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       # taz.de -- Reise in die Wüste Negev: Oase der Verweigerer
       
       > Die israelische Armee nutzt die Wüste Negev als Truppenübungsplatz. Dort
       > leben neben Beduinen auch Hippies und Friedensaktivisten.
       
   IMG Bild: Kein Panzer in Sicht? Die Wüste Negev scheint ganz friedlich.
       
       Wie eine Fata Morgana flimmert der friedliche Ort mitten in der „Firing
       Zone“. Lediglich ein paar Bäume spenden Schatten für die Hütten. Dass dies
       ein besonderer Ort ist, merkt man schon daran, dass er der einzige im
       Umkreis von vielen Kilometern ist, an dem Menschen sich gegen die
       Trockenheit, Ödnis und Leere der Wüste stemmen und Leben möglich machen, wo
       sonst nur Tod ist.
       
       Shittim heißt dieser Ort, an dem 20 junge Menschen auf der Suche nach
       innerem Frieden sind. Und Shittim befindet sich mitten in der Schusszone
       der IDF, der israelischen Armee in der Wüste Negev.
       
       Es ist schwer vorstellbar, dass man in einem anderen Land mit so geringer
       Fläche auf ebenso viele Gegensätze trifft wie in Israel. Gerade einmal so
       groß wie Hessen ist der Staat. Die karge Steinlandschaft im Süden nimmt
       zwar 60 Prozent der Fläche Israels ein, aber lediglich ein Zehntel der
       Bevölkerung hat sich hier angesiedelt.
       
       Die IDF nutzen diese leere Fläche, um für den Krieg zu trainieren, vor
       allem für den in Gaza. Wer außer den Streitkräften wagt ein Leben in der
       Einöde? Warum verschlägt es einen Haufen Hippies mitten in die Schusslinie
       der Soldaten?
       
       In der Wüste Israels war von jeher Platz für Visionäre: Moses hat sein Volk
       nach der ägyptischen Gefangenschaft durch die Sandsteppe geführt. Und der
       zionistische Staatsgründer David Ben-Gurion hatte den Traum, „die Wüste zum
       Blühen“ zu bringen. Er wollte den Juden in der Welt zeigen, dass in Israel
       genug Platz für sie alle sei, und verfolgte das Ziel vom Leben in der
       Wüste.
       
       ## Ein Sandkasten der israelischen Armee
       
       Wer aus dem Norden anreist, hat bereits 75 Kilometer Einöde und Einsamkeit
       hinter sich. 75 Kilometer ohne Schatten, ohne auf einen anderen Menschen zu
       treffen, ohne einen Ort mit Wasser, Essen oder Toiletten. Shittim ist das
       Ziel einer langen Tagesreise, ein Sehnsuchtsort der Israelis und Touristen.
       
       Vor über zehn Jahren haben spirituelle Israelis hier auf den Ruinen einer
       Militärsiedlung bei einer Oase das „Desert Ashram“ gebaut. Die Bungalows
       sind nur durch einen Maschendrahtzaun vom Militärgelände getrennt. In ihrer
       Mitte plätschert ein Springbrunnen, am Rand grasen friedlich einige Esel
       und Ponys. Das Friedenscamp wirkt wie eine Arche inmitten des
       Kriegszustandes.
       
       Die Wüstenbewohner des Ashrams wohnen in Holzhütten, ernähren sich
       vegetarisch, laufen barfuß, manchen tragen weite Yogahosen und Bärte, ihre
       Haare sind zu Dreadlocks gefilzt. Zweimal am Tag meditieren sie gemeinsam
       mit ihren Gästen, sie geben Tantra-Workshops, Atemkurse und
       Entgiftungsseminare. An der Rezeption sitzt eine junge Amerikanerin aus New
       Jersey. „Ich wollte raus aus der Hektik und dem Stress und meinem Leben
       einen tieferen Sinn geben“, sagt sie.
       
       ## Der Ashram, umgeben von einer Militäranlage
       
       Wer in Shittim eincheckt, unterschreibt, dass er sich darüber im Klaren
       ist, dass der Boden außerhalb der friedlichen Oase eine Militäranlage ist
       und das Betreten mit einer Strafe geahndet wird. Hinter dem
       Meditationsplatz, dort, wo die Soldaten für den Krieg trainieren, haben die
       Bewohner Shittims den Boden von Wüstensand freigekehrt. Mit Steinen haben
       sie das Wort gelegt, das seit John Lennon auf der ganzen Welt mit Frieden
       verbunden wird: „Imagine“.
       
       Hier mitten in der Wüste treffen zwei Welten aufeinander: Die eine ist
       kriegerisch, immer in Alarmbereitschaft, wird beherrscht von der
       schlagkräftigsten Armee des Nahen Ostens. Die andere will genau dieser Welt
       entkommen.
       
