URI: 
       # taz.de -- Aufkleber: Museum der Klebedinger
       
       > Street Artists, Skater und Musikfans kleben sie: In seinem Stickermuseum
       > zeigt Oliver Baudach rund 4.500 Aufkleber.
       
   IMG Bild: Eine Fundgrube für Oliver Baudach
       
       Wenn Oliver Baudach über die Straße geht, nimmt er gern Abwasserrohre und
       Mülltonnen ins Visier. „Bloß nichts verpassen“, sagt der 43-Jährige. „Es
       ist unfassbar, was für Kostbarkeiten auf der Straße zu finden sind.“ So
       eine wie der „Star Wars“-Stormtrooper mit rotem Kussmund auf dem Helm
       beispielsweise, der lange an einer Ecke in Friedrichshain klebte. „Den habe
       ich bis heute nicht vergessen“, schwärmt Baudach.
       
       Der Mann spricht von Aufklebern. Seit 30 Jahren ist er begeisterter
       Sammler. 2008 hat Baudach seiner Leidenschaft ein kleines Museum gewidmet,
       das er 2012 jedoch aus finanziellen Gründen schließen musste. Dieses
       Frühjahr feierte er Wiedereröffnung in der Schreinerstraße in
       Friedrichshain.
       
       Knapp 30.000 bunte Sticker besitzt Baudach, und 4.500 davon stellt er in
       seinem 92 Quadratmeter großen Stickermuseum aus. Die meisten sind von
       Street Artists – Aufkleber mit dem US-Präsidenten Obama mit blutigen
       Lippen, Aliens ähnelnden Comicfiguren oder Sprüchen wie „Ich klebe, also
       bin ich!“ Die im Museum nicht gezeigten Sticker lagert Baudach in Kisten,
       sortiert nach Künstlern, Ländern, Firmen. „Ich kenne alle“, sagt er.
       Unterteilt sind die zwei Räume des Museums in die Themen Skateboarden,
       Streetwear, Musik und Streetart. In großen Rahmen sind jeweils Dutzende
       Sticker vereint. „Das Museum soll die Straße widerspiegeln“, sagt Baudach.
       „Dort sieht man auch wilde Collagen von Motiven und Sprüchen.“
       
       Wer zu ihm in sein Museum kommt, hat meist von Freunden oder über soziale
       Netzwerke davon erfahren. Für Werbung hat Baudach kein Budget. 80 bis 100
       Stickerfans finden jeden Monat den Weg in die Schreinerstraße. Kürzlich war
       auch ein Australier da, von dem Baudach erfahren hat, dass sein Museum auf
       der Internetseite [1][Atlasobscura.com] als kuriose Sehenswürdigkeit in
       Berlin gelistet ist. Baudach war schon als 13-Jähriger verrückt nach
       Stickern, vor allem von Skateboardmarken. Später hatte er einen eigenen
       Skateshop und bekam von Firmen regelmäßig Dutzende Aufkleber. Doch erst als
       er vor 14 Jahren aus Speyer nach Berlin zog, realisierte er, wie groß die
       Stickerkultur und ihre Szene sind.
       
       Irgendwann googelte er, ob es ein Museum für Sticker gebe. Gab es nicht. Er
       tat einen Sponsor aus der Skateboardindustrie auf, pumpte seine Eltern an
       und eröffnete 2008 sein erstes Museum. Rund 8.000 Euro Startkapital
       reichten für die ersten Mieten und die Bilderrahmen.
       
       Parallel baute Baudach einen Versand auf, um mit dem Onlineverkauf von
       Stickern sein Liebhabermuseum zu finanzieren. Es gibt einzelne Sticker für
       50 Cent, aber auch überdimensional große Kunstwerke für knapp 50 Euro. „Die
       Masse macht’s“, sagt Baudach. Jeden Monat verschickt er bis zu 1.500
       Aufkleber. Als vor einiger Zeit das sogenannte Stickerbombing Mode war und
       Leute ihre Autos komplett beklebten, verkaufte er etliche Male auch tausend
       Sticker auf einmal. „Der Ebay-Markt für Sticker ist gigantisch“, sagt er.
       Für limitierte Auflagen aus den 70ern werden in Szenekreisen bis zu 250
       Euro bezahlt. Baudach hat Kunden in den USA, Australien, Südamerika.
       Sticker für das Museum schicken ihm Künstler aus Indonesien, Südafrika oder
       der Türkei. Fast alle Graffiti- und Stencilkünstler greifen auch zum
       Sticker. „Man kann sich damit schnell mit seiner Kunst in der Stadt
       verbreiten“, sagt Baudach. Auch Stickerkünstler bleiben übrigens meist
       anonym. Baudach kennt viele von ihnen, doch oft rätselt auch er, ob
       derjenige, der ihm einen Sticker ins Museum brachte, der Künstler
       persönlich war.
       
       Ab 12. September zeigt Baudach zusammen mit einer Stickersammlerin aus den
       USA eine Ausstellung mit politischen Stickern – von Fußball-Ultras und der
       Antifa, vom Arabischen Frühling und aus der Ukraine. Die Aufkleber von
       Labels müssen in dieser Zeit weichen. Grundsätzlich aber gehören Sticker
       von Skateboard- und Streetwearfirmen für Baudach dazu. „Die Branche hat
       dazu beigetragen, dass die Stickerkultur sich entwickelt hat“, sagt er.
       Viele Firmen arbeiteten schon in den 70ern für Motive auf T-Shirts oder
       Boards mit Künstlern zusammen.
       
       Fragt man Baudach, warum Berlin ein Stickermuseum brauche, gerät der
       43-Jährige in Fahrt. Es wurmt ihn, dass Sticker als Kunstform „nicht so
       ernst genommen werden wie Graffitis oder Stencils“ und „das Stiefkind“ der
       Streetart seien. Natürlich sieht er selbst das anders: „Es sind kleine
       Kunstwerke mit einer unheimlich großen Energie“, betont er. „Du läufst über
       die Straße, denkst an nichts, und auf einmal siehst du einen kleinen
       Sticker, der dich stehen bleiben und ’Wow, cooles Motiv, cooler Spruch‘
       sagen lässt.“ Sicher hat Baudach für so einen Moment, in dem man sich von
       einem Sticker bannen lässt, ein sehr spezielles Auge. Er hat jedoch
       beobachtet: „Mit diesem Blick verlassen auch viele Besucher das Museum.“
       
       Das Hatch Stickermuseum ist in der Schreinerstraße 10 in Friedrichshain. Es
       ist mittwochs bis samstags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet
       2,50 Euro. [2][www.hatchkingdom.com] 
       
       Siehe auch: [3][Das Streetart-Blog] der taz
       
       6 Aug 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://Atlasobscura.com
   DIR [2] http://hatchkingdom.com/
   DIR [3] http://blogs.taz.de/streetart/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Emmerich
       
       ## TAGS
       
   DIR Street Art
   DIR Sticker
   DIR Museum
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA