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       # taz.de -- Stadtumbau in Barcelona: Ächzen unter den Touristenströmen
       
       > Ende der „gelebten Sozialdemokratie“? Potente Investoren aus Katar,
       > Konsumismus und Wirtschaftskrise setzen der katalanischen Metropole
       > schwer zu.
       
   IMG Bild: Barcelona bei Nacht, mit fotogenem Gewitter im Hintergrund.
       
       BARCELONA taz | Die Olympischen Spiele in Sotschi stellten zwei Rekorde
       auf: Es waren die teuersten und am wenigsten nachhaltigen Spiele. Russlands
       Putin gilt der Ruhm, den 340.000 Einwohnern bleiben überdimensionale
       Wettkampfstätten und enorme Instandhaltungskosten.
       
       In der Millionenstadt Barcelona verstieg man sich nicht darauf,
       größenwahnsinnige Bauwerke zu errichten. Und das, obwohl 1992, als die
       katalanische Metropole die Olympischen Spiele ausrichtete, kaum jemand von
       Nachhaltigkeit sprach. Nach Ende der Franco-Diktatur wollten Regierungschef
       Felipe González und Bürgermeister Pasqual Maragall der Welt ein anderes
       Spanien zeigen – weltoffen, bürgernah und demokratisch.
       
       Die Sozialisten Pasqual Maragall und Stadtbaurat Oriol Bohigas waren von
       der Vision beseelt, Barcelona in eine Stadt für die Bürger zu verwandeln.
       Man nahm das Großereignis zum Anlass, nicht nur Sportstätten zu errichten,
       sondern Steinbrüche in Parks umzuwandeln und attraktive Plätze selbst an
       den Stadträndern entstehen zu lassen, zugunsten lebendiger Viertel. Die
       bekannte Losung hieß: „Barcelona zum Meer hin öffnen“.
       
       Der Industriehafen wurde abgebaut, der Alte Hafen öffentlich zugänglich
       gemacht. Maragalls populärste Entscheidung war, einen sechs Kilometer
       langen Strand aufschütten zu lassen. Er kommentierte die aufwendige Aktion:
       „Unsere Strände sind gelebte städtische Sozialdemokratie.“ Zahlreiche
       Hafenstädte kopierten das „Modell Barcelona“, das mehr urbane
       Lebensqualität versprach.
       
       Demokratischer Stadtraum hieß auch, Bildung bis in die ärmsten Viertel zu
       bringen, Stadtteilbibliotheken einzurichten. So gibt es mittlerweile in
       Barcelona 40 Stadtteilbibliotheken durch Neubauten oder Umnutzung einstiger
       Fabrikhallen. Sie gehören zu den beliebtesten Treffpunkten in den Vierteln.
       
       ## Aufwertung durch Kunst
       
       Unter Touristen hat sich noch immer wenig herumgesprochen, dass seit den
       frühen neunziger Jahren hunderte Kunstwerke in ganz Barcelona entstanden.
       Oriol Bohigas kommentiert die Aktion: „Wir luden damals viele
       internationale Künstler ein, um Projekte in allen Stadtteilen
       durchzuführen. Es war unsere Absicht, die städtische Lebensqualität zu
       verbessern.“ Skulpturen sollten nicht nur Regierungs- oder Kulturpaläste
       schmücken. Im Gegenteil, die entstandenen Kunstwerke werteten den gesamten
       Stadtraum auf, auch Straßen und Plätze entlegener Stadtteile.
       Beispielsweise errichteten Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen im
       abseitigen Vall d’Hebron die überlebensgroße Popskulptur „Match Cover“.
       
       Und im Parque de la Creueta del Coll, in den sich selten ein Tourist
       verirrt, schwebt über einem von Palmen eingefriedeten Teich eine
       Eisenskulptur von Eduardo Chillida, während am Eingangsbereich eine
       Metallstele des amerikanischen Künstlers Elsworth Kelly emporragt.
       