       Im Ashram leben Friedensaktivisten, viele haben den Kriegsdienst verweigert
       – in Israel ein Akt, der soziale Ächtung nach sich zieht. Der Armeedienst
       ist eng mit der israelischen Gesellschaft verknüpft, junge Männer leisten
       drei Jahre Wehrdienst, Frauen 21 Monate. Wer sich um einen Job bewirbt,
       wird gefragt, in welcher Einheit er gedient hat. Totalverweigerer müssen
       mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.
       
       Und dieser Realität kann man auch in der Negev nicht entkommen. Wer sie
       bereist, wird immer wieder mit Israels Armee konfrontiert. Auf einer
       einsamen Straße, die durch Schluchten und über steinige Hügel führt,
       rattern Geländefahrzeuge, auf der Ebene rollen Panzer. Die Armee hat die
       Negev zu einem Sandkasten für ihre Einheiten gemacht. Auch in
       Friedenszeiten fliegen hier Kampfjets und Apache-Hubschrauber statt Vögel.
       Jenseits der Hauptstraße wird vor Schusszonen gewarnt.
       
       ## 20 Kilometer von Gaza steht der „Iron Dome“
       
       Aschkelon ist eine 100.000-Einwohner-Stadt am Mittelmeer, an der Nordgrenze
       der Negev und nur 20 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Immer wieder
       schlagen hier die Raketen der Hamas ein. Wenn man die Einwohner fragt, ob
       sie es nicht gefährlich finden, so nah an Gaza zu wohnen, bekommt man
       erstaunliche Antworten.
       
       „Je näher man dran wohnt, desto besser“, sagt ein älterer Herr in einem
       Kiosk. „Die Raketen fliegen über unsere Köpfe hinweg.“ Es ist der für die
       Israelis typische Pragmatismus, ohne den es schwierig wäre, in einem Land
       zu leben, das sich in einer permanenten Krisensituation befindet.
       
       Südlich von Aschkelon steht eine mobile Raketenbasis. Was man sonst nur aus
       den Nachrichten kennt, ist hier unmittelbar erfahrbar: Israel fühlt sich
       von seinen Nachbarn bedroht und ist in jeder Sekunde des Tages bereit, sich
       gegen einen Angriff zu wehren.
       
       In den beiden Stahlbehältern auf den hochfahrbaren Plattformen liegen die
       Raketen, sie sind Teil des Abwehrsystems „Iron Dome“. Wenn eine Rakete aus
       dem 20 Kilometer entfernten Gazastreifen abgefeuert wird, bemisst ein Radar
       innerhalb von Sekunden deren Flugbahn. Eine Abfangrakete holt das Geschoss
       dann mit hoher Treffsicherheit vom Himmel.
       
       ## Keine Mauer trennt Spazierweg und Raketenbasis
       
       Auf einem Wachturm der Basis steht ein Soldat mit Helm und Gewehr in der
       Hand. Kein Zaun, keine Mauer trennt ihn von dem Spazierweg, der direkt an
       der Raketenanlage vorbeiführt. Fährt man noch weiter Richtung Süden an der
       Grenze entlang, ist Gaza-Stadt mit seinen 700.000 Einwohnern und den
       Hochhäusern am Horizont zu sehen.
       
       Unterhalb der Grenze zum Gazastreifen führt eine einsame Landstraße weiter
       an dem Zaun entlang, der seit 2010 den Friedensvertragspartner Ägypten von
       Israel trennt. Die Regierung will damit verhindern, dass illegale
       Einwanderer und Extremisten von der Sinai-Halbinsel nach Israel kommen.
       
       Auf kleinster Fläche versteckt sich Israel hinter Zäunen und Mauern vor
       seinen Nachbarn. Unter der wachsenden Bedrohung durch die Terrorgruppe Isis
       rief Benjamin Netanjahu jüngst auch nach einem Zaun an Israels Ostgrenze zu
       Jordanien.
       
       ## Beduinen leben mit ihren Tieren in der Wüste
       
       Nach ein paar Kilometern Fahrt durch die Negev beginnt dann das Nirgendwo.
       Auf dem sandigen Boden breiten sich ausgetrocknete Flussbetten, Schluchten
       und eine Gesteinslandschaft in allen Farben, von Caramelbraun bis
       Lavaschwarz, aus. In der Ferne sieht man Beduinen, die seelenruhig ihre
       Ziegenherde über die Straße führen.
       
       Etwa 150.000 Beduinen, schätzt die Regierung, wohnen mit ihren Tieren in
       der Wüste, manche von ihnen nomadisch, manche sesshaft. In der Negev gibt
       es noch eine andere Zeitrechnung, hier ticken die Uhren anders als in den
       Metropolen Tel Aviv und Jerusalem. Das Leben läuft hier nach der „zman
       midbar“, hebräisch für „Wüstenzeit“. Auch ohne gesetzliche Pflicht ist es
       in manchen Beduinenstämmen üblich, beim Militär zu dienen. Die IDF schätzt
       die Wanderhirten aufgrund ihrer nomadischen Herkunft vor allem als
       Aufklärer.
       
       Die israelische Regierung will die Negev auch in den nächsten Jahren weiter
       für die Armee erschließen. Zum Ende des Jahