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       # taz.de -- Krach aus Kairo: Die Metalheads vom Goethe-Institut
       
       > Als erste ägyptische Band hat „Crescent“ auf dem Metal-Festival in Wacken
       > gespielt. In ihrem Heimatland galten die Musiker lange als Satanisten.
       
   IMG Bild: Vor den Pyramiden, wo sonst? – Frontmann Ismail Attallah (l.) mit zwei seiner Kollegen.
       
       Als es anfängt, schließt Ismail Attallah kurz die Augen. Die Riffs rollen
       schon, das Schlagzeug feuert in unglaublichem Tempo, aber Attallah hat noch
       Zeit. Der Sänger – in der Metal-Musik Growler genannt – der vierköpfigen
       [1][Band Crescent] hat die Augen immer noch geschlossen. Dann reißt er sie
       auf und stößt den ersten dieser Laute aus, die in seiner Heimat als
       Teufelswerk verschrien sind.
       
       Ismail Attalah, 32 Jahre alt, kümmert es überhaupt nicht, dass er gerade
       Geschichte schreibt – als Sänger und Frontmann der ersten ägyptischen Band,
       die auf dem größten Metal-Festival der Welt spielt: Wacken. Das wäre ihm
       auch viel zu viel Pathos.
       
       Attallah ist ein ruhiger, freundlicher Mann, das enge schwarze T-Shirt
       betont seine dünnen Arme, die schwarzen langen Haare umrahmen ein schmales
       Gesicht. Man könnte sagen, dass Attallah nicht mehr erreichen will, als
       Musik zu machen, guten Death Metal. Man könnte es aber auch so nennen: Da
       will einer seinen Traum verwirklichen. Metal-Musik in Ägypten. Es gab eine
       Zeit, da hätte ihn das ins Gefängnis bringen können.
       
       Mitte der Neunziger bestand die ägyptische Metalszene nur aus ein paar
       wenigen Bands. Man kannte sich untereinander, man tauschte Kassetten,
       coverte Metallica oder Megadeth. Dann kam der 22. Januar 1997, ein kühler
       Tag mitten im zugigen Kairoer Winter. Ausgehend von einem einzigen Foto
       eines umgedrehten Kreuzes starteten die Kairoer Zeitungen eine Kampagne,
       die dieser undurchsichtigen Gruppe von schwarz gekleideten, teils
       tätowierten Jugendlichen Ungeheures unterstellte: Angeblich würden sie
       Orgien feiern, den Teufel anbeten, Katzen und Ratten häuten und deren Blut
       trinken.
       
       Das angebliche Epizentrum dieser Umtriebe war der Baron-Palast, eine leer
       stehende, auch heute noch mystisch wirkende Villa in einem Kairoer Vorort.
       Dieses Bild fiel in der konservativen ägyptischen Gesellschaft, in der
       alles abseits der Norm sehr kritisch beäugt wird, auf fruchtbaren Boden. Am
       22. Januar schließlich sperrte die Regierung in einer großangelegten Razzia
       über hundert Metal-Anhänger ein. Manche sagen, sie seien gefoltert worden.
       
       ## Aus Angst zum Friseur
       
       Ismail Attallah war zu dieser Zeit gerade 15 Jahre alt, aber schon in der
       Szene involviert, kannte die Bands, ging manchmal zu Konzerten. Er, der
       immer davon geträumt hatte, einmal auf derselben Bühne zu stehen wie Iron
       Maiden, sah einige seiner älteren Freunde ins Gefängnis wandern, ohne
       offizielle Anklage. Heute spricht er sehr ruhig darüber. „Ich glaube, dass
       diese Hetze gar nicht gegen uns Metalheads ging. Damals stagnierte Ägypten,
       vor allem in der Wirtschaft. Die Regierung wollte von den innenpolitischen
       Problemen ablenken.“
       
       Die Szene brauchte eine ganze Weile, um sich von diesem Schock zu erholen.
       Manche schnitten sich vor Angst die Haare ab, warfen ihre komplette
       Kassettensammlung auf den Müll. In den wenigen Musikstudios in Kairo und
       Alexandria blieb Metal-Musikern fortan der Zutritt verwehrt.
       
       Die Älteren blieben trotzdem dabei oder die, deren Leidenschaft brannte,
       die ihre Sammlungen wie Schätze behandelten. Diese Unbeirrbaren imponierten
       Attallah damals am meisten. „Die Metalheads wussten und wissen, dass sie
       etwas sehr Undergroundiges machen. Die bleiben sich treu, obwohl sie
       wissen, das ihnen die Musik letztlich überhaupt nichts einbringen wird.“
       
       Attallah hatte keine Angst, weder vor der Einsicht, dass er wohl nie auch
       nur ansatzweise von der Musik leben können würde, noch vor staatlicher
       Repression. Er sprach in den Wochen und Monaten nach der Razzia viel mit
       seinen Freunden; sie kamen zur Überzeugung, dass die Szene vor allem einer
       medialen Kampagne zum Opfer gefallen war.
       
