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       # taz.de -- Aldi und die Zukunft der Discounter: Im Reich des Billigen
       
       > Die Aldi-Gründer sind tot. Der Mythos lebt. Aber kann der Marktführer
       > noch mit den veränderten Kundenbedürfnissen mithalten?
       
   IMG Bild: Preisidyll in Köln.
       
       Wenige Wochen vor seinem Tod empfing der Aldi-Gründer Karl Albrecht mit 94
       Jahren zum ersten Mal einen Journalisten. Nach der Beerdigung am Montag
       erschien das so entstandene Porträt in der FAZ, das das Klischee des alt
       gewordenen Wirtschaftswunder-Patriarchen liebevoll pflegt: bodenständig und
       bescheiden, demütig auf den eigenen Erfolg blickend. Noch auf dem
       Sterbebett soll Albrecht gesagt haben: „Bezahlt unsere Leute gut, sie
       leisten viel.“ Gewerkschafter halten die Bezahlung bei Aldi wegen der
       vielen unbezahlten Zusatzstunden allerdings keineswegs für gut.
       
       Die Erzählung von dem scheuen Eigentümer, der am liebsten Produkte aus dem
       eigenen Verkaufssortiment verspeist, ist für Aldi eine grandiose Werbung.
       Eine kostenlose. Sie dürfte den Brüdern gefallen habe, denn die
       systematische Kostensenkung war ihr Erfolgsrezept. Die beiden haben in
       ihren Märkten das Einkaufen in Deutschland auf das Wesentliche reduziert
       und damit ein Vermögen in jeweils zweistelliger Milliardenhöhe gemacht. Der
       geschätzter Jahresumsatz von Aldi weltweit liegt bei 66,8 Milliarden Euro.
       
       Bis zu der FAZ-Homestory gab es von Karl Albrecht nur die überlieferte
       Äußerung von einer Tagung des Lebensmittelverbands 1953: „Unsere ganze
       Werbung liegt im Preis.“ Nach dem rasanten Aufbau ihres Filialnetzes in den
       50er Jahren teilten die Brüder ihr Reich Anfang der 60er Jahre in Nord und
       Süd. Am Ende des Jahrzehnts hatte Aldi („Albrecht“ und „Discount“) mehr als
       600 Filialen in Westdeutschland, 1980 waren es bereits 1.800, heute sind es
       4280. Aldi Nord hat mehr Verkaufsstellen, Aldi Süd mehr Umsatz pro Filiale.
       
       „Möglich waren die niedrigen Preise, weil die Brüder mit extrem niedrigen
       Kosten für ihre Läden gearbeitet haben“, sagt Michael Gerling,
       Geschäftsführer des auf Einzelhandel spezialisierten EHI Retail Institute
       in Köln. Das Sortiment ist klein, die Einrichtung spartanisch, die
       Personalstärke so gering wie möglich, die Waren werden auf Paletten in die
       Filialen gestellt. Der Schlüssel zum Erfolg ist die hohe
       Lagerumschlagsgeschwindigkeit: Gelieferte Artikel werden sofort verkauft,
       wodurch eine hohe Liquidität entsteht, sagt Gerling.
       
       Zum Prinzip Aldi gehört auch, immer wieder etwas zu erfinden, um noch
       schneller und profitabler zu werden. Zum Beispiel die auf mehreren Seiten
       der Verpackung aufgedruckten Barcodes. „Aldi spart an den Prozessen, nicht
       an der Produktqualität“, erklärt Einzelhandelsexperte Gerling. Aldi habe
       die beste Qualitätsreputation von allen Discountern und wird von
       Angehörigen aller Einkommens- und Bildungsklassen frequentiert.
       
       ## Problem: Singlehaushalt
       
       Die jüngste Modernisierungswelle hat Backautomaten in die Filialen
       gebracht. Eine Reaktion auf die leichten Marktanteilsverluste der
       Discounter zugunsten der Supermärkte mit Bedienungsangeboten wie Rewe oder
       Edeka. Die Manager der klassischen Vollsortimenter überlassen den
       Billigheimern nicht kampflos das Feld, sie reagieren mit längeren
       Öffnungszeiten und einer angenehme Verkaufsatmosphäre.
       
       Supermärkte können auf etwas reagieren, was für Aldi und Co. mit ihren
       Familienpackungen zum Problem werden könnte: die zunehmende Zahl von
       Single- und Zweipersonenhaushalten. „Im Supermarkt bekommt man auch zwei
       Scheiben Käse an der Bedientheke“, sagt Gerling. Das ist nicht die einzige
       offene Flanke. Längst hat Aldi viele Nachahmer gefunden. Konkurrent Netto
       hat nach Angaben von EHI Research 4.095 Verkaufsstellen, Lidl kommt auf
       3.300. Vielerorts stehen Filialen mehrerer Ketten nebeneinander. Eine
       kleine falsche Weichenstellung bei Preis oder Sortiment kann die Kunden
       vertreiben.
       
       So stark wie in den vergangenen Jahrzehnten wird Aldi nicht mehr
       expandieren können. „Der Markt ist gesättigt“, sagt Gerling. Seit ihrem
       Bestehen sind Aldi Nord und Aldi Süd stets gewachsen. Im vergangenen Jahr
       ist die Gesamtverkaufsfläche von beiden zum ersten Mal leicht gesunken. Die
       Marktsättigung führt zu Preisschlachten mit Kollateralschäden. Der
       gnadenlose, von Aldi immer wieder angezettelte Preiskrieg lockt aber nicht
       nur, sondern schadet auch dem Image. Er schiebt Gruppen zusammen, die
       ansonsten nicht viel miteinander zu tun haben. Als Aldi im Frühjahr die
       Preise für Fleisch senkte, protestierten Bauern und Tierschützer
       gleichermaßen. Die Kampagne von Ver.di gegen die Arbeitsbedingungen beim
       Konkurrenten Lidl hat bei etlichen Verbrauchern den Eindruck hinterlassen,
       dass Aldi zu den Guten gehört. Doch der Eindruck wandelt sich.
       
       „Das Management von Lidl hat gelernt“, sagt Ver.di-Sekretär Folkert Küpers.
       „Die Arbeits- und Lebensbedingungen für die Beschäftigten dort haben sich
       verändert. Lidl treibt in diesem Punkt die Konkurrenten vor sich her.“ Bei
       der Christlichen Initiative Romero gehören die kritischen Materialien zu
       Aldi zu den am meisten nachgefragten. Darin werden auch die schlechten
       Arbeitsbedingungen von Näherinnen beschrieben, die für Aldi Textilien
       herstellen. „Viele Lehrer und Lehrerinnen bestellen das Material“, sagt
       Romero-Mitarbeiter Christian Wimberger. Etliche Schüler lernen im
       Unterricht, wer den Preis für die billigen Waren zahlen muss. Gut möglich,
       dass diese Generation nicht mehr so gerne zu Aldi gehen wird wie ihre
       Eltern.
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
       
       ## TAGS
       
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       Leider.