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       # taz.de -- Debatte Krieg im Irak: Die kurdischen Eliten versagen
       
       > Tausende Jesiden sind im Irak auf der Flucht. Der „Islamische Staat“ hat
       > zahllose von ihnen ermordet. Das ist auch die Schuld des Präsidenten
       > Barsani.
       
   IMG Bild: Jesidische Kinder in einem irakischen Flüchtlingscamp an der Grenze zur Türkei.
       
       Als im Juni der Krieg losging, „Islamischer Staat“ (IS) die Stadt Mossul
       einnahm und begann, sich im gesamten Irak auszubreiten, war der Präsident
       von Kurdistan-Irak gerade im Ausland und dachte nicht daran, seine Reise
       abzubrechen. Auch seine Partei, die Kurdische Demokratische Partei (KDP),
       kümmerte der Siegeszug von IS wenig. Stattdessen füllte sie zügig das
       Vakuum, das die fliehende irakische Armee hinterlassen hatte, mit Kämpfern
       der kurdischen Armee, der Peschmerga.
       
       Man wollte die Gelegenheit nutzen, um Kirkuk und andere außerhalb von
       Kurdistan-Irak liegenden und entsprechend umstrittene Gebiete zu erobern.
       Gegenüber IS verhielt sich die Kurdische Regionalverwaltung (KRG) defensiv.
       In die Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten wolle man sich nicht
       einmischen. Das ist nicht unser Krieg, so der Präsident Massud Barsani.
       Diese Einschätzung hat sich spätestens jetzt als fatal erwiesen.
       
       Mitte Juni versuchte IS, Bagdad einzunehmen. Nur die Intervention der
       iranischen Quds-Armee und der US-Truppen verhinderte einen Sieg. Barsani
       aber erfasste die Brisanz der Lage noch immer nicht. Der Expansionismus von
       IS entging ihm weiterhin. Wie ist das möglich: Quasi nebenan werden
       Menschen reihenweise abgeschlachtet, Zigtausende fliehen und man fragt sich
       nicht: Wann sind wir an der Reihe?
       
       Als IS dann am 2. August die kurdische, von Jesiden bewohnte Stadt
       Sindschar angriff, zog die KDP ihre Truppen kampflos ab.
       UN-Nachrichtendienste bestätigen das. Womöglich Zehntausende jesidische
       Kurden mussten in die Berge von Sindschar fliehen, um sich gegen diese
       Truppen der Finsternis zu schützen. Etwa 1.000 Jesiden wurden in der
       Sindschar-Stadt ermordet. Laut einiger Berichte soll IS auch 500 Frauen
       gefangen genommen haben, um sie als Sklavinnen zu verkaufen.
       
       Was Barsani und sein Sicherheitsapparat ignoriert haben: IS folgt der
       gleichen auf Völkermord abzielenden Ideologie wie die Anhänger der
       Baath-Partei, die in den späten 80ern in Anfal 182.000 kurdische
       Dorfbewohner ermordeten. Niemals werden die jesidischen Kurden der KDP
       diesen historischen Fehler verzeihen. Es wird Jahre dauern, bis sie sich
       von den fürchterlichen Ereignissen erholt haben.
       
       ## Kurdistan ist total korrupt
       
       Die sich dieser Tage unter unseren Augen ereignende Katastrophe hätte
       verhindert werden können. Doch die gegenwärtige kurdische
       Regionalverwaltung und sämtliche Kader der von Barsani geführten Kurdischen
       Demokratischen Partei haben es versäumt, die Peschmerga angemessen
       auszurüsten und zu trainieren. Warum zum Beispiel gab es in Maxmur keine
       Militärbasis?
       
       Der Chef der christlichen Partei Kurdistans, Dschunadan Kanna, sagte
       gegenüber der Sunday Times, die Leute seien geflohen, weil sie nicht darauf
       vertrauen konnten, dass die Perschmerga sie beschützen könnte. „IS-Kämpfer
       geben ihr Leben dafür, um mit dem Propheten Mohammad zu Mittag zu essen.
       Die Peschmerga-Kämpfer geben ihr Leben dafür, um mit ihren Frauen und
       Kindern zu Abend zu essen.“ Nur einige wenige Einheiten sind dem Kampf
       gegen IS gewachsen. Schuld daran sind aber nicht die Soldaten, sondern es
       ist die systematische Korruption der KRG.
       
