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       # taz.de -- Vor dem Bremer Landgericht: Für Geld und für die Liebe
       
       > Vier Männer wurden wegen der Einschleusung von Syrern aus der Türkei
       > verurteilt. Der Richter sah neben einem finanziellen auch ein
       > altruistisches Interesse.
       
   IMG Bild: Die Angeklagten vor Gericht. Sie schleusten Syrer ein.
       
       Vor dem Landgericht Bremen sind am Montag vier Männer wegen des
       „gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern“ und der Beihilfe zur
       Urkundenfälschung verurteilt worden. Zu Last gelegt wurden dem
       Hauptangeklagten Yüksel S., zwischen 2012 und 2013 insgesamt fünf
       Erwachsene und sechs Kinder aus Syrien erfolgreich aus der Türkei nach
       Deutschland geholt zu haben – in regulären Linienflügen mit gefälschten
       Pässen.
       
       Bei fünf Erwachsenen und zwei Kindern blieb es nur bei einem Versuch. In
       seiner Urteilsbegründung machte Richter Helmut Kellermann deutlich, dass
       der Fall nicht dem Bild einer skrupellosen Menschenschleuser-Bande
       entsprach.
       
       Der Hauptangeklagte S. bekam eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun
       Monaten, ein Mitangeklagter, der wegen eines anderen Deliktes seit November
       2013 eine Haftstrafe verbüßt, bekam zehn Monate, die anderen beiden 90
       Tagessätze à zehn Euro bzw. 80 Tagessätze à acht Euro. Ein weiterer
       Angeklagter war zuvor bereits zu acht Monaten verurteilt worden.
       
       „Es war keine Bande“, sagte Kellermann – „weder im rechtlichen noch im
       umgangsprachlichen Sinn.“ Auch habe er berücksichtig, dass „das Ganze
       durchaus auch einem altruistischen Antrieb“ folgte. Beim Strafmaß lag er
       zwischen den Vorstellungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung.
       
       S.s Verteidiger, Marco Lund, zeigte sich nach dem Urteil einigermaßen
       zufrieden: „Wir konnten deutlich machen, dass er kein Großraumbüro
       betrieben hat, anders als es zum Teil medial dargestellt worden war.“ Er
       meinte Sätze wie „Schleuser zockt Syrer ab“, den etwa der WDR getitelt
       hatte. Nahe gelegt worden war dieser Eindruck bereits durch die gemeinsame
       Pressemitteilung der Bundespolizei und der Bremer Staatsanwaltschaft.
       
       Unter dem Titel „Bundespolizei zerschlägt internationale Schleuserbande“
       war darin Ende Oktober 2013 von Durchsuchungen in „14 Wohnungen in
       Bremerhaven, Hannover, Hildesheim, Nordhorn sowie Bielefeld“ berichtet
       worden, und zwar mithilfe von 160 Beamten und „Kräften der GSG 9“, deren
       Einsatz wegen der besonderen Gefährlichkeit des Hauptbeschuldigten nötig
       gewesen sei – eine Waffe war gefunden worden. Zuvor waren an die 20.000
       Telefongespräche mitgeschnitten, die Post und Wohnungen der Angeklagten
       überwacht worden.
       
       Der Tatvorwurf selbst war am Ende des Prozesses unstrittig: Alle
       Angeklagten hatten ein umfassendes Geständnis abgelegt, wobei der
       Hauptangeklagte S. auch eine Gewerbsmäßigkeit eingestand. S. jedoch hatte
       nicht irgendwem über die Grenze geholfen – sondern überwiegend Angehörigen
       der jesidischen Familie A. aus Syrien – wohl, um in deren Gunst zu steigen,
       weil er sich in eine junge Tochter aus der Familie verliebt hatte.
       
       Auf S. sei auch ein gewisser Druck von Seiten der Familien ausgeübt worden,
       sagte Richter Kellermann. Unabhängig davon, ob die Menschen tatsächlich
       direkt vor Bürgerkriegs-Handlungen aus Syrien geflohen waren, seien sie als
       Jesiden besonderer Verfolgung ausgesetzt, „übrigens auch in der Türkei“,
       wie Kellermann betonte. Bei den Kriegszuständen in Syrien könne er „jeden
       Wunsch, aus dem Land rauszukommen, nachvollziehen“. Letztendlich aber sei
       die individuelle und nicht staatlich organisierte Flucht ein Vergehen –
       egal, wie die Staatsanwältin, er oder die Verteidiger persönlich darüber
       dächten.
       
       Bei aller Liebe habe S. jedoch trotzdem Geld für seine Fluchthilfe verlangt
       und zeitweise davon gelebt. Von hohen Gewinnsummen, teilweise mehreren
       10.000 Euro, wie sie zu Beginn der Anklage noch im Raum standen, sprach
       aber auch die Staatsanwältin in ihrem Abschlussplädoyer nicht – abgemacht
       gewesen seien pro Schleusung mal 2.000, mal 4.000 bis 5.000 Euro pro
       Person, geflossen ist dieses Geld aber wohl nicht in diesem Maße.
       
       S. hatte hingegen selbst auch Ausgaben für die Passfälschungen und Flüge,
       manchmal war kein Geld für ihn oder einen der Mitangeklagten da, um aus der
       Türkei zurückzufliegen. Reich wurde wohl keiner von ihnen. Und, hier
       berücksichtige Kellermann, was zuvor auch von der Staatsanwältin positiv
       erwähnt wurde, die Einschleusung auf dem Luftweg sei „human“, im Gegensatz
       zum LKW oder der Flucht übers Meer, die von Angehörigen der Familie S. zum
       Teil bereits versucht worden waren.
       
       S. hatte dafür teilweise gestohlene deutsche Pässe besorgt, die er in der
       Türkei fälschen ließ. Getroffen hat man sich meist im Transitbereich des
       Flughafens, den die Flüchtlinge mithilfe regulär ausgestellter Tickets
       betreten konnten. Die gefälschten Pässe und Flugtickets kamen erst am
       letzten Check-In zum Einsatz. In Deutschland beantragten sie noch auf dem
       Flughafen Asyl.
       
       28 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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