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       # taz.de -- Besetzer in Berlin: Da ist unser Haus
       
       > Mehr als 630 besetzte Häuser und Plätze gab es in Berlin zwischen 1970
       > und heute, wie das Medienkollektiv Pappsatt auf einer Website zeigt.
       
   IMG Bild: Erinnerung an alte Zeiten: Wandbild an einem ehemals besetzten Haus in der Manteuffelstraße
       
       Der erste Eindruck ist überwältigend: Ganz Berlin ist besetzt. Oder,
       genauer gesagt, fast überall in der Stadt gibt es besetzte Häuser. Oder
       zumindest Gebäude, die mal besetzt waren. Es sind Hunderte, die auf der
       kürzlich online gegangenen Website [1][berlin-besetzt.de] verzeichnet sind.
       In Kreuzberg und Schöneberg stapeln sich die Einträge genau wie in Mitte,
       Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Aber selbst in Spandau und Zehlendorf
       gibt es welche.
       
       „Insgesamt sind es 630“, sagt Toni Grabowsky, der sich unter der auf der
       Homepage angegebenen Telefonnummer meldet. Man darf davon ausgehen, dass
       der Name ein Pseudonym ist, das gehört ja fast schon zum guten Ton in
       Besetzerkreisen – obwohl Grabowsky selbst viel zu jung ist, um die beiden
       großen Besetzungswellen 1980/81 in Westberlin sowie 1990 im Osten miterlebt
       zu haben. „Wir haben unsere Jugend Ende der 90er erlebt, als alles schon
       vorbei war“, erzählt Grabowsky. Aber in den letzten vier, fünf Jahren habe
       es ein Aufflammen der Bewegung gegeben durch Mieterinitiativen wie
       [2][Kotti & Co] oder die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule.
       
       Grabowsky ist Teil des [3][Pappsatt-Medienkollektivs]. Das sei eine Gruppe
       von „Protestkommunikationsdesignern“, die Stadtpolitik mit gestaltenden
       Mitteln machten: Graffiti, Fassadenmalereien, Plakaten. Oder eben einer
       Homepage.
       
       „Ich habe mich in der Szene bewegt und festgestellt, dass fast alle heute
       genutzten linken Projekte aus Besetzungen hervorgegangen sind“, sagt
       Grabowsky. So sei er auf die „fixe Idee“ gekommen, all diese Orte mal
       zusammenzutragen. „Ich dachte, ich gehe in ein Archiv, und dann hab ich die
       Liste.“ Aber nichts da. Diese Geschichte ist so bisher nie zusammengetragen
       worden. Also machte sich Grabowsky mit einem sehr kleinen Kreis von
       Mitstreitern an die Arbeit. Das war vor fünf Jahren.
       
       Fündig wurden sie im [4][Papiertiger-Archiv] und im
       [5][Umbruch-Bildarchiv]: zwei Projekte, die 1980 begonnen hatten,
       Flugblätter und Zeitschriften beziehungsweise Fotos der Bewegung zu
       sammeln.
       
       Viele dieser Dokumente sind nun auf [6][berlin-besetzt.de] zu sehen. Man
       kann sich durch die Ausgaben der Instandbesetzerpost aus den 1980ern oder
       der BesetzerInnenzeitung (BZ) aus den 90ern klicken. Grabowsky kann sich
       vor allem für Flugblätter aus den 80ern begeistern: „Die waren voller
       Selbstironie und trotzdem radikal.“ Zudem hätten sie noch eine eigene
       Bildsprache gehabt, nicht so wie später in den 90ern – da seien häufig nur
       noch Comicfiguren wie das Marsupilami auf Flugis kopiert worden.
       
       Die Infos zu den besetzten Häusern aber waren in den alten Dokumenten sehr
       vage. Häufig sind waren keine Adressen oder sogar falsche Hausnummern
       angegeben. Zu allen der jetzt auf der Homepage verzeichneten Orten habe das
       Kollektiv aber mindestens einen Beleg gefunden, dass dort ein Haus oder
       Platz besetzt wurde, sagt Grabowsky. Bei rund 200 Häusern geht er davon
       aus, dass sie noch heute genutzt werden. Sicher sei das aber nicht, die
       Liste weder vollständig noch wissenschaftlich. Dafür ist die Quellenlage
       einfach zu dünn. Wer weitere Infos, Dokumente oder Korrekturen habe, solle
       sich gern melden, sagt Grabowsky.
       
       In erster Linie sei die Seite weniger als rückwärtsgewandtes
       Historienprojekt denn als Denkanstoß für heutige Initiativen gedacht.
       Anhand der alten Dokumente könne man erkennen, dass sich eine Bewegung
       nicht in einer Subkultur abkapseln dürfe, sondern die Kommunikation mit der
       Gesellschaft suchen müsse, um etwas zu bewirken – so wie das heute etwa die
       Initiative Kotti & Co mache.
       
       Oder wie es schon bei der allerersten Aktion war, zu der sich auf der
       Homepage ein Eintrag findet. Am 1. Mai 1970 besetzten rund 100 Menschen,
       darunter viele aus Arbeiterfamilien, eine Fabrik, um ein Jugendzentrum zu
       gründen – nicht in einem der späteren Szenebezirke, sondern im Märkischen
       Viertel. „Das war eine Notwendigkeit“, sagt Grabowsky, „weil es dort
       einfach keine Freizeiträume gab.“
       
       Und solche Notwendigkeiten sieht er auch heute wieder: Luxussanierung,
       Mediaspree und Zwangsräumungen – zu all diesen Themen gebe es zum Glück
       Aktionen. Das Pappsatt-Kolletiv hat auch diese gerade dokumentiert. Nicht
       im Internet, sondern ganz klassisch: als [7][Buch über urbane
       Protestbewegungen], das im September erscheint, und als Wandbild an einem
       ehemals besetzten Haus in der Kreuzberger Manteuffelstraße. Man sieht es am
       besten von dem Spielplatz an der Naunynstraße: Berlin als überdimensionales
       Monopolyspiel, bei dem mal nicht die mit dem Geld gewinnen.
       
       2 Aug 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://berlin-besetzt.de
   DIR [2] http://kottiundco.net/
   DIR [3] http://reclaimyourcity.net/content/interview-mit-pappsatt
   DIR [4] http://www.archivtiger.de/
   DIR [5] http://www.umbruch-bildarchiv.de/
   DIR [6] http://berlin-besetzt.de
   DIR [7] http://www.assoziation-a.de/vor/Reclaim_Your_City.htm
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
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