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       # taz.de -- Kolumne Besser: Der Holocaust, Israel und du
       
       > Vor lauter nachträglicher Empathie für die ermordeten Juden hast du keine
       > für die lebenden – jedenfalls keine, die ohne ein großes „Aber“ auskäme.
       
   IMG Bild: „Ein Mahnmal, zu dem man gerne hingeht“ (Gerhard Schröder): Deutsche Fans vor dem WM-Finale am Holocaust-Mahnmal.
       
       Du lässt dir nicht den Mund verbieten. Mehr noch: Auf den [1][moralischen
       Imperativ], Israel nicht kritisieren zu dürfen, antwortest du: „Ich muss
       sogar.“ Es klingt nach Bürde und Pflicht – und ein wenig zwanghaft.
       
       Aber du hast es auch nicht leicht. Du weißt, dass deine Vorfahren nicht
       ganz koscher waren; logisch, du bist ja nicht blöd. Natürlich hast du dich
       mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Du hast um Anne Frank
       getrauert und mit den Schindlerjuden gefiebert. Du hast eine ansehnliche
       Sammlung Judaica und ausgewählte Klezmer-Alben im Regal.
       
       Du weißt zwar nicht exakt, was Opa an der Ostfront gemacht hat (und nicht,
       ob er vielleicht auch ein bisschen Widerstand war), aber nachdem Opa unter
       der Erde und das Erbe eingestrichen war und auch sonst kein Parteigenosse
       mehr herumspukte, hast du die Geschichte deines Dorfs, deines Instituts,
       deiner Firma, deiner Behörde und deines Fußballklubs aufgearbeitet. In der
       Aufarbeitung von Geschichte macht dir niemand etwas vor.
       
       Du hast Jürgen Habermas’ Rat im „Historikerstreit“ befolgt und „nach
       Auschwitz“ nationales Selbstbewusstsein nicht aus deiner „unbesehenen,
       sondern kritisch angeeigneten Geschichte“ geschöpft. Dabei hast du dir
       nicht vom Flakhelfer Martin Walser reinreden lassen, der gegen die
       „Dauerpräsentation unserer Schande“ gestänkert hatte. Stattdessen hast du
       mitten in der Hauptstadt ein Mahnmal errichtet – eines, zu dem die Leute
       dem Wunsch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder entsprechend „gern
       hingehen“.
       
       Andere Leute haben die Bastille gestürmt oder die Demokratie erfunden, wir
       haben die Juden umgebracht (und wurden dafür, was auch nicht völlig zu
       vernachlässigen ist, ausgebombt). Man kann es sich eben nicht aussuchen.
       Aber du stellst dich wenigstens dieser Vergangenheit.
       
       ## Nationales Selbstbewusstsein
       
       Und daraus leitest du nicht nur „nationales Selbstbewusstsein“ ab, sondern
       auch das, was du „besondere Verantwortung“ nennst. „Der Massenmord an den
       Juden verpflichtete, so meint man, Deutschland dazu, Israel mit Lob und
       Tadel moralisch beizustehen, damit das Opfer nicht rückfällig werde. Zwei
       angezettelte Weltkriege böten, so meint man weiter, die besten
       Startbedingungen, wenn es um den ersten Platz unter den
       Weltfriedensrichtern und Weltfriedensstiftern geht, frei nach der
       jesuitischen Devise, dass nur ein großer Sünder das Zeug zum großen
       Moralisten habe“, schrieb Wolfgang Pohrt vor dreißig Jahren. Er meinte
       dich.
       
       Denn vor lauter nachträglicher Empathie für die ermordeten Juden hast du
       keine für die lebenden – jedenfalls keine, die ohne ein großes „Aber“
       auskäme. Dafür berufst du dich, wenn es um Israel geht, gern auf ein paar
       lebende Juden. Du bestehst darauf, dass Israel nicht identisch ist mit den
       Juden, womöglich sprichst du sogar von „Zionismus“. Sicher lehnst du den
       Antisemitismus ab. Aber du kapierst nicht, dass „Schindlers Liste“
       Geschichte ist und nun der Staat Israel an die Stelle dessen getreten ist,
       das früher „Weltjudentum“ hieß. Und diesem winzigen Flecken Erde, dem Staat
       der Überlebenden, hast du am allerwenigsten Ratschläge zu erteilen. Du am
       wenigsten.
       
       Besser: Du lässt es.
       
       5 Aug 2014
       
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