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       # taz.de -- Debatte Israelkritik: Nein, du darfst nicht
       
       > Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritik. Schon gar nicht für
       > Deutsche. Dass du nicht darfst, heißt übrigens nicht, dass du in der
       > Sache recht hättest.
       
   IMG Bild: Es gibt kein Menschenrecht auf „Israelkritik“. Und auch keines auf schlechtes Grafikdesign.
       
       Ein Gutes hatten die [1][antisemitischen Parolen] auf den Demonstrationen:
       Seither gibt es etwas, was man hierzulande nur noch aus Studien kannte:
       leibhaftige Antisemiten. Die heißen Mohammed und Laila und Kemal und rufen
       Dinge, die sich nicht gehören.
       
       Ein weiterer Effekt dieser Demonstrationen: Sie setzen Maßstäbe dafür, was
       Antisemitismus ist. Und, klar, gemessen an „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“,
       ist alles andere gemäßigt – Gedichte von [2][ehemaligen Waffen-SS-Männern],
       Karikaturen in extremliberalen Zeitungen, die täglich dutzendfach gedruckte
       Forderung, gegenüber [3][Israel mal Kante zu zeigen].
       
       Denn darin sind sich fast alle Kommentatoren und ihre Leser einig:
       Natürlich dürfe man Israel kritisieren – ganz so, als ob man Leben und
       Eigentum riskieren würde, wenn man das macht. Dieselbe verlogene Figur, die
       auch aus anderen Zusammenhängen sattsam bekannt ist: Man wird ja wohl noch
       sagen dürfen.
       
       ## Du kommst hier nicht raus
       
       Ja, du darfst es und du tust es. Aber es ist moralisch nicht richtig. Denn,
       nein, du darfst nicht. Es gibt kein Menschenrecht auf Israelkritik. Und
       schon gar nicht für dich. Nicht als Nachkomme jener Leute, die die
       Vernichtung der Juden von Europa geplant und durchgeführt haben. Nicht als
       Nachkomme jener, die sich am Holocaust bereichert haben. Nicht als
       Mitarbeiter von Bayer, Degussa oder Volkswagen. Nicht als Angehöriger eines
       Milieus, das in den neunziger Jahren Technopartys in arisierten Immobilien
       feierte. Gar nicht. Du bist Deutscher, aus der Nummer kommst du noch in
       tausend Jahren nicht raus.
       
       Dieser moralische Imperativ gilt auch, wenn dein Opa nicht in der Wehrmacht
       dazu beitrug, dass hinter der Front die Gaskammern laufen konnten. Es gibt
       nämlich kein Deutschland ohne Auschwitz – kein Multikultideutschland, kein
       linkes Deutschland, kein besseres Deutschland, gar keins.
       
       Wenn dir die Menschenrechte im Nahen Osten so am Herzen liegen, dann finden
       sich für dich andere Themen. Die Situation der Palästinenser in Syrien zum
       Beispiel, die zwischen den Truppen des Assad-Regimes und den liebevoll
       „Rebellen“ genannten islamistischen Milizen eingeschlossen sind.
       
       Unerheblich ist dabei, dass es in Israel Leute gibt, die die eigene
       Regierung kritisieren. Dass sie es tun, zeigt, was Israel von allen anderen
       Staaten der Region unterscheidet. (Auf der anderen Seite muss man lange
       nach Leuten suchen, die aus Empathie mit der israelischen Bevölkerung die
       Hamas ebenso wie die PLO kritisieren. Die Disziplin Palästinakritik ist
       noch nicht erfunden.)
       
       ## Alles unverhältnismäßig
       
       Aber dass linke Israelis oder jüdische Linke außerhalb Israels das können,
       heißt noch lange nicht, dass du das auch darfst. Diese Trennung ist scharf
       und für dich, der du dich als mündiger Bürger fühlst, der sich von
       niemandem (außer vielleicht von deinem Chef) den Mund verbieten lässt,
       ungewohnt. Aber diese Schärfe entspricht der Schärfe der Trennung zwischen
       jenen, die selektiert wurden, und jenen, die selektiert haben.
       
       Dass du besser die Klappe hältst, heißt übrigens noch lange nicht, dass du
       in der Sache recht hättest. So gelten die Luftschläge gegen Stellungen der
       Hamas als unverhältnismäßig. Aber wenn Israel stattdessen mit Bodentruppen
       in den Gazastreifen einmarschieren würde, würde das ebenfalls als
       unverhältnismäßig gelten. Als unverhältnismäßig gelten die Blockade des
       Gazastreifens oder Sanktionen gegen die Autonomiebehörde. Wer Israel
       Unverhältnismäßigkeit vorwirft, verlangt, dass Israel auf die dauernde
       Aggression durch die Hamas gar nicht reagiert. Erstaunlich in einem Land,
       das einst wegen ein paar chirurgischer RAF-Operationen fast kirre wurde und
       in dem ein paar Bengalos in Fußballstadien als Gewaltexzess gelten.
       
       Als gemäßigt gilt, sich von beiden Seiten zu distanzieren – von einer
       Terrorgruppe bekennender Antisemiten wie der Hamas wie von einem
       demokratischen Staat, der seine Bürger zu schützen versucht. Aber klar:
       Gemessen am Holocaust, sind die Raketen der Hamas nichts, was eine Reaktion
       erfordern würde.
       
       30 Jul 2014
       
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