       Kritiker Llàtzer Moix schrieb über die frühen neunziger Jahren: „Die
       Stimmung war euphorisch, Architekten und Bildhauer kamen aus aller Welt, um
       an der Umwandlung Barcelonas mitzuwirken. Jeder wollte seine Spur in der
       Stadt hinterlassen und am allgemeinen Fest teilnehmen.“
       
       Mit neuen Museen und Kulturzentren trat Barcelona aus dem Schatten Madrids
       heraus. Später erkannte man, dass eine Kulturmetropole nicht allein von den
       Musentempeln lebt, sondern dass es darauf ankommt, in Kreativzentren zu
       investieren. Und so entstand eine städtische Initiative, die zahlreiche
       leer stehende Fabrikhallen in den Barrios zu „fábricas de creación“
       umwandeln ließ. Dabei entstand im trendigen Mar Diagonal das audiovisuelle
       Experimentallabor Hangar, und kürzlich eröffnete im Arbeiterviertel Sant
       Andreu das Künstlerzentrum Fabra i Coats.
       
       ## Rausch der Tourismusmesse
       
       Kurz und gut: Vor 25 Jahren entwickelte sich das weltweit bewunderte
       „Modell Barcelona“. Doch was völlig zu recht als Modell einer bürgernahen,
       nachhaltigen und sozial ausgeglichenen Stadtentwicklung begann, ist nach
       sechs Jahren Wirtschaftskrise ernsthaft gefährdet. Josep María Montaner,
       Architekturprofessor an der Universität Barcelona, meint sogar: „Es hat
       sich die Einschätzung durchgesetzt, dass das Modell Barcelona seinen
       globalen Anspruch eingebüßt hat.“
       
       Nachhaltigkeit wurde dem besinnungslosen Motto „Barcelona Growth“ geopfert,
       gefördert durch die neoliberal-regionalistische Stadtregierung. Politiker
       und Tourismusexperten berauschten sich auf der Tourismusmesse im Frühjahr
       an den neuen Touristenzahlen, die – trotz Krise – im letzten Jahr auf 7,5
       Millionen gestiegen sind. Montaner fügt hinzu: „In diesem Jahr werden 8,5
       Millionen erwartet, im nächsten Jahr sollen es bereits 10 Millionen sein.
       Kreuzfahrtschiffe setzen täglich bis zu 20.000 Touristen ab. Innerhalb
       weniger Jahre wandelte sich der Kulturtourismus in einen massiven,
       konsumorientierten, schnelllebigen, oberflächlichen Tourismus. Die Stadt
       ächzt unter den Touristenströmen, einige Stadtteile stehen kurz vor dem
       Zusammenbruch.“
       
       Josep María Montaner denkt an den Parc Güell, der im letzten Jahr an die
       Schmerzgrenze von 25.000 Besuchern pro Tag kam. Mittlerweile verfügte die
       Stadtverwaltung, dass nur noch 800 pro Stunde und gegen Bezahlung den Park
       besichtigen dürfen.
       
       Auf der Tourismusmesse erfreute man sich auch an dem derzeitigen Hotelboom,
       denn fast wöchentlich eröffnen in Barcelona neue Hotels. Das wurde möglich,
       nachdem vor einem Jahr ein Moratorium aufgehoben worden war, das die
       Errichtung neuer Hotels in der Altstadt untersagte. Allein 2013 wurden 1,1
       Milliarden Euro in Touristenunterkünfte investiert, mit steigender Tendenz.
       „Viele Stadtviertel leiden unter dem Druck neuer Hotels. Betroffen sind
       historische Plätze und Straßenzüge, aber auch Fußgängerzonen, die von den
       Investoren bevorzugt werden. Es besteht die Gefahr, dass diese Stadtteile
       zugrunde gehen“, so Montaner. Ausländische Investoren konzentrieren sich
       mittlerweile sogar auf die städtischen Wahrzeichen. Das zeigt sich
       besonders krass am Verkauf des zum Symbol des neuen Barcelona
       aufgestiegenen Torre Agbar an die amerikanische Hotelgruppe Hyatt.
       
       ## Fischer und Jetset-Lounge
       
       Derzeit wird die Hotelszene von potenten Investoren aus Katar beherrscht.
       Augenfällig wird diese Entwicklung auf der Halbinsel Barceloneta, wo einst
       Fischer ihre Boote anlegten. Während gerade Antonio Coderchs „Bloque de
       Pescadores“ aus den fünfziger Jahren restauriert wird, ragt dräuend Ricardo
       Bofills Hotel W über das kleinteilige Viertel empor. Die Hotelgestalt
       erinnert an ein riesiges Segel – eine blasse Kopie des legendären Burj al
       Arab in Dubai. Die vermögenden Hotelgäste aus den Jetset-Lounges wird es
       kaum interessieren, dass der Investor ausgerechnet eine
       Immobiliengesellschaft aus Katar ist.
       
       Und die Gäste von Jean Nouvels Hotel Renaissance im Businessviertel
       L’Hospitalet dürften wohl kaum erfahren, dass Katars Militär die
       Hotelgeschicke lenkt. An die allgegenwärtigen Schriftzüge von Qatar
       Airways, die dem klammen FC Barcelona zu Hilfe eilten, haben sich die
       Barceloner längst gewöhnt, doch seitdem Emir Tamim bin Hamad al Zani seine
       Absicht verkündete, die ehrwürdigen Stierkampfarena La Monumental an der
       Gran Via aufzukaufen, entzündete sich in der Stadt eine heftige Diskussion.
       Die vor zwei Jahren geschlossene Arena, in der auch schon die Rolling
       Stones auftraten, will der Emir in die größte, teuerste und höchste Moschee
       des Abendlands umwandeln – für 40.000 Muslime und mit einer Minaretthöhe
       von 300 Metern.
       
       ## Jachten, 120 Meter lang
       
       Josep Maria Montaner vermisst die politische Kontrolle, die einst das
       „Modell Barcelona“ auszeichnete: „Der Ausgleich zwischen privat und
       öffentlich, einer der Stützen des Modells, wird ausgehöhlt.“ Das zeige sich
       auch symptomatisch am Verkauf der Marina Port Vell an den englischen
       Investor Salamanca Group. Seither wandelten die Briten die Marina am
       Olympischen Hafen in einen der größten und am besten gesicherten
       Luxusjachthäfen um, mit Schiffen bis zu einer Länge von 120 Metern. Trotz
       vehementer Proteste der Anwohner wurde der von der Hafenbehörde
       eingefädelte Coup anstandslos vom Stadtparlament abgesegnet.
       
       Montaners harsche Kritik stößt allerdings unter Fachkollegen nicht auf
       ungeteilte Zustimmung. Zu diesen Kollegen gehört Jordi Badía. Der Architekt
       propagiert – in Zeiten leerer öffentlicher Kassen – das „Bauen im Bestand“.
       Die Spektakelarchitektur solle man tunlichst vergessen.
       
       Als Badía vor ein paar Jahren eine Textilfabrik in das Museum Can Framis
       transformierte, galt das als richtungweisende, ressourcenschonende
       Architektur. Auch Badía weiß, dass internationale Investoren das
       Erscheinungsbild Barcelonas nachhaltig verändern können, aber er schränkt
       ein: „Tatsächlich befürchten viele Bürger, es drohe der Ausverkauf der
       Stadt. Allerdings kann sich die Stadt davor schützen. Sie müsste
       entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das würde aber auch eine notwendige
       politische Lenkung erfordern.“
       
       Trotz aller Gefahren, die das Modell Barcelona bedrohen, lobt Jordi Badía
       den stadtökologischen Umbau des Verkehrs. In der Tat: Wer in diesen Tagen
       durch Barcelona streift, dem fallen sofort die knallroten Fahrradstationen
       auf den Plätzen und Straßen auf. Sie haben sich in den letzten zwölf
       Monaten nahezu verdoppelt. Im abschüssigen Barcelona sind die rot-weißen
       Fahrräder, die jedem Bürger mit Nutzerpass zustehen, ein Erfolgsmodell.
       
       Derzeit wird der gesamte öffentliche Nahverkehr umgekrempelt, um, wie Badía
       kommentiert, „ein Nachhaltigkeitsmodell für Europa“ zu schaffen. Man möchte
       weg von den fossilen Energieträgern und außerdem ein möglichst effektives
       und übersichtliches Bussystem für sämtliche Distanzen aufbauen. Schon jetzt
       gibt es im hügeligen Carmel die kleinen, wendigen Busse des „servei de
       barri“, die zuverlässig entlegene Punkte des Viertels anfahren.
       
       Jordi Badía glaubt, Barcelona habe das Potenzial, sich aufs Neue zu
       erfinden. Das Modell Barcelona von Maragall und Bohigas galt der Stadt des
       20. Jahrhunderts. Es sei aber keineswegs obsolet. Heute konkurriert man mit
       Kopenhagen, das bis 2025 CO2-neutral sein will. Ziele, mit denen Barcelona
       dann ebenfalls als Stadt des 21. Jahrhunderts gerüstet sein will.
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Englert
       
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