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       # taz.de -- Gesundheitspolitik für Homosexuelle: Böses Blut
       
       > Homo- und bisexuelle Männer dürfen nicht Blut spenden. Viele sehen darin
       > eine Diskriminierung. Ein Wahlberliner hat nun eine Petition gestartet.
       
   IMG Bild: Ist schwules Blut weniger wert?
       
       BERLIN taz | Hatten Sie als Mann Sex mit einem anderen Mann? „Ja“, kreuzte
       Alexander Siebert* damals im Fragebogen an. Er war gerade 18 geworden und
       wollte Blut spenden. Ein Arzt erklärt ihm damals, dass er das als
       homosexueller Mann nicht darf, weil er wegen seiner Sexualität einer
       Risikogruppe zugeordnet wird. Das war 2004. Auch jetzt, zehn Jahre später,
       darf Siebert noch nicht Blut spenden. Und das, obwohl er immer in monogamen
       Beziehungen gelebt und auf Safer Sex geachtet hat. „Nur weil ich
       homosexuell bin, wird mir ein Risikoverhalten unterstellt“, sagt er. „Für
       mich ist das ganz klar Diskriminierung.“ Diskriminierung, die auf einem
       Vorurteil gegenüber Schwulen basiert. „Mein Sexualleben birgt auch nicht
       mehr Risiken als das von heterosexuellen Menschen“, sagt er empört.
       
       Diese Meinung teilt auch Creative Director Veit Moeller von der Berliner
       Agentur DDB Tribal. Einer seiner besten Freunde sei schwul, erzählt
       Moeller. „Er ist während des Studiums zum Blutspenden gegangen und hat sich
       jahrelang verleugnen müssen. Das hat mich schockiert.“ Zusammen mit seinen
       Arbeitskollegen hat er deswegen vor einigen Wochen die [1][Initiative Bunt
       Spenden] ins Leben gerufen. Per Petition will er nun 50.000 Stimmen
       sammeln, um sie anschließend bei der Bundesärztekammer einzureichen.
       
       Die aber tut sich mit dem Thema schwer. 2012 tagte der sogenannte
       Arbeitskreis Blut, ein wissenschaftlicher Ärztebeirat, der den Ausschluss
       von „MSM“, also Männer, die Sex mit Männern haben, vom Blutspenden
       diskutierte – und schließlich eine Empfehlung abgab. Sie beinhaltet eine
       Zurückstellung, die auf ein Jahr befristet ist. Das heißt, dass MSM, Blut
       spenden dürfen, wenn ihr letzter Sexualkontakt mindestens ein Jahr
       zurückliegt. Trotz dieser Empfehlung hat sich an der bestehenden Regelung
       nichts geändert. Man wolle die Sicherheit der Empfänger der Blutpräparate
       gewährleisten, so die Bundesärztekammer. Zu den Gründen, warum die
       Empfehlung des Arbeitskreises keine Umsetzung fand, äußerte sich die Kammer
       auch auf mehrfache Nachfrage nicht.
       
       Über 26.000 Stimmen, also mehr als die Hälfte der benötigten 50.000, sind
       mithilfe der Petition bereits zusammengekommen. Viele Ärzte sprechen sich
       auf der [2][Petitionsplattform change.org] in Kommentaren für eine Änderung
       der Regeln aus. Auch Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut sieht die
       Regelung kritisch. Bei homo- und bisexuellen Männern bestünde kein höheres
       Risiko, sagt sie. Vorausgesetzt, ihr letzter Sexualkontakt liegt mindestes
       ein Jahr zurück. „Wir stehen hinter der Empfehlung, die der Arbeitskreis
       Blut ausgesprochen hat.“ Im Vergleich mit anderen Ländern, in denen es
       keinen Dauerausschluss der MSM gibt, sei außerdem kein höheres
       Aids-Infektionsrisiko bemerkbar, sagt sie.
       
       ## Hitzlsberger unterstützt
       
       Nach der bisherigen Praxis sollen durch den Fragebogen noch vor einer
       Blutspende Menschen ausgeschlossen werden, die aufgrund bestimmter
       Kriterien einer potenziellen Risikogruppe angehören. Zu den Risikogruppen
       zählen auch heterosexuelle Menschen. Jedoch gibt es eine entscheidende
       Einschränkung: Nur wer in der Vergangenheit häufig wechselnde Sexualpartner
       hatte, darf nicht Blut spenden. Bei Schwulen und Bisexuellen gibt es diese
       Unterscheidung nicht. Sie werden pauschal abgelehnt.
       
       In Veit Moellers Stimme liegt Enttäuschung: „Deutschland gibt sich auf der
       einen Seite immer so liberal, auf der anderen Seite findet diese komplette
       Diskriminierung statt. Das finde ich verlogen.“ Nun bekommt seine
       Initiative auch prominente Unterstützung: „Von Exfußballnationalspieler
       Thomas Hitzlsperger“, sagt Moeller stolz. Er will das Thema an die
       Öffentlichkeit bringen, koste es, was es wolle. Bisher war das eine ganze
       Menge: 20.000 Euro und Stunden unbezahlter Arbeit an freien Tagen und nach
       Feierabend.
       
       Auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) ist mit an Bord.
       Manfred Bruns ist dessen Vorstandsmitglied und macht in erster Linie den
       Bluthandel dafür verantwortlich, dass an den bestehenden Regeln
       festgehalten wird. Wenn homosexuelle Männer in Deutschland Blut spenden
       dürften, könne das Blut nicht mehr in Länder mit strengeren Richtlinien
       verkauft werden, erklärt er. „Die großen Blutspendedienste befürchten einen
       Einbruch ihrer Geschäfte.“
       
       Die Ärztekammer beruft sich auf die Richtlinie 2004/33/EG der Europäischen
       Kommission. Die schreibt den Ausschluss vor von „Personen, deren
       Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare
       schwere Infektionskrankheiten birgt“. Sie spricht jedoch nicht explizit von
       homo- und bisexuellen Männern. Vereine wie der LSVD argumentieren deswegen,
       dass ein Ausschluss aufgrund des Sexualverhaltens, nicht aber aufgrund der
       sexuellen Identität stattfinden sollte.
       
       Wahr ist aber auch: Die Angst vor infizierten Blutspenden ist nicht
       unbegründet. Nach einer Schätzung des Robert-Koch-Instituts lebten 2012
       rund 63.000 Männer mit einer Aids-Erkrankung. 51.000 von ihnen hatten schon
       einmal sexuellen Kontakt mit einem anderen Mann. „Das Risiko, dass eine
       Infizierung mit dem HI-Virus im Blut nicht entdeckt wird, ist heute sehr
       gering“, sagt die Ärztin Susanne Stöcker. Dennoch: Bei jeder Infektion gebe
       es ein sogenanntes diagnostisches Fenster, einen Zeitraum, in dem die
       HI-Viren im Blut noch nicht nachgewiesen werden können. „Mit dem direkten
       Virustest beschränkt sich dieser Zeitraum auf wenige Tage, maximal eine
       Woche. Trotzdem wird man dieses diagnostische Fenster niemals vollständig
       schließen können“, sagt Stöcker – weder bei Heteros noch bei Homo- oder
       Bisexuellen.
       
       ## Höheres Risiko
       
       In den letzten 20 Jahren hat es nach Angaben des Paul-Ehrlich-Institut
       insgesamt sechs Fälle gegeben, bei denen eine Übertragung der Krankheit
       durch infizierte Blutkonserven stattfand. In fünf der sechs Fälle hatten
       die Spender beim Ausfüllen des Fragebogens gelogen, weil sie zu einer
       Risikogruppe gehörten. Aber nur zwei davon fielen in die Gruppe der MSM.
       
       „Solch ein sexuelles Risikoverhalten wird in Deutschland immer in die Ecke
       der Schwulen geschoben“, sagt Moeller. „So nach dem Motto: Das sind
       Schwule, die haben Aids.“ Dabei gebe es auch viele homosexuelle Männer, die
       in monogamen Beziehungen leben und mit ihrem Blut anderen Menschen helfen
       könnten.
       
       Dieser Ansicht ist auch Stöcker. Aber wie in heterosexuellen Beziehungen
       kommt es auch in homosexuellen Beziehungen zu Seitensprüngen mit
       ungeschütztem Verkehr. „Der Bevölkerungsanteil der Männer, die Sex mit
       Männern haben, macht nur etwa 5 Prozent aus“, gibt Stöcker zu bedenken.
       „Deshalb ist das Risiko, bei einem Seitensprung auf einen infizierten
       Partner zu treffen, um ein Vielfaches höher als bei heterosexuellen
       Menschen.“ Aber rechtfertigt das den Ausschluss einer ganzen Gruppe?
       
       Der Arzt, mit dem Alexander Siebert damals sprach, sah in seiner Sexualität
       kein Problem. „Er hat mir einen neuen Fragebogen gegeben und meinte, ich
       solle ihn einfach noch einmal ausfüllen und die Frage anders beantworten“,
       sagt Siebert. Zunächst war er verdutzt, dann unsicher, was er tun sollte.
       Er sollte seine Sexualität verleugnen. Und damit gegen die Regeln
       verstoßen. Wer eine wissentlich falsche Aussage im Fragebogen macht, muss
       mit einer Strafanzeige wegen Körperverletzung oder sogar Tötung rechnen.
       
       Hatten Sie als Mann Sex mit einem anderen Mann? „Nein“, kreuzte Alexander
       Siebert in dem zweiten Fragebogen an.
       
       *Name geändert
       
       6 Aug 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.buntspenden.de/de/
   DIR [2] http://www.change.org/de/Petitionen/hermann-gr%C3%B6he-schluss-mit-der-diskriminierung-von-bi-und-homosexuellen-m%C3%A4nnern-bei-blutspenden
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lisa Opitz
       
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