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       # taz.de -- Bremer Eiswett-Traditionen: Hepp hepp Hurra - unter Vordemokraten
       
       > Jahr für Jahr treffen sich Bremer Kaufleute und Unternehmer mit
       > Politikern zum Eiswett-Essen und pflegen Politik und Geschäft als
       > Privatsache - in vordemokratischer Tradition.
       
   IMG Bild: Frauen nur draußen: Gäste des diesjährigen Stiftungsfestes der "Bremer Eiswette von 1829" im Congress Centrum Bremen.
       
       BREMEN taz | Per Zufall stieß Arndt Frommann im Jahr 2011 auf das Thema:
       die Bremer Eiswette, 1829 begründet von örtlichen Kaufleuten, und bis heute
       alljährlich abgehalten. Der pensionierte Lehrer aus Bremen-Walle begann
       nachzufragen. Archive? Gibt es keine, erklärte ihm der damalige
       Eiswett-Präsident, Redemanuskripte auch fast keine – alles im Krieg
       verbrannt. Frommann konnte das nicht glauben. Zumal ein früherer Präsident
       der Eiswette, Karl Löbe, offenbar umfangreiches Material zur Verfügung
       hatte, als er 1979 das Hochglanz-Bändchen „150 Jahre Eiswette von 1829 in
       Bremen“ schrieb. Er bohrte nach, fand hier und etwas, bekam hier und da
       doch eine Auskunft, stellte ein Puzzle über die wirkliche Geschichte der
       Eiswette zusammen.
       
       Im Grunde sei das Eiswett-Essen ein informeller „fröhlicher Herrenabend“,
       sagen Beteiligte, mit inzwischen rund 800 Persönlichkeiten aus Wirtschaft
       und Politik sowie Spitzenpolitikern, die launige Reden halten:
       Bundespräsident Roman Herzog war 1998 Gastredner, Schleswig-Holsteins
       Ministerpräsident Peter Harry Carstensen 2009, Verteidigungsminister zu
       Guttenberg 2010. Im Januar 2014 waren Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz
       und der EADS-Chef Thomas Enders Ehrengäste bei dem nichtöffentlichen
       „Herrenabend“. Offenbar eine Tradition aus Zeiten, in denen Geschäft wie
       Politik Privatsache waren.
       
       Mit dem Politischen und dem Privaten ist es ja so eine Sache:
       „Hepp-hepp-hepp-hurra!“, so geht einer der feucht-fröhlichen Schlachtrufe
       bei der Bremer Eiswette, tönt beim Diner wiederholt aus versammelten
       Männerkehlen. Was mögen die Gründer sich dabei gedacht haben? Solche Fragen
       stellte Löbe in seinem Buch von 1979 nicht. Hätte er’s mal getan:
       „Hepp-Hepp-Krawalle“ nannte man 1819 die Welle gewalttätiger
       Ausschreitungen gegen Juden in vielen Städten des Deutschen Bundes. Den
       Gründern der Eiswette dürfte das, kaum zehn Jahre später, geläufig gewesen
       sein. Tucholsky schrieb 1919, Hepp-hepp-Hurra sei im 19. Jahrhundert zum
       typischen Gebrüll deutscher Biertische geworden.
       
       Zitat aus einer in Danzig 1819 veröffentlichten „Proclamation“, in der die
       Juden als „Christusmörder“ bezeichnet wurden: „Noch haben wir Macht über
       ihnen und die Gewalt ist in unseren Händen, darum laßt uns jetzt ihr sich
       selbst gefälltes Urtheil an sie vollstrecken laut dem wie sie geschrieen:
       Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! Auf! wer getauft ist, es gilt
       der heiligsten Sache, fürchtet nichts und zögert keine Stunde, den Streit
       für des Glaubens Ehre zu wagen. Diese Juden, die hier unter uns leben, die
       sich wie verzehrende Heuschrecken unter uns verbreiten, und die das ganze
       preußische Christenthum dem Umsturz drohen, das sind Kinder derer die da
       schrieen: kreutzige, kreutzige. Nun auf zur Rache! Unser Kampfgeschrei sey
       Hepp! Hepp! Hepp! Aller Juden Tod und Verderben, Ihr müsst fliehen oder
       sterben!“
       
