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       # taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Der Segen der Mülltrennung
       
       > Als Streitthema taugt das Thema Recycling nicht mehr. Doch manchmal kann
       > es ganz hilfreich sein, wenn etwas in der falschen Tonne landet.
       
   IMG Bild: Große Auswahl: Mülltonnen in Deutschland. Und die Kinder rebellieren trotzdem nicht.
       
       Es war eine laue Sommernacht in Kreuzberg vor ungefähr fünfzehn Jahren. Wir
       saßen in der Kneipe am Kanal, tranken Bier und philosophierten, wie es nur
       junge Eltern tun. Womit, so grübelten wir, würden unsere Kinder gegen ihre
       schwer liberalen Eltern mal revoltieren? Freund S. war überzeugt: „Sie
       werden ihren Müll nicht trennen!“ Große Heiterkeit.
       
       Heute ist klar: Es gibt da schon noch einiges, von Heidi Klum über
       24-Stunden-WLAN-Zugang bis zum Berufswunsch BVG-Kontrolleur. Aber beim
       Mülltrennen steht kein Großkonflikt an. Das war anders, als Anfang der
       neunziger Jahre der Grüne Punkt eingeführt wurde.
       
       Da tobten bittere Öko-Schlachten um Verpackungsmüll, Joghurtbecher im
       Hochofen und die tote Katze im Gelben Sack. Gerichte und Parlamente wühlten
       tief in den Mülltonnen der Bürger. Jürgen Trittin konnte den Atomausstieg
       durchsetzen, seine Karriere als Umweltminister scheiterte aber fast am
       Dosenpfand.
       
       Heute ist die Mülltrennung eine Erfolgsgeschichte ohne ideologischen
       Überbau. Es gibt einen funktionierenden Markt für Altglas und Altpapier, um
       alte Klamotten ist ein heißer Streit entbrannt. Der Einstieg in die
       „Kreislaufwirtschaft“, den noch Umweltminister Klaus Töpfer propagierte,
       ist einigermaßen geschafft. Die Deponien sind geschlossen, Speisereste
       landen in der Biogasanlage.
       
       Nur beim Kunststoff weiß weiter niemand, wie man die Flut eindämmen soll
       oder was überhaupt in welche Tonne gehört. Erst kürzlich hat das
       Umweltministerium klargestellt, dass ein Kleiderbügel in den gelben Sack
       gehört, wenn er mit einem Kleidungsstück gekauft wurde. Wenn nicht, ist er
       Restmüll. Auch nicht schön: Es gibt immer mehr Verpackungen aus Plastik.
       Oder Plaste, wie der Ostdeutsche auch 25 Jahre nach Mauerfall noch sagt.
       
       Mülltrennung ist toll: Sie senkt den Rohstoffverbrauch, drosselt die
       Treibhausgase und raubt der Mafia eines ihrer ertragreichsten
       Geschäftsfelder. Sie zeigt, wie wir in Deutschland Umweltpolitik machen:
       Erst wird eine gute Idee in Gesetze gegossen. Dann kommen Ausnahmen und
       Novellierungen, und am Ende sind alle genervt – aber es funktioniert
       irgendwie.
       
       ## Eine Milliarde aus dem Nichts
       
       Beim Grünen Punkt kam noch dazu, dass hier aus Müll Gold wurde: Aus dem
       Nichts wurde ein Markt geschaffen, der knapp eine Milliarde Euro schwer
       ist. Bezahlt wird diese Jobmaschine mit den Abfallgebühren der Bürger und
       den Preisaufschlägen auf die Verpackungen. Am Ende entscheidet die
       Verbraucherin. Ich kenne Hausfrauen, die Joghurtbecher im Geschirrspüler
       reinigten, damit der gelbe Sack sauber bleibt.
       
       Wie segensreich allerdings gelegentlich auch ein etwas flexiblerer
       Öko-Umgang mit dem Müll sein kann, merken wir beim Kaffeetrinken bei
       Kollegin und Ressourcenexpertin H. Unsere Tochter Tina vergisst am
       Gartentisch ihre Zahnspange, fein säuberlich in einer Serviette
       eingewickelt. Abends Chaos: Wo ist das teure Ding? „Alles abgeräumt“, sagt
       die Kollegin.
       
       Am nächsten Tag hektische Suche in der Mülltonne der Hausgemeinschaft mit
       Gummihandschuhen und angehaltenem Atem. Aber wie beim „Tatortreiniger“ in
       der ARD fördern wir neben Grillasche, Windeln und Scherben nur die
       Fischgräten des Vortags zutage. Bis dann Expertin H. den sauberen
       Papiercontainer mit dem blauen Deckel öffnet: „Da, bitte!“ Oben auf den
       Zeitungen liegt die eingewickelte Zahnspange.
       
       Eigentlich gehört die benutzte Serviette nicht ins Altpapier, sondern zum
       Restmüll! Aber wir freuen uns, dass die Mülltrennung auch mal versagt.
       
       17 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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