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       # taz.de -- Bruttoinlandsprodukt in Deutschland: Jetzt wird wieder in die Vene gedrückt
       
       > Auch Drogenhandel und Schwarzarbeit zählen künftig zum deutschen
       > Bruttoinlandsprodukt. Es dürfte trotz schlechter Basisdaten deutlich
       > steigen.
       
   IMG Bild: Hier wird mal wieder das Bruttoinlandsprodukt gesteigert.
       
       HAMBURG taz | Die Bundesregierung kann es gar nicht abwarten, dass sich
       ihre Bilanz verbessert: Schon im zweiten Quartal wird das
       Bruttoinlandsprodukt (BIP), also die Summe aller produzierten Waren und
       erbrachten Dienstleistungen, nach den neuen EU-Regeln berechnet, die
       eigentlich erst ab dem nächsten Quartal vorgeschrieben sind.
       
       An diesem Donnerstag präsentiert das Statistische Bundesamt in Wiesbaden
       die neuen Zahlen, die sich durch die neue Berechnung gravierend verändern
       werden: Das BIP dürfte einen Sprung um 3 Prozent machen – und diesen Erfolg
       wollte die Bundesregierung vermutlich schon kurz vor den wichtigen
       Landtagswahlen verkünden.
       
       Grund für die deutliche Steigerung sind einige Änderungen, die durchaus
       Zündstoff bergen. Prostitution wurde zwar in Deutschland – im Gegensatz zu
       vielen anderen EU-Staaten – auch bisher schon zum BIP gerechnet. Nun sollen
       aber auch Drogengeschäfte und Schwarzarbeit berücksichtigt werden. Da
       hierfür keine verlässlichen Zahlen vorliegen, muss das Statistische
       Bundesamt auf Schätzungen zurückgreifen.
       
       Auch Militärausgaben und quasi virtuelle Werte wie Forschung und
       Entwicklung in Unternehmen werden zukünftig hineingerechnet. „Durch die
       Revision rechnet sich Deutschland reicher“, kommentiert der Rostocker
       Wirtschaftswissenschaftler Dieter Brümmerhoff. So werde das
       Bruttoinlandsprodukt wie schon bei den früheren Revisionen merklich höher
       ausfallen, warnten auch andere Statistikexperten bereits vor Monaten.
       
       ## Aufweichung des BIP-Begriffs
       
       Am Dienstag äußerte ein Sprecher von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
       (SPD) die Erwartung, dass das BIP sogar „um rund 3 Prozent“ steigen werde.
       Ein politisch angenehmer Nebeneffekt des höheren BIP: Die Schuldenquote,
       die im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung berechnet wird, sinkt
       automatisch. Davon profitieren vor allem die wirtschaftlich angeschlagenen
       EU-Länder wie Griechenland oder Italien.
       
       Die Donnerstag früh von Destatis veröffentlichten vorläufigen Ergebnisse
       weisen zwar ein Minus des Bruttoinlandsproduktes im zweiten Quartal von 0,2
       Prozent auf, gegenüber dem Vorquartal. Aber auch die früheren Basisdaten
       wurden bereits nach der neuen Berechnungsmethode nach oben „korrigiert“.
       
       Für die Reform gibt es indes gute Argumente. Mit dem „Europäischen System
       Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010“ wird auf das neue, weltweit
       bald übliche System der Vereinten Nationen umgestellt. Damit sollen
       makroökonomische Daten, an denen sich Politiker, Manager und auch
       alternative Nichtregierungsorganisationen immer stärker orientieren, besser
       vergleichbar werden. Veranlasst wurde die Revision von EU-Rat und
       Europäischem Parlament. Begründet wurde sie kurioserweise mit der besseren
       Vergleichbarkeit innerhalb der EU. Dabei wurden bislang alle Euro-Beitritte
       und Rettungspakete an diesen unvergleichlichen Zahlen für BIP und
       Staatsschulden festgemacht.
       
       Kritiker weisen auf die weitere Aufweichung des volkswirtschaftlich
       zentralen BIP-Begriffs hin. Schätzungen über Mafiaaktivitäten oder
       Militäreinsätze im Ausland pushen das Wachstum; andererseits steigern
       private Hausarbeit oder die familiäre Betreuung von Kindern und Angehörigen
       das Bruttosozialprodukt nicht. Von einer „Idee des guten Lebens“, wie sie
       der Club of Rome oder der Deutsche Gewerkschaftsbund schon in den achtziger
       Jahren andachten, findet sich auch im neuen Zahlenwerk wenig.
       
       14 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hermannus Pfeiffer
       
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