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       # taz.de -- Kolumne Pressschlag: Mein Holzbein, dein Dope
       
       > Der am Unterschenkel amputierte Weitspringer Markus Rehm ist plötzlich
       > EM-Medaillenkandidat. Doch seine Prothese könnte ihm ein Hindernis sein.
       
   IMG Bild: Der Sportler bei einem seiner rekordverdächtigen Sprünge.
       
       Markus Rehm wechselt seinen rechten Unterschenkel, seine 13 Kontrahenten
       ihre Schuhe. So beginnt am Samstag bei den Deutschen Meisterschaften der
       Weitsprungwettbewerb der Männer. Da ist schon klar: Hier passiert etwas
       Besonderes. Ein Novum im deutschen Spitzensport.
       
       Ein Mann mit Handicap misst sich mit Männern ohne Behinderung. Und das
       nicht bei einem Wald-und-Wiesen-Sportfest, wo man ein Zeichen setzen will
       für das Miteinander, sondern auf der großen Bühne, dort, wo es um die
       Fahrkarten zur Europameisterschaft geht.
       
       Am Ende hat sich das Besondere zur Sensation ausgeweitet. Der 25 Jahre alte
       Leverkusener Rehm, der nach einem Wakeboard-Unfall im Alter von 14 Jahren
       seinen rechten Unterschenkel verlor, wird mit 8,24 Metern deutscher
       Weitsprung-Meister. Ex-Europameister Christian Reif (29/Ludwigshafen)
       springt in allen sechs Versuchen über die 8-Meter-Marke – eine Sensation in
       der Sensation – und hat doch das Nachsehen. 8,20 Meter reichen nur zu Platz
       zwei.
       
       Und jetzt? Rehms Auftritt als Kuriosum abhaken und weitermachen? So wie
       nach den Starts des Südafrikaners Oscar Pistorius, der auf zwei
       Unterschenkelprothesen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen über
       400 Meter mitlief?
       
       Das ist kaum möglich.
       
       Rehm hat nun alle Anforderungen für eine EM-Nominierung erfüllt. Der
       Deutsche Leichtathletik-Verband entscheidet am Montag darüber, die
       Verantwortlichen haben aber schon durchblicken lassen, dass sie Rehm mit
       einem Ticket ausstatten werden. Der europäische Verband EAA will mit dem
       Weltverband IAAF in Kontakt treten.
       
       ## Feder oder Sprunggelenk
       
       So recht weiß niemand, wie mit dieser Situation umzugehen ist. Es gibt
       keine Regel, die Sportlern mit Handicap, die die Leistungsvoraussetzungen
       erfüllen, einen Start bei großen Meisterschaften verbietet. Es gibt aber
       auch keine Gewissheit, dass ihre Leistungen mit denen nichtbehinderter
       Athleten vergleichbar sind.
       
       Kann Rehm an seiner Prothese herumschrauben und so noch ein paar Zentimeter
       Weite herausholen? Bringt ihm die Karbonfeder, die länger ist als sein
       gesundes Bein, die es sein muss, damit er im Sprint nicht humpelt, einen
       Vorteil? Erreicht er seine Weiten durch die Federwirkung der Prothese, oder
       ersetzt die nur sein nicht mehr vorhandenes Sprunggelenk? Es gibt keine
       Antworten auf diese Fragen.
       
       Es werden sich auch so schnell keine finden lassen. Denn dazu sind
       umfassende Untersuchungen nötig. Bei Oscar Pistorius kamen unterschiedliche
       Wissenschaftler zu unterschiedlichen Ergebnissen.
       
       ## Kein Einzelfall
       
       Die einen sahen ihn aufgrund seiner Prothesen im Vorteil, weil diese nicht
       wie menschliche Beine ermüden. Die anderen meinten, die Vorteile könnten
       die Nachteile, Probleme beim Start und Schwierigkeiten in der Kurve, nicht
       aufwiegen. Der Haken: Es wurde nur Oscar Pistorius untersucht.
       
       Markus Rehm hat nun gezeigt, dass Pistorius kein Einzelfall war. Männer mit
       Prothesen können bei entsprechender Veranlagung und professionellem
       Training mit Männern auf zwei gesunden Beinen mithalten.
       
       Deshalb muss umfassend und allgemeingültig geklärt werden, ob es sich beim
       Weitsprung mit und ohne Prothese um ein und dieselbe, vergleichbare
       Sportart handelt. Das wird dauern. Wahrscheinlich Jahre. Bis es so weit
       ist, könnte Rehm längst Europameister sein.
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Rohlfing
       
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