       „Wir dachten, dass die Metalszene etwas kleiner werden würde und dass man
       zum Beispiel keine Liveshows spielen könnte, aber dass man zumindest eine
       Band haben und ein wenig jammen und üben könnte.“ Also gründete er
       Crescent, die Band, in der er noch heute spielt – und sparte auf eine
       Gitarre. Gitarren sind teuer in Ägypten, selbst geliehene. Die überwiegende
       Mehrheit der Ägypter wird sich niemals ein Instrument leisten, geschweige
       denn für Musikunterricht bezahlen können.
       
       Schon bald nachdem Attallah und seine Freunde anfingen zu üben, gelang es
       Crescent mit Hilfe des Frontmanns von Worm, der bekanntesten ägyptischen
       Metalband, das erste Album zu veröffentlichen: „Dreamland“. Bis zum
       nächsten Album dauert es dann weitere zehn Jahre, in denen sich Attallah
       von der Szene entfernte. „Ich hatte ein komplettes Album, fast fertig. Aber
       im Grunde hatte ich damals schon eine andere Vorstellung von meiner Musik.
       Also habe ich alle Tracks weggeschmissen, gelöscht.“ Seine Fan-Freunde, wie
       er sie nennt, waren stinksauer.
       
       ## Nur eine Metal-Location in Kairo
       
       Die Metalszene in der 20-Millionen-Stadt Kairo ist bis heute sehr klein. Es
       gibt einige Dutzend aktive Bands und im Grunde nur einen einzigen
       Konzertort, das El-Sawy Culturewheel unter einer der Nilbrücken im schicken
       Stadtteil Zamalek.
       
       Das Sawy ist für die Metalheads ein Glücksfall, einerseits. Es hat sich der
       Rock- und Metalszene angenommen, bietet ihnen die beste Soundanlage der
       Stadt mit den fähigsten Technikern. Es spielt aber gleichzeitig, wie
       Attallah sich ausdrückt, die Rolle des Kulturministeriums: Es übernimmt die
       Zensur einfach selbst. Um der normalerweise notwendigen Mitgliedschaft im
       staatlichen Künstlersyndikat zu entgehen, müssen sich alle Künstler im
       Vorfeld den Sawy-Organisatoren präsentieren und ihre Texte prüfen lassen.
       
       Attallah hat dazu eine sehr pragmatische Meinung: Seine Texte seien ohnehin
       offen für Interpretationen, bewusst ambivalent und teilweise chiffriert
       gehalten. Deshalb singt er auch auf Englisch, nicht in der arabischen
       Umgangssprache. Dass man das auch als indirekte Selbstzensur bezeichnen
       könnte, sieht er nicht so. „Ich betrachte meine Texte als sauber.“
       
       Ismail Attalah ist ein Mensch, der in Kairo auffällt, schon allein wegen
       der langen Haare und weil er Metal macht. Aber er ist bodenständig,
       erklärt, dass diese ganze Metalpose, das Corpsepaint, das düstere Artwork
       nur Attitüde sind. So wie er es in den Zeiten nach der großen Razzia seinen
       Eltern erklärt hat. Attallah ist kein übermäßig kritischer oder gar
       rebellischer Künstler und damit typisch für die Generation von Ägyptern,
       die sehr lange zwischen den Zeilen gelebt hat.
       
       Das vorsichtige, versteckte Formulieren hinterlässt Spuren über die Jahre.
       Vielleicht wäre er als ein mit dem Satanismus kokettierender Metalrebell
       jetzt auch nicht dort, wo er ist. Die Reise zum Wacken-Festival hat das
       Goethe-Institut unterstützt.
       
       Auf der Headbanger-Stage spielen am Mittag des ersten Festivaltags die
       Newcomer, jede Band bekommt 20 Minuten. Zum ersten Mal überhaupt wurde die
       Metal Battle, eine internationale Vorausscheidung, auch in einem arabischen
       Land ausgetragen. Crescent haben im April die ägyptische Battle gewonnen.
       
       Jetzt stehen sie hier, auf dem Wacken-Festival, seine drei Bandkollegen und
       er, der Sänger. Das Schlagzeuggewitter verebbt, Attallahs Growl-Gesang
       klingt aus, die letzten Gitarrenriffs fliegen von der Bühne. Die Metalpose
       scheint aus den Gliedern der Band zu entschwinden, Attallah verwandelt
       sich, er ist wieder der freundliche, junge Mann Anfang Dreißig. Sich
       verwandeln, das ist eine Fähigkeit, die man durchaus gebrauchen kann in
       seiner Welt.
       
       31 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://crescentband.com
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christopher Resch
       
       ## TAGS
       
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