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       # taz.de -- Zehn Jahre Berghain: Urschrei und Knäckebrot
       
       > Wer sich in dieser Stadt mit Pop beschäftigt, wem das Nachtleben etwas
       > bedeutet, der kommt am Berghain nicht vorbei. Zum Jubiläum.
       
   IMG Bild: Gehört mit zu den unangenehmsten Begleiterscheinungen der Berghain-Folklore: Sven Marquardts „harte Tür“.
       
       Von Deutschland darf nie wieder ein Urschrei ausgehen. Wolfgang Neuss’
       heiliger Unernst, im Berliner Berghain zählt er nicht. Dort herrschen
       andere Regeln, wie man etwa im November 2012 bei einem Konzert der New
       Yorker Popband Dirty Projectors erfahren durfte.
       
       In einem A-cappella-Part eines ihrer Songs gab ein Kritikerkollege
       affenartige Laute von sich, vielleicht als Akt der Transgression. Während
       die Umstehenden sein Gebrüll schulterzuckend zur Kenntnis nahmen, verloren
       die Musiker auf der Bühne die Fassung. Wer sich in dieser Stadt mit Pop
       beschäftigt, wem das Nachtleben etwas bedeutet, der kommt am Berghain nicht
       vorbei. So hat sich ein eigenartiges Kraftzentrum gebildet.
       
       Ohne die Musik gäbe es kein Berghain. Sie bringt die Vergnügungsmaschine
       auf Touren. Das wissen auch die Macher, die sehr genau darüber verfügen,
       welcher Sound zu ihrem Laden passt und welcher nicht. So wurde dem House-DJ
       Theo Parrish einmal untersagt, einen HipHop-Remix von J Dilla in seinem Set
       zu spielen, die Musik habe „zu viel Soul“.
       
       Immer wieder werden im Berghain geniale DJs und Bands aufgeboten. Längst
       führt das Berghain mit Ostgut Ton auch ein eigenes Label. „Aufregung,
       Glück, Anspannung, Angst“, in dieser Größenordnung beschreibt der DJ Ryan
       Elliott seine Gefühle vor seinem ersten Berghain-Engagement, nun hat er
       diese Emotionen bei seinem Mix für Ostgut Ton wieder zu evozieren versucht,
       wie er auf der Label-Homepage schreibt.
       
       ## Musik spielt beim Jubiläum eine untergeordnete Rolle
       
       Nun, wo allmählich die Jubiläumsfeiern zum zehnjährigen Bestehen des
       Berghain beginnen, spielt im Diskurs darüber ausgerechnet die Musik eine
       untergeordnete Rolle. Bedauerlich für diejenigen, die dem Sound im Club
       größere Bedeutung zumessen. Nachvollziehbar für eine Institution, die es in
       puncto Besucherströme locker mit der Berliner Museumsinsel aufnehmen kann.
       Die so viele Mythen generiert, dass sie selbst die legendenumrankte New
       Yorker Diskothek „Studio 54“ in den Schatten stellt. Die in puncto sexuelle
       Liberalität Immenses leistet.
       
       Dass nun der Türsteher Sven Marquardt seine Autobiografie veröffentlicht,
       erscheint in dieser Erzählung absolut konsequent. Über die Musik im
       Berghain verliert Marquardt kaum Worte, stattdessen ist zu erfahren, dass
       er gerne ein Knäckebrot zu sich nimmt, bevor er „zum Dienst“ geht, Gäste
       ins Berghain einlässt oder ihnen den Eintritt verwehrt.
       
       Marquardts „harte Tür“, für die er inzwischen auf der ganzen Welt
       gefürchtet ist, gehört mit zu den unangenehmsten Begleiterscheinungen der
       Berghain-Folklore. Dass die Tür in der clubeigenen Geschichtsschreibung nun
       aber eine Hauptrolle eingenommen hat, muss man aushalten können. Man kommt
       am Berghain nicht vorbei. Und jetzt bitte die Musik wieder lauter machen.
       
       16 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
       ## TAGS
       
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