       Nehmen wir den Neffen des Präsidenten, Sirwan Barsani. Sein Name steht
       exemplarisch für die notorische Korruption in der Hauptstadt Erbil und in
       ganz Kurdistan-Irak. Niemand von den Leuten auf der Straße glaubt daran,
       dass sich dieser Multimillionär für Kurdistan aufopfern würde. Der Rückzug
       von IS-Truppen aus Maxmur und Gwer ist allein das Ergebnis der
       US-amerikanischen Luftschläge.
       
       Ich will unsere Truppen nicht schlechtreden, doch wir sollten uns
       klarmachen, dass sie bislang noch keine wirkliche Schlacht gewonnen haben.
       Gerade erst verloren die Einheiten der Patriotic Union of Kurdistan (PUK)
       nach täglichen Angriffen in den letzten Monaten die Kontrolle über
       Dschalula. Die kurdische Regionalverwaltung verdammte die irakische Armee
       dafür, dass sie Mossul nach wenigen Stunden verloren hatte, doch das
       Versagen der Truppen der Kurdischen Demokratischen Partei in Sindschar war
       noch größer. Experten gehen davon aus, dass die PKK und die Kämpfer der
       syrischen kurdischen Truppen, der PYD/YPG, aus dem Norden und Westen
       Kurdistans Sindschar werden befreien müssen.
       
       ## Wir müssen uns selbst schützen
       
       Viele von uns, die im kurdischen Unabhängigkeitskampf seit Jahren kämpfen,
       haben schon viel Schreckliches gesehen. Aber jetzt will es mir einfach
       nicht in den Kopf, nach all dem, was wir Kurden erleiden mussten, dass
       jetzt Kurden in Sindschar wegen der Hitze und vor Hunger sterben und weil
       es kein Wasser gibt. Ich dachte, wir hatten schon genügend Tragödien und
       Massaker in unserer Geschichte. Dass eine Gruppe wie IS unsere Frauen und
       Kinder erneut massenweise töten würde, hätte ich mir bis vor kurzen nicht
       vorstellen können. Doch jetzt ist es klar:
       
       Unseren Streitkräften fehlen Profis und gebildete Leute. Die Leute, die
       sich um die zentralen strategischen Posten kümmern, verfügen nicht über die
       nötigen Kenntnisse, um eine wirkliche nationale Armee bilden zu können. Wir
       müssen die Lehren aus dem Massaker von Sindschar ziehen und die
       verantwortlichen Offiziere zur Verantwortung ziehen. Wir müssen die Rechte
       und Verantwortlichkeiten der Peschmerga neu definieren – als nationale
       Armee.
       
       Bislang verfügen wir nur über Milizen, die für die verschiedenen
       politischen Parteien arbeiten.Die Männer in Nord und in West-Kurdistan
       haben Kurdistan-Irak im Süden bewiesen, dass es möglich ist, eine solche
       verlässliche und effektive Armee zu formieren. In Syrien konnte IS in den
       letzten Monaten keinen Fußbreit von kurdischem Gebiet besetzen.
       
       Die Ereignisse in Syrien und Irak haben der Welt bewiesen, dass die
       kurdische Nation vereint ist und sich in schwierigen Zeiten gegenseitig
       unterstützt. Das ist die wichtigste Botschaft an die Feinde von Kurden und
       Kurdistan. Sie werden jetzt zweimal überlegen, bevor sie Teile von
       Kurdistan angreifen. Der Schutz von Kurdistan liegt übrigens ganz allein in
       der Verantwortung der Kurden.
       
       Dieser Text erschien in der [1][Kurdistan Tribune vom 11.August 2014]. Aus
       dem Englischen von Ines Kappert
       
       18 Aug 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://kurdistantribune.com/2014/who-will-defend-krg-south-of-kurdistan/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mufid Abdulla
       
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