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       # taz.de -- Verfassungsreform in Italien: Renzi will den Senat degradieren
       
       > Der Ministerpräsident will mit drastischen Mitteln seine
       > Verfassungsreform durchpeitschen. Seine Botschaft lautet: Widerstand ist
       > zwecklos.
       
   IMG Bild: Regierungschef Matteo Renzi fläzt im Parlament.
       
       ROM taz | In einem beispiellosen Sitzungsmarathon will Italiens
       Regierungschef Matteo Renzi seine Verfassungsreform durch den Senat
       peitschen. Von diesem Montag an bis zum 8. August sollen die Senatoren
       sieben Tage die Woche zusammentreten, jeweils von 9.30 Uhr morgens bis
       Mitternacht. Auf diese Weise soll der erbitterte Widerstand der Opposition
       zermürbt werden. Und wenn dies nicht gelingt, hat Renzi eine weitere
       Drohung parat: Zur Not könne den Senatoren ja auch der Sommerurlaub
       komplett gestrichen werden, kündigte der Ministerpräsident an.
       
       Kern der angestrebten Reform ist die Abschaffung des bisherigen sogenannten
       perfekten Zweikammersystems und die Degradierung des Senats zu einer
       weitgehend einflusslosen Institution. Bisher sind Abgeordnetenhaus und
       Senat völlig gleichberechtigt: Alle Regierungen müssen sich in beiden
       Häusern der Vertrauensabstimmung stellen, der Staatshaushalt ebenso wie
       alle anderen Gesetze müssen von beiden Häusern verabschiedet werden. Dies
       macht den Gesetzgebungsprozess in Italien oft genug besonders langwierig.
       
       Renzi schlägt deshalb jetzt eine Degradierung des Senats vor. Vorneweg soll
       die Zahl der Senatoren von 315 auf 100 abgespeckt werden. Zudem sollen sie
       nicht mehr in direkter Wahl bestimmt werden. 74 Senatoren sollen von den
       Regionen entsandt werden, außerdem sollen die 21 Bürgermeister der
       Regionshauptstädte automatisch dem Senat angehören, und fünf Senatoren soll
       der Staatspräsident unter verdienten Bürgern auswählen.
       
       Zu sagen hätte dieser neue Senat kaum noch was. Vertrauensabstimmung und
       Haushalt, alle gewöhnlichen Gesetze sollen nur noch durchs Abgeordnetenhaus
       gehen; die Zuständigkeit des Senats soll sich auf Verfassungsänderungen,
       Ratifizierung internationaler Verträge und die bloße Mitwirkung bei der
       Wahl des Staatspräsidenten beschränken.
       
       ## Im Herbst dann die Wahlrechtsreform
       
       Direkt nach der Verfassungsreform will Renzi dann im Herbst die
       Wahlrechtsreform angehen. Im Abgeordnetenhaus soll die Wahl dann auf
       blockierten Listen erfolgen; diejenige Partei, die 37 Prozent
       überschreitet, soll automatisch eine absolute Mehrheit der Sitze eingeräumt
       bekommen; wenn keine Partei diese Marge erreicht, würden die beiden
       stärksten Listen in einer Stichwahl antreten, in der dem Sieger die
       absolute Mehrheit im Parlament zufällt.
       
       Diese Paket hatte Renzi im vergangenen Januar ausgerechnet mit Silvio
       Berlusconi geschnürt – und bisher hält dieser Pakt. Doch Beppe Grillos
       MoVimento 5 Stelle (M5S), die kleine linke Liste Sinistra Ecologia Libertà
       (SEL), die rechtspopulistische Lega Nord ebenso wie Dissidenten aus Renzi
       Partito Democratico (PD) und Berlusconis Forza Italia leisten erbitterten
       Widerstand. Sie haben insgesamt knapp 8.000 Änderungsanträge eingebracht;
       deren Abstimmung könnte Wochen, wenn nicht Monate dauern. Hauptargument der
       Oppositionskräfte ist, dass Italien eine autoritäre Wende droht. Denn das
       Abgeordnetenhaus könne in Zukunft von einer Partei allein dominiert werden,
       auch wenn die bloß 38 Prozent der Wähler hinter sich habe, einer Partei
       zudem, deren Abgeordneten auf den blockierten Listen von der jeweiligen
       Führung ausgewählt werden, womit auch interner Dissens abgewürgt werden
       könne.
       
       Renzi dagegen argumentiert mit der Notwendigkeit, endlich Italien
       flottzumachen. Zudem verweist er immer wieder auf den hohen Konsens, den er
       genießt. Nach dem klaren Sieg bei den Europawahlen Ende Mai (40,8 Prozent)
       liegt die PD in den gegenwärtigen Meinungsumfragen konstant bei 42 bis 44
       Prozent. Vor diesem Hintergrund streuen Renzis Anhänger ein weiteres
       Szenario, das den Widerstand der Oppositionsparteien ebenso wie der
       Abweichler in den eigenen Reihen brechen soll: Wenn die Obstruktion im
       Senat anhalte, seien auch vorgezogene Neuwahlen im Herbst nicht mehr
       ausgeschlossen.
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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