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       # taz.de -- Todesfall in Kirchweyhe: Neonazis bedrohten Richter
       
       > Im Prozess um den Tod von Daniel S. sollen Neonazis dem Richter im Fall
       > eines milden Urteils mit Rache gedroht haben.
       
   IMG Bild: Manche beließen es nicht bei Demonstrationen: Rechte ziehen im März 2013 durchs niedersächsische Kirchweyhe.
       
       BREMEN taz | Intransparenz, mögliche Befangenheit und der Verdacht der
       Manipulation des Urteils durch Neonazis: Wochen nach der Verurteilung im
       Verfahren um den Tod von Daniel S. in Kirchweyhe erheben die Verteidiger
       von Cihan A. schwere Vorwürfe gegen den Gerichtspräsidenten und den
       vorsitzenden Richter am Landgericht Verden. Letzterer sei während des
       Prozesses massiv von Neonazis bedroht worden – viel konkreter als
       angenommen.
       
       Rechtsradikale hätten bei einem milden Urteil mit Rache gedroht. Der
       Gerichtspräsident habe daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt,
       nur: Die Verteidiger seien über den Grund nicht informiert worden. Sie
       hätten erst nach dem Urteil durch Zufall davon erfahren, sagten sie am
       Freitag zur taz. Dies sei nun Teil ihrer Revision.
       
       „Wenn wir das frühzeitig gewusst hätten, hätten wir unser Prozessverhalten
       darauf eingestellt“, sagt Verteidiger Jürgen Meyer. Transparenz hätte
       Vertrauen geschaffen. „Das Urteil ist kontaminiert durch den Verdacht, dass
       es durch diese Bedrohungen manipuliert ist“, sagt sein Kollege Martin
       Stucke.
       
       Ihr Mandant Cihan A. war im Februar wegen Körperverletzung mit Todesfolge
       zu fünf Jahren und neun Monate Jugendstrafe verurteilt worden. Das Gericht
       sah als erwiesen an, dass A. den 25-jährigen Daniel S. im März des Jahres
       2013 nach einem Diskobesuch so getreten hat, dass er an den Folgen starb.
       Das Strafmaß hatte für Überraschung gesorgt: „Das haben die Leute nicht
       erwartet“, sagte etwa Kirchweyhes Bürgermeister Frank Lemmermann (SPD). Die
       Verteidiger hatten Freispruch gefordert.
       
       Die Tat sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Wegen des
       Migrationshintergrundes von Cihan A. hatten Neonazis den Fall für ihre
       Propaganda missbraucht. Mehrfach waren sie zu Aufmärschen in den kleinen
       Ort bei Bremen gekommen – zuletzt am Jahrestag des Todes im März 2014. Die
       Gemeinde und Bürgermeister Lemmermann wehrten sich. Über die Anfeindungen,
       die daraufhin auf Lemmermann einprasselten, hatte die taz berichtet.
       „Richter Grebe ist genauso beschmipft worden wie ich“, sagt er nun der taz.
       
       Die Verteidiger berichten von mehr als Beschimpfungen: Auf rechtsradikalen
       Websites seien Fotos des Richters veröffentlicht worden, ebenso seine
       private Adresse samt Wegbeschreibung, „mit der Aufforderung: Bei einem
       Freispruch oder Bewährung sollte man sich am Richter rächen“, so
       Verteidiger Stucke. Einen Beleg für diese spezielle Drohung habe er nicht,
       er habe zu spät davon erfahren, viele Einträge seien mittlerweile gelöscht.
       Gesichert haben er und Meyer aber zahlreiche andere Drohungen: Etwa, dass
       jemand dem Richter Gleiches wie Daniel S. Familie wünsche – also den Tod
       eines Angehörigen.
       
       Ende Januar dieses Jahres, kurz nachdem die Richter eine Verurteilung wegen
       Totschlags oder Mordes ausgeschlossen hatten, seien die
       Sicherheitsvorkehrungen auf Anordnung des Gerichtspräsidenten verschärft
       worden, berichtet Verteidiger Meyer. Auch sei am Zimmer von Richter Grebe
       das Namensschild entfernt und seine Tür mit neuer Klinke versehen worden,
       die sich von außen nicht betätigen lasse.
       
       Nachdem ihnen der Grund bekannt wurde, baten die Verteidiger
       Landgerichtspräsident Rüdiger Lengtat um Stellungnahme. Der bestätigte:
       Wegen „Äußerungen im Internet, mutmaßlich aus der ’Rechten Ecke‘ (...)
       ergab sich für mich, dass der Vorsitzende Richter (...) persönlich bedroht
       worden ist. Deshalb hielt ich zusätzliche Maßnahmen zu seinem Schutz für
       angezeigt.“ Allerdings schreibt der Präsident auch: „Von mir angeordnete
       Maßnahmen haben nichts mit ihrer Verteidigung zu tun.“
       
       Die Verteidiger Stucke und Meyer sehen das anders. Sie fragen sich, ob
       womöglich auch Zeugen bedroht wurden.
       
       1 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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