       Hat eine Traditionsveranstaltung wie die Eiswette Anlass, sich um ihre
       Geschichte zu kümmern? „Am 8. November des Jahres 1828 wetten einige
       Freunde auf das Zufrieren der Weser anfangs des kommenden Jahres und
       vereinbaren, dass die Verlierer die Zeche für einen „vaterländischen
       Braunen Kohl mit Zubehör" bezahlen“, plaudert die Internetseite munter zum
       Thema „Geschichte“. Mehr als eine Reminiszenz steht da nicht. Und die Liste
       der „Präsidenten“ der Eiswette beginnt 1949 mit Richard Ahlers - dem sei es
       „vorbehalten“ gewesen, „die Eiswett-Tradition nach der langen Unterbrechung
       wegen des Zweiten Weltkriegs fortzusetzen.“ War da was? Offenbar nicht.
       Eiswett-Präsident Löbe behaupte 1971 – da lebten noch viele der Beteiligten
       - dass die Eiswette auch in der Nazizeit „von politischen Einflüssen
       ungeschoren“ geblieben sei.
       
       „Unterbrechung wegen des zweiten Weltkrieges“ ist danach eine typische
       Geschichtslüge, mit der so manche deutsche Biografie geglättet wurde. Arndt
       Fromman interessierte sich besonders dafür, was da vorher war. In der Tat
       fand das letzte Eiswett-Festspiel nach dem Anschluss Österreichs und des
       Sudetenlandes am 7. Januar 1939 statt, zwei Monate nach jener Nacht, in der
       die beiden Synagogen Bremens in Flammen aufgegangen waren. Die „Bremer
       Nachrichten“ konnten am 8.1.1939 berichteten, dass die Eiswettgenossen
       begeistert waren: „Humor und Witz feierten Triumphe“ und „selten ist wohl
       bei der Eiswette so gelacht worden, wie in diesem Jahr.“
       
       Die Bremer Eiswette war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in der Tat
       eine Lach- und Spielgesellschaft konservativer Kaufleute mit flotten
       Sprüchen und einem gelegentlichen Hoch auf den Kaiser gewesen. In der Zeit
       der Weimarer Republik politisierte sie sich – Militärs, hohe
       Verwaltungsleute und Bremer Senatoren wurden eingeladen, die Liste der
       Honoratioren stand in der Zeitung. Gastredner der Eiswette waren Männer wie
       Walter Caspari, der Chef der Bremer Schutzpolizei, der mit seinem
       „Freikorps Caspari“ am 8. Februar 1919 die Bremer Räterepublik
       niedergeschlagen hatte. Paul von Lettow-Vorbeck, seit 1919 Mitglied im Bund
       der Frontsoldaten „Stahlhelm“, war Dauergast der Eiswette. Oder der
       Forstrat Georg Escherich, der im Zuge der Münchener Räterepublik einen
       rechtsradikalen paramilitärischen Verband „Orgesch“ gegründet hatte.
       
       Dass der erzkonservative Bürgermeister Martin Donandt, Präsident des Senats
       von 1920 bis 1933, die Einladung zur Eiswette ohne Wenn und Aber ablehnte,
       wirft ein Licht auf den zweifelhaften Ruf der Veranstaltung, die in Kreisen
       der Bremer Elite damals als unseriöses Männerremmidemmi angesehen wurde.
       Die Haltung des senats änderte sich 1933: Der erste NS-Senat bekundete, er
       sei bereit zu kommen, wenn „wenn die Durchführung der Feier den Zeiten und
       den Auffassungen der Nationalsozialistischen Regierung entsprechend
       gestaltet wird.“ Eiswette und NS-Senat verhandelten kurz – und wurden sich
       einig. Seitdem gehörten SS- und SA-Uniformen zum Erscheinungsbild der
       Eiswette.
       
       Bei der Eiswett-Feier 1934 brachte Eiswette-Präsident Hugo Gebert ein
       dreifaches „Sieg Heil“ auf Reichspräsident, Führer und Vaterland aus, dafür
       gab es einen „brausenden Widerhall“ aus 500 Männerkehlen, konnten die
       Bremer Nachrichten am 22.1.1934 berichten. Und es wurde das
       Horst-Wessel-Lied gesungen: „Die Fahne hoch / Die Reihen dicht geschlossen
       / SA marschiert mit ruhig festem Schritt…“ Die Versammlung der fünfhundert
       Männer hatte sich beim Singen erhoben und stand sechs Minuten mit zum
       Hitlergruß erhobenem Arm.
       
       Entertainer und „Hofpoet“ der Eiswette war seit 1927 Otto Heins, Studienrat
       der Oberschule im Bremer Westen. Heins war Mitglied des Stahlhelm, 1937
       trat er in die NSDAP ein. Im Januar 1943 wurde er kommissarisch Schulleiter
       seiner Schule, die damals „Horst-Wessel-Schule“ hieß. Nach dem Ende des
       Krieges wollte er diese Position weiter bekleiden und behauptete, er sei
       nie Mitglied der NSDAP gewesen. Die Lüge flog auf.
       
       Nach dem zweiten Weltkrieg knüpfte die Eiswette naht- und gedankenlos an
       ihre deutschnational-konservative Tradition an. Der Häfensenator Hermann
       Apelt war schon in den Jahren der Weimarer Republik wegen seiner
       rhetorischen Fähigkeiten und seiner vaterländischen Gesinnung gerngesehener
       Gast der Eiswette gewesen. 1933 zum Rücktritt gezwungen und
       konsequenterweise auch von der Eiswette nicht mehr eingeladen, war er 1949
       wieder dabei, auch Otto Heins lief wieder zu alter Form auf. 1951 durfte
       Apelt die Deutschland-Rede halten. Er begann bei Karl dem Großen und endete
       bei der Befürwortung einer (west)deutschen Wiederbewaffnung. Denn,
       Deutschland sei stets „der Deich gegen die östliche Flut“ gewesen. Mit der
       Niederlage Deutschlands „ist auch der schützende Damm Europas gegen den
       Osten zerbrochen und die anderen Mächte haben ihn, in bedauerlicher
       Verkennung, noch bis zum Grund abgetragen.“ Russland sei „Träger der
       östlich-asiatischen Gefahr“ gewesen, „der Machthaber des Dritten Reichs hat
       dies erkannt, klarer erkannt als die anderen Mächte, - und indem er es
       unternahm, der Gefahr zu begegnen, konnte er meinen, im Sinne der uns
       Deutschen angestammten europäischen Aufgaben zu handeln. Aber wie
       (Hervorhebung im Original) er es unternahm, - in blinder Überheblichkeit
       und Maßlosigkeit ... musste sein Unterfangen mit Notwendigkeit zum
       Verderben führen.“
       
       Bremens Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) hat der Eiswette die Brücke
       gebaut zu den neun politischen Verhältnissen in der Nachkriegsgeschichte –
       er hat als erster sozialdemokratischer Senator eine Einladung bekommen und
       nahm auch regelmäßig teil. Wegen politischen Kabarett-Einlagen, in denen
       die SPD wüst verspottet wurde, kam es in den 1980er Jahren zu Verstimmungen
       mit der SPD. Das Eiswett-Präsidium gab sich offen für die neue Zeit – und
       lud 1989 den linken Kabarettisten Hans Scheibner ein. Schon nach dem
       zweiten Sketsch gab es „Abtreten!“- und „Aufhören!“-Rufe, Scheibners
       Auftritt ging in minutenlangen Pfiffen unter. Der lokale Weser-Kurier
       schrieb: „Etliche der so förmlich gekleideten Herren vergaßen ihre gute
       Kinderstube …“
       
       Erst Henning Scherf ließ sich als Bürgermeister wieder feiern von den
       Eiswett-Genossen – mit großem Beifalls für seinen Spott auf die Grünen und
       betroffene Anwohner der Hafen-Ausweitung. Die Eiswette schien wieder
       versöhnt mit dem Bremer Senat – bis in der Zeit des neuen Bürgermeisters
       Jens Böhrnsen der Ausschluss der Frauen von dieser Tradition zum Thema
       wurde.
       
       23 Jul 2014
       
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