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       # taz.de -- Ladyboy in Katar: Endlich Frau werden
       
       > Zoe hat ein riskantes Geschäftsmodell: Um sich eine Geschlechtsumwandlung
       > zu finanzieren, schafft der Ladyboy in Katar an und schläft mit Männern.
       
   IMG Bild: Als Ladyboy in Doha mit Männern zu schlafen ist gefährlich und deswegen besonders lukrativ.
       
       DOHA taz | „Ich liebe Katar“, sagt Zoe. Das beruht auf Gegenseitigkeit,
       denn sie verdient gut als Ladyboy. Zoe ist eine Philippinerin, eine Frau im
       Körper eines Mannes. Ihre Brüste verdankt sie einer Hormontherapie. Und
       ihren Penis wäre sie am liebsten los. Zoe schläft gern mit Männern.
       Irgendwann auch als „richtige“ Frau: Sie spart auf ihre
       Geschlechtsumwandlung. Möglich macht es das reiche Emirat am Golf: Die
       Friseurin hat einen gut bezahlten Nebenjob. Sie verkauft ihren Körper an
       schwule Einheimische. Die gibt es im Wüstenstaat offiziell nicht.
       Homosexualität ist gesellschaftlich verpönt und gesetzlich verboten.
       
       Zoe, 27 Jahre alt, heißt anders. Denn Prostitution, zumal unter Männern,
       ist illegal im Emirat. Es gilt als „gesellschaftliches Verbrechen“ und wird
       mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Zoe mit ihrem Doppelleben droht
       Schlimmeres: „Jeder, der Ehebruch oder Sodomie als Beruf ausführt, wird mit
       bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft“, heißt es in Artikel 298
       Strafgesetzbuch. Und nicht nur das: Die Ehre ihrer Familie sei vielen
       Freiern heilig. Zoe muss vorsichtig sein, wenn sie nicht bei einem
       tragischen Unfall ums Leben kommen will.
       
       Zoe nimmt ihren Mokka, nippt am Glas und zwinkert dem Kellner zu.
       „Shoukran, Habibi!“, bedankt sie sich. Hier, in dem kleinen Café in Doha,
       verbringt sie oft ihre Mittagspause. Ihr Haar ist kurz, sie trägt eine
       Stoffhose und ein Hemd mit Karomuster. Auf den ersten Blick unterscheidet
       sie nichts von den Fahrern oder Kellnern aus Asien, von den männlichen
       Arbeitsmigranten, die das Glück haben, nicht auf den Baustellen des Landes
       schuften zu müssen. Verräterisch spannt eigentlich nur das Hemd über Zoes
       hormonell bedingter Brust.
       
       Ihr langes Haar musste Zoe abschneiden, bevor sie in das Flugzeug nach
       Katar stieg. Auch das Silikon in ihren Brüsten, das japanische Ärzte einst
       implantierten, musste wieder raus. Es war die Bedingung ihres katarischen
       Arbeitgebers. Er ist der Inhaber des Friseursalons nur wenige Meter von dem
       Café entfernt. Schmuddeliger Eingang mit Leuchtreklame, eine lieblose
       Kabine neben der nächsten, aber: von innen verriegelbar. Eine von ihnen ist
       Zoes kleines Reich.
       
       Zoe hat ihren Chef nicht belogen: Er weiß, wie sie sich selbst sieht.
       Zeigen darf sie sich so jedoch nicht.
       
       Zoe fühlt wie eine Frau, auch wenn sie als Mann auf die Welt gekommen ist.
       In ihrer Heimat sei das kein großes Problem gewesen. „Mein Vater war erst
       sauer, als ich angefangen habe, Lipgloss zu benutzen und Röcke anzuziehen.“
       Da war sie vier Jahre alt. Schnell hätten Familie und Freunde es dann aber
       akzeptiert. Dass der Junge, der einzige Sohn, eigentlich ein Mädchen, die
       vierte Tochter ist. Als jüngstes Kind wurde Zoe in eine arme philippinische
       Familie hineingeboren. „In meinem Heimatdorf gibt es nur Bauern“, sagt sie.
       
       Im Friseursalon umfassen ihre schmalen Finger die Schere, routiniert
       schneidet sie Spitzen und Stufen und zupft die Brauen. Dabei schwärmt sie
       von dem vielen Geld, das monatlich über ihr katarisches Konto auf eine der
       7.107 philippinischen Inseln fließt.
       
       ## Ladyboys sind sehr gefragt
       
       Dank ihrer Arbeit im reichsten Land der Welt lässt sie derzeit nicht nur
       ihr eigenes Haus bauen, sondern unterstützt auch Familie und Freunde auf
       den Philippinen. Dem Nachbarn bezahlt sie Saatgut und Dünger. 40 Prozent
       ihrer Einnahmen im Salon darf Zoe behalten, der Rest geht an den
       Arbeitgeber. 10.000 Rial verdient sie so monatlich, das sind etwa 2.000
       Euro. Das reicht auf den Philippinen, um alles Mögliche zu bezahlen: Der
       Inselstaat verzeichnet ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 3.400
       Euro – pro Jahr.
       
       Doch Zoe hat nicht nur Kunden im Friseursalon. Ladyboys sind gefragt in der
       Homosexuellenszene des Emirats, die in Zahlen nicht zu fassen ist. Reiche
       Katarer lassen viel Geld bei der jungen Frau, die für sie doch ein Mann
       ist. Wenn die Geschäfte mit der Prostitution weiter so gut laufen, kann Zoe
       bald ihren männlichen Körper in Thailand zu dem einer Frau operieren
       lassen. Und auch sie hat ihren Spaß an der Sache, sagt sie. „Auf den
       Philippinen musste ich für jeden One-Night-Stand bezahlen. In Katar werde
       ich von den Männern bezahlt.“ Die Doppelmoral einer homophoben Gesellschaft
       ist ihr Geschäftsmodell.
       
       „Man kann hier nicht offen schwul leben. Aber die Art, wie sie reden, wie
       sie sich bewegen – das können sie nicht so einfach verändern“, sagt Zoe
       über ihre Freier. „Bei mir ist es ja auch so: Ich bin nun mal ein Ladyboy,
       ich kann auch nicht ändern, wer ich bin. Das ist wie mit der Hautfarbe, die
       lässt sich auch nicht austauschen“, sagt sie.
       
       Auch zu Hause dürften die schwulen Katarer nicht so sein, wie sie sind.
       „Oft fragen sie mich, wie es ist, offen homosexuell zu leben“, erzählt Zoe.
       Sie war Entertainerin im japanischen Osaka. Und sie hatte schon viele
       Beziehungen mit europäischen und amerikanischen Männern, die sie in der
       Heimat besucht hat. Das wissen ihre Freier. Zoe klärt gern darüber auf.
       
       ## „Unfassbar hohe Absätze“
       
       Jedes Phänomen der Homosexuellen-Szene gebe es auch in Katar, davon ist Zoe
       überzeugt. Sie selbst habe etwa ein Dutzend katarische Ladyboys als
       Freunde. Sie tragen oft lange Haare, die sie im Alltag zusammenbinden. Zoe
       erzählt von rauschenden Privatpartys in den Dohaer Luxushotels. Auf ihren
       Festen tragen die einheimischen Ladyboys Make-up, filigranen Schmuck,
       „unfassbar hohe Absätze“ – und die Abaja, die traditionelle Kleidung der
       Frauen in den Golfstaaten. Wenn sie die Party verlassen, steigen sie wieder
       in ihre weißen Thawbs, die Tracht der Männer.
       
       Zoe selbst bevorzugt „richtige“ Männer. Sie ist wählerisch, was ihre Freier
       betrifft. Das kann sie sich wegen der ständigen Angebote auch leisten.
       Grundsätzlich gefalle ihr der europäische Typ am besten. Als Kunden seien
       aber die Katarer auch nicht zu verachten: „Sie sind sehr sauber, haben
       einen Sinn für Familie und Gastfreundlichkeit“, schwärmt Zoe. „Ich liebe
       die Leute hier. Sie geben dir Geld und behandeln dich, als wärst du etwas
       ganz Besonderes. Ich bin eine anspruchsvolle Frau.“
       
       Das ist Zoe in der Tat: Für eine gemeinsame Nacht erwartet sie ein
       angemessenes Ambiente. Ein Hotelzimmer, das schon mal 3.500 Rial (700 Euro)
       kosten kann. „Wenn du mich wirklich magst, muss es dir das wert sein“, sage
       sie den Männern.
       
       Oft, sagt Zoe, hätten die Männer schon Erfahrung mit katarischen
       Prostituierten – ja, auch die gibt es im Emirat. Mit rund 500 Rial pro
       Nacht nähmen die wesentlich weniger Geld als Zoe. Ihren eigenen Preis will
       sie aber nicht nennen. Das sei auch davon abhängig, wie gut der jeweilige
       Mann ihr gefalle.
       
       „Meine Mutter hat mich gefragt, ob ich sehr hart für mein Geld arbeiten
       muss. Als sie gehört hat, dass ich auch für mein Vergnügen bezahlt werde,
       da hat sie laut gelacht.“ In der Erinnerung an das Gespräch muss sie
       lächeln. „Aber sie hat mir auch gesagt, dass ich aufpassen soll, dass ich
       nicht erwischt werde.“
       
       In den 1990ern informierte die philippinische Regierungsbehörde Overseas
       Employment Administration darüber, dass Homosexuelle in Katar nicht
       arbeiten dürfen. Es war eine Reaktion auf Massenverhaftungen und
       Ausweisungen schwuler Philippiner aus dem Emirat. 1995 erregte dann der
       Fall eines US-Amerikaners Aufsehen, der sechs Monate in Haft saß – nachdem
       er 90 Peitschenhiebe über sich hatte ergehen lassen müssen.
       
       Damals galten noch härtere Strafen für „Sodomie“. Das Schlagwort muss in
       vielen Ländern für alle möglichen Formen der Sexualität herhalten, um diese
       zu verdammen: ein pseudoreligiöser Rekurs auf die Geschichte der Stadt
       Sodom. Sie steht im Alten Testament und im Koran. Zoe hat beide Bücher
       gelesen. Religionsgelehrte streiten darüber, wie die Geschichte genau zu
       deuten ist: Bestraft Gott die Homosexualität oder die Vergewaltigung? Ein
       entscheidender Unterschied. Als „Sodomie“ wird in vielen arabischen Ländern
       heute schlicht alles bezeichnet, was abseits des heterosexuellen vaginalen
       Geschlechtsverkehrs liegt.
       
       ## Tests auf Homosexualität
       
       Dass die körperliche Liebe zweier Männer dazugehört, darin ist man sich am
       Golf jedenfalls einig. 2013 haben die Golfstaaten beschlossen, Tests auf
       Homosexualität einzuführen, um die Menschen davon abzuhalten, ihre Länder
       zu betreten. Wie die aussehen sollen, ist bisher nicht näher bekannt.
       
       Eine Gesellschaft, in der Homosexualität strikt tabuisiert wird, ist noch
       sehr viel weiter davon entfernt, neben Mann und Frau auch andere
       geschlechtliche Identitäten anzuerkennen. Die Katarer sind außerdem eine
       Minderheit im eigenen Land. Von den etwa zwei Millionen Menschen, die in
       Katar leben, haben heute gerade einmal 350.000 einen einheimischen Pass.
       Der Rest sind wie Zoe vor allem Arbeitsmigranten aus Südostasien; dazu gibt
       es eine kleinere Schicht an Fachpersonal aus Europa und Übersee. Man
       versucht krampfhaft, die Tradition aufrechtzuerhalten: Von den restriktiven
       Gesetzen und den gesellschaftlichen Tabus sind alle betroffen.
       
       Auch die Touristen. Denn wenn es nach Fifa-Chef Sepp Blatter geht, sollen
       2022 bei der WM im Emirat schwule Fußballfans auf Sex verzichten. Aus
       Respekt vor dem Gastgeberland.
       
       Das katarische Strafgesetzbuch ist überschrieben mit den Worten „Im Namen
       Gottes, des Allergnädigsten, des Allerbarmherzigsten.“ Zoe sagt, sie habe
       schon vielen Katarern erzählt, dass sie Ladyboy sei. „Nachdem ich ihnen
       gesagt habe, dass ich Christ bin und nicht Muslim, war es meistens okay für
       sie.“ Dass Zoe mit dem Gedanken spielt, zum Islam zu konvertieren, dürfte
       ihnen nicht gefallen.
       
       31 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kristina Milz
       
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