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       # taz.de -- Kolumne Vollbart: Abhängen mit La Mamma
       
       > La Mamma sagt wirklich auch „Arschloch“, wenn sie es für angebracht hält
       > - wie es sich für eine waschechte italienische Ex-Kommunistin gehört.
       
   IMG Bild: Ja, es gab auch Pizza beim Besuch von La Mamma
       
       La Mamma war hier, zu Besuch bei mir und L. Und es war schön, sehr schön
       sogar. La Mamma ist nämlich der beste Gast. Sie will keine
       Sehenswürdigkeiten sehen, sie will nicht in den Westen und sie will
       überhaupt nichts von den Dingen machen, die sonst so anstrengend sind. Also
       sich alle Ausstellungen anschauen, das Pseudo-Versailles in Potsdam
       besuchen oder in irgendwelche albernen Kirchen gehen.
       
       Also haben La Mamma, L. und ich eigentlich fünf Tage nur damit verbracht,
       zu Hause in Neukölln abzuhängen. Wir haben gegessen – natürlich nur
       italienisch –, geschlafen und Tatort geschaut. Das muss dann doch sein.
       
       Erstaunlich ist, wie viele wahnsinnig gute italienische Restaurants im
       Norden Neuköllns aufgemacht haben. Nicht diese kitschig-geschmacklosen mit
       Marienstatuen, Papstbildern und Fotos des Komikers Totò. Und nicht mit
       Kellnern, die mit Akzent immer „schöne Signora“ oder so einen Scheiß sagen.
       Nein, alle waren spartanisch eingerichtet, mit einer kleinen Speisekarte
       und hochwertigem Essen. Das hat La Mamma gefallen.
       
       La Mamma ist ja sowieso die Beste, aber nicht so Pizza, Pasta, Amore. Sie
       steht auch nicht die ganze Zeit schwitzend am Herd, um Tomatensauce zu
       kochen. Also nicht wie die dicke „Mama (mit einem m, weil ist ja
       eingedeutscht) Mirácoli“ aus der Werbung, die dann immer „Enriiiiiiccco“
       schreit. Okay, Mama Mirácoli war eigentlich nur in meinem Kopf dick, in der
       Werbung ist sie es nicht. Eine Schürze hatte sie trotzdem immer an. La
       Mamma hat statt Scheiß-Mirácoli für L. und mich selbstgemachtes Pesto aus
       Köln mitgebracht.
       
       Berlin mag La Mamma nicht so. Alles sei dreckig hier, und es gebe nur
       wahnsinnig schöne oder wahnsinnig heruntergekommene Gegenden. Das sei der
       Charme der Stadt, versuche ich ihr zu erklären. Arm und sexy und so. Das
       wollte sie aber nicht hören. Und wer bin ich, ihr zu widersprechen?
       
       Trotzdem war La Mamma gut drauf, ungeachtet der dreckigen Stadt. Sie hat
       sich auch nicht über die Länge meines Bartes, über meine Klamotten oder
       meine Wohnung beschwert — Dinge, die sonst alle Mütter ja besonders gerne
       tun.
       
       Was ich aber besonders an La Mamma liebe: Sie hat sich nie als Opfer
       geriert. Ihr geht es immer um Selbstermächtigung. Und „immer“ heißt
       wirklich immer. Sie sagt den Menschen, wenn sie sich wie Arschlöcher
       verhalten. Wie der Familienvater, der sich an der Schlange vorbeidrängelt.
       Oder der Typ in der U-Bahn, der auf eine Frau einschreit. Oder wenn jemand
       versucht, sie auf irgendeine Art und Weise abzuziehen. Und ja, sie sagt
       wirklich auch „Arschloch“, wenn sie es für angebracht hält. Sie ist eben
       höflich, solange ihr keiner auf den Sack geht. Also so, wie es sich für
       eine waschechte italienische ehemalige Kommunistin gehört.
       
       Ach, der Kommunismus. La Mamma hat ihren Frieden damit gefunden. Mich
       hingegen sieht sie jedes Mal als Idealisten – „wie dein Vater“, sagt sie
       dann. Und wenn ich widerspreche: „Und genauso polemisch.“ Dann lachen wir
       beide – La Mamma und ich.
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Enrico Ippolito
       
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