leicht
       manipuliert werden. Selbst das US-Außenministerium verbreitet unter dem
       Hashtag #ThinkAgainTurnAway seine eigenen „Wahrheiten über den
       Terrorismus“, wie es in der Account-Beschreibung heißt.
       
       Viel wichtiger als das Internet sei für IS aber die Arbeit vor Ort, sagt
       Bilal. „Es gibt in Syrien keine Angebote nach der Schule wie in
       Deutschland, Schwimmkurse, Musikunterricht oder so. Es gibt aber IS und
       deren Trainingscamps. Die Jugendlichen gehen dann eben dorthin.“ Nach
       dreieinhalb Jahren Krieg fehlt es jungen Männern dort an jeglicher
       Perspektive. Der Anspruch, einen vollständig funktionierenden Staat zu
       schaffen, schließt eben auch soziale Angebote mit ein: IS sammelt von den
       Reichen Geld und verteilt es an die Armen. Letztlich bietet IS einen Weg
       abseits der vorherrschenden, oft als westlich gebrandmarkten Norm. Wenn
       auch auf extreme und häufig zutiefst unmenschliche Art.
       
       ## Kinder dozieren über Dschihad
       
       Erschreckend ist dabei, wie gezielt sich IS junge Menschen heraussucht, die
       wohl als leichter formbar angesehen werden. „Offizielle Politik von IS ist,
       dass man ab 15 Jahren dabei sein kann, da wird ganz gezielt rekrutiert“,
       sagt Daniel Gerlach, Herausgeber von Zenith, einem deutschen Magazin über
       den Nahen Osten, Magreb und die muslimische Welt. „Man wünscht sich fast
       al-Qaida zurück.“ In der Vice-Reportage „Der Vormarsch des Kalifats“ werden
       noch viel Jüngere vor die Kamera gestellt und dozieren über den Dschihad,
       den rechten Zeigefinger nach oben gereckt als Symbol für die Einheit
       Gottes.
       
       Mittlerweile wendet sich IS auch direkt an den Westen, einerseits mit dem
       Ziel, Kämpfer zu rekrutieren, andererseits mit Aufrufen, das Kalifat zivil
       zu unterstützen. In der ersten Ausgabe seines aufwendig gestalteten
       Magazins Dabiq, die neben Arabisch und Englisch sogar auf Deutsch
       erschienen ist, wirbt IS um deutsche Ingenieure. Dabiq hat als Vorbild wohl
       das 2010 gegründete Al-Qaida-Magazin Inspire und komplettiert das breit
       gefächerte Medienangebot des Islamischen Staats, von Druck-Erzeugnissen
       über aufwendige Imagefilme zu Enthauptungsvideos in den sozialen Medien.
       
       Für Daniel Gerlach ist das aber keineswegs der Dschihad 2.0, den einige
       Medien herbeischreiben wollen. „IS hat auch das Branding nicht erfunden,
       das gab es bei al-Qaida alles schon vorher. Die Diskussion zeigt auch ein
       wenig die Absurdität der westlichen Wahrnehmung. Was IS hier macht, ist ja
       eigentlich eine klassische Methode der Kriegsführung.“ Eine gewisse
       „Selfie-Gewaltkultur“ breche immer dort hervor, wo Leute enthemmt seien.
       „Das war damals bei den US-Soldaten, die mit Leichenteilen posierten,
       genauso“, sagt Gerlach. „Mit dem einzigen Unterschied, dass es bei IS
       System hat.“
       
       So professionell und seriös die Medienerzeugnisse des Al Hayat Media
       Centers auch sind: Nicht alle Anhänger sind auf Linie. Der augenscheinlich
       mit den Extremisten sympathisierende Twitter-Nutzer „LifeofMujahid“ hat
       einen martialischen Sinnspruch auf sein Profilcover gestellt. Durch einen
       Tippfehler wurde aus „Wir verteidigen mit unserem Blut“ ein einfaches „Wir
       verteidigen ohne Blut“. Das wäre doch mal ein Anfang.
       
       19 Aug 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.vice.com/de/vice-news/der-vormarsch-des-kalifats-islamischer-staat-komplett-521
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christopher Resch
       
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