URI: 
       # taz.de -- Diskriminierung: Geschlecht: inter/divers
       
       > Ein zweigeschlechtlicher Mensch versucht, beim Standesamt den
       > Geschlechtseintrag zu ändern. Die 25-jährige Person will „inter“ sein.
       > Klappt das nicht, will sie klagen
       
   IMG Bild: Weder Mann noch Frau, sondern beides - die dritte Option.
       
       HAMBURG taz | Es soll ein Präzedenzfall geschaffen werden: Eine 25-jährige
       Person hat beim Standesamt Gehrden bei Hannover die Änderung ihres
       Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde beantragt. Sie möchte den Eintrag
       aber nicht von „weiblich“ zu „männlich“ ändern, sondern als Geschlecht
       „inter/divers“ eintragen lassen. Vanja wurde von ihren Eltern als Mädchen
       ins Geburtenregister eingetragen. „Ich bin jedoch keine Frau“, schreibt sie
       in dem Änderungsantrag, welcher der taz vorliegt. Aber auch „eine Änderung
       des Eintrags, dass ich ein Mann bin, würde nicht der Wahrheit entsprechen“,
       steht dort, und weiter: „Einzig ein alternativer Eintrag würde den
       Tatsachen entsprechen.“ Das Standesamt Gehren sah sich nicht befugt für die
       Änderung. Nun liegt der Fall beim Amtsgericht Hannover. Vanja will notfalls
       bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.
       
       Das in einem solchen Fall zum Tragen kommende Gesetz ist das
       Personenstandsgesetz, das Belange von Geburt, Eheschließung und Tod regelt.
       Ein anderer Eintrag als „männlich“ oder „weiblich“ in der Geburtsurkunde
       ist danach nicht vorgesehen. Allein ein Nicht-Eintrag des Geschlechts ist
       seit einer Erweiterung des Gesetzes im letztem Jahr möglich: Wenn ein Kind
       nach der Geburt weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht
       zugeordnet werden kann, ist nach §22 „der Eintrag offen zu lassen.“
       
       Die Gesetzeserweiterung erfolgte auf eine Stellungnahme des Ethikrates zur
       Lebenssituation intersexueller Menschen in Deutschland. Die Bundesregierung
       hatte den Ethikrat mit einer solchen Stellungnahme beauftragt, nachdem sie
       2009 von den Vereinten Nationen gerügt worden war, weil intersexuelle
       Menschen in Deutschland nicht ausreichend vor Diskriminierung geschützt
       seien.
       
       Schätzungen zufolge leben in Deutschland derzeit 100.000 Menschen, die sich
       nicht als männlich und nicht als weiblich verstehen, sondern ihr Geschlecht
       jenseits der binären Ordnung sehen. Bei einem von 5.000 Neugeborenen ist
       das Geschlecht nicht eindeutig zu bestimmen. Bis Ende letzten Jahres
       mussten sich die Eltern eines Kindes spätestens eine Woche nach der Geburt
       für ein Geschlecht entscheiden. Eine Entscheidung, die eine Identität prägt
       und oft mit extremen psychischen Belastungen für die Betroffenen
       einhergeht, wie Intersexuellenverbände immer wieder kritisieren.
       
       Aber auch an der Lücke beim Geschlechtseintrag gibt es viel Kritik.
       Organisationen, die sich für die Interessen Intersexueller einsetzen, wie
       der Verein „Transinterqueer“ oder die Menschensrechtsgruppe
       „Zwischengeschlecht“ weisen darauf hin, dass es sich bei dem Gesetz nicht
       um eine Option handelt, sondern um einen Zwang: Wenn das Geschlecht eines
       Neugeborenen von den Ärzten nicht eindeutig bestimmt werden kann, muss der
       Eintrag offen gelassen werden. „Das übt Druck auf die Eltern aus, ihr Kind
       operieren zu lassen und ist daher eher kontraproduktiv“, sagt Markus Bauer
       von „Zwischengeschlecht“. Betroffene wie Vanja fordern daher eine Option
       jenseits des Geschlechtsdualismus. Vanja wird dabei begleitet von der
       Kampagne „Dritte Option“, die sich für „eine klare Benennung von
       Geschlechtern jenseits der Zweigeschlechtlichkeit“ einsetzt.
       
       „Ich bin eben Inter – nicht Frau und auch nicht Mann“, schreibt Vanja in
       ihrem Antrag, und „ich benötige daher einen entsprechenden Eintrag.“ Es sei
       zudem diskriminierend, wenn alle einen Eintrag haben, nur Einzelne keinen.
       Die Antragstellerin beruft sich auf die verfassungsrechtlich garantierten
       Grundrechte: Das Recht auf Menschenwürde, auf freie Entfaltung der
       Persönlichkeit, auf körperliche Integrität und auf Schutz vor
       Diskriminierung wegen des Geschlechts.
       
       Beim Amtsgericht Hannover konnte man bisher keine Einschätzung bezüglich
       der Erfolgschancen oder der Länge des Verfahrens abgeben. Moritz Schmidt,
       Sprecher der Kampagne „Dritte Option“ ist jedoch optimistisch: „Immerhin
       hat der Gesetzgeber mittlerweile eingesehen, dass es Menschen gibt, die
       nicht männlich und nicht weiblich sind“, sagt er. Man gehe davon aus, dass
       der Fall an die höheren Instanzen weitergegeben wird.
       
       3 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
       ## TAGS
       
   DIR Geschlechterdiskriminierung
   DIR Intersexualität
   DIR Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
   DIR Transgender
   DIR Transgender
   DIR Intersexualität
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kampf um Anerkennung von Intersexualität: Kein drittes Geschlecht
       
       Vanja findet, er*sie sei weder weiblich noch männlich – und zieht durch
       alle gerichtlichen Instanzen, um sich im Ausweis „inter/divers“ eintragen
       zu lassen.
       
   DIR Intersexualität in Geburtsurkunde: Gericht lehnt „inter“ ab
       
       In Celle hat das Oberlandesgericht die Klage einer intersexuellen Person
       abgewiesen. Sie wollte, dass in ihrer Geburtsurkunde als Geschlechtsmerkmal
       „inter“ steht.
       
   DIR Vanja über die Kampagne für eine dritte Option: „Ich bin weder Mann noch Frau“
       
       Vanja, intersexuell, über das Fehlen einer dritten Option in amtlichen
       Dokumenten, dumme Sprüche, krasse Operationen und strukturelle
       Diskriminierung.