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       # taz.de -- Energiegewinnung auf Kanaren-Insel: El Hierro ist Selbstversorgerin
       
       > Ein Pumpspeicherkraftwerk versorgt die ganze Insel mit erneuerbarer
       > Energie und Wasser. Damit ist El Hierro eine Öko-Attraktion – und
       > globales Vorbild.
       
   IMG Bild: El Hierro: Mit diesem Wasser können bei Flaute Turbinen zur Stromerzeugung angetrieben werden.
       
       EL HIERRO taz | Das Wahrzeichen von El Hierro ist ein großer Lorbeerbaum.
       „Garoé“ wird der genannt, er ist auch auf dem Wappen der Insel abgebildet.
       Auf der Höhe der Baumkrone schwebt dort eine dicke Regenwolke. An den
       Blättern des „Wunderbaums“ kondensierte einst so viel Feuchtigkeit aus den
       Wolken des Nordostpassats, dass sich kleine Tümpel bildeten, die die
       Ureinwohner mehrfach vor dem Verdursten retteten. So wird es zumindest
       erzählt.
       
       Das neue Wahrzeichen, das Trinkwasser aus dem Himmel auf die wasserarme
       Insel holt, ist aus Stahl und Beton. Ein „Wunderbaum des 21. Jahrhunderts“,
       so nennt das Pumpspeicherkraftwerk zumindest Chefingenieur Juan Manuel
       Quintero. El Hierro liegt im Atlantik vor der Küste Nordafrikas, eine
       bizarre Lavainsel mit höchst unterschiedlichen Klimazonen, gerade mal 270
       Quadratkilometer groß.
       
       Die kleinste der zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln weist seit Kurzem
       die größte ökologische Attraktion auf. Am 27. Juni ist auf El Hierro vor
       der Küste Afrikas das Pumpspeicherkraftwerk „Gorona del Viento“ in Betrieb
       gegangen, das auf global einmalige Weise Windstrom und Trinkwasser
       gleichzeitig produziert und damit die Insel zur Energie-Selbstversorgerin
       macht. Ein Modell, das für die weltweit 600 Millionen auf Inseln lebenden
       Menschen interessant sein dürfte, die bislang per Tankschiff und
       Dieselgeneratoren mit Fossilenergie versorgt werden.
       
       „Der Erneuerbaren-Traum ist Realität geworden“, sagte Inselpräsident
       Alpidio Armas auf der Einweihungsfeier. Bislang verbrauchten die knapp
       11.000 Einwohner der abgelegenen Vulkaninsel rund 6.000 Tonnen Heizöl im
       Jahr für die Produktion von Strom sowie Trinkwasser aus
       Meerwasserentsalzungsanlagen. Jetzt aber sind sie autark – bei sinkenden
       Strompreisen
       
       ## Süßwasser per Windstrom
       
       Das Funktionsprinzip des Kraftwerks: Der vorherrschende Passatwind treibt
       fünf auf einem alten Vulkankegel stehende Windanlagen an, die etwa 11,5
       Megawatt Strom liefern – mehr als die Spitzennachfrage von sieben Megawatt.
       Vor allem nachts, wenn kaum Elektrogeräte laufen, wird mit einem Teil des
       überschüssigen Windstroms Meerwasser entsalzen, ein anderer Teil der
       gewonnenen Energie pumpt Wasser aus einem unteren Becken in ein 150 Meter
       höhergelegenes.
       
       In diesem türkisblau schimmernden früheren Vulkankrater lassen sich bis zu
       380.000 Kubikmeter Wasser speichern, die bei Windmangel abgelassen werden
       und dann Stromturbinen antreiben. Das System kann so vier Tage Flaute
       kompensieren und sich gleichzeitig in nur sechs Sekunden auf das
       schwankende Gleichgewicht zwischen Stromangebot und -nachfrage einstellen;
       spezielle Schwungräder überbrücken die Entkopplung.
       
       Die ersten Pläne für die Anlage entstanden bereits vor 30 Jahren. Zwei
       Visionäre, der damalige Inselpräsident Tomás Padrón Hernández und sein Vize
       Javier Morales, entwickelten in den 1990er Jahren einen komplexen Plan für
       die „nachhaltige Entwicklung“ ihrer Heimatinsel, denn sie sollte nicht in
       Bettenburgen enden wie im benachbarten Teneriffa. Inspiriert wurden sie vom
       belgischen Ökovordenker Gunter Pauli, der die Entwicklung hin zur Ökoinsel
       mit seinem globalen Netzwerk der „Blue Economy“ unterstützte. Die schöne
       wie eigenwillige Inselnatur sollte geschützt und nur sanfter Tourismus
       gefördert werden. Die Unesco erklärte El Hierro im Jahr 2000 zum
       Biosphärenreservat – ein wichtiger Schritt hin zur „Ökoinsel“.
       
       ## Mülltrennung per WLAN
       
       Der moderne „Wunderbaum“ hat rund 82 Millionen Euro gekostet, ein Teil des
       Geldes kam von der Zentralregierung in Madrid. Die Inselgemeinde hält einen
       Anteil von 60 Prozent an der „Windkrone“, der spanische Energiekonzern
       Endesa 30 Prozent und das Kanarische Technologieinstitut weitere zehn. Die
       Inselgemeinde spart pro Jahr etwa zwei Millionen Euro für Dieselöl, und die
       Bewohner bezahlen nun ihre Rechnungen für Wasser und Strom direkt an die
       Gemeinde. Die Anlage dürfte sich innerhalb weniger Jahre amortisieren, sagt
       der Betreiber. Etwaige Gewinne sollen reinvestiert werden.
       
       Auch der Verkehr auf El Hierro soll bis zum Jahr 2020 vollständig mit
       erneuerbaren Energien laufen. Geplant sind 35 Aufladestationen für
       Elektroautos sowie die Förderung von Bussen, Gemeinschaftsautos und
       Radwegen. Ein kleiner Teil der rund 6.000 Autos auf El Hierro sind
       Müllentsorger, sie fahren seit Februar mit Biodiesel, der aus Altspeiseöl
       von Privathaushalten oder Restaurants gewonnen wird. Das
       Mülltrennungssystem, bestehend aus verschiedenfarbenen Tonnen am Wegesrand,
       ist für spanische Verhältnisse sehr weit entwickelt.
       
       Die Tonnen sind per Insel-WLAN mit dem Internet verbunden. Sind sie voll,
       melden Sensoren dies an die zentrale Recyclingstation, was unnötige
       Lasterfahrten vermeidet. Der für die Nutzer kostenlose Onlinezugang
       funktioniert bis hin zum windumtosten Leuchtturm auf der Südwestspitze, die
       der griechische Geograf Ptolemaeus im Jahre 150 nach Christus als
       Null-Meridian und Ende der bekannten Welt festgelegt hatte.
       
       ## Umstellung der Landwirtschaft
       
       Auch die Landwirtschaft soll sukzessive zu 100 Prozent auf Öko umgestellt
       werden. Die zumeist genossenschaftliche Herstellung von Wein, Bananen,
       Ananas oder Ziegenkäse ist neben dem Tourismus die Haupteinnahmequelle der
       Inselbewohner. Es gibt zwar noch nicht viele ökozertifizierte Betriebe,
       faktisch aber produzieren etliche schon „bio“. Bananengenossenschaften etwa
       stellen Ökofallen auf, statt Schädlinge per Chemiekeule zu töten.
       
       Und auch die Fischerei wurde zukunftsfähig gemacht: In Zusammenarbeit mit
       60 Fischersfamilien steckte die Inselregierung eine Zone ab, in der Fischen
       und Segeln seit 2004 verboten ist. Schon zwei Jahre später hatte sich der
       Fischbestand dort deutlich vergrößert. Touristen lieben nun diese Gegend,
       um zu schnorcheln. Und auch die Fischer profitieren: Sie holen auch
       jenseits des Schutzgebietes nun größere Fänge ein.
       
       Der Umbau zur „Ökoinsel“ scheint bei den Bewohnern gut anzukommen. „Das ist
       doch unsere einzige Chance“, sagen viele, „so abgelegen, wie wir sind“.
       Auch auf El Hierro hat die Wirtschaftskrise zugeschlagen, vor allem
       spanische Touristen blieben aus. Die Inselregierung unter Alpidio Armas
       hofft nun, diese Ausfälle wettzumachen. Siewill Touristen anlocken, die
       wissenschaftlich an der Ökoinsel interessiert sind, und solche, die einfach
       nachhaltig Urlaub machen wollen.
       
       17 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ute Scheub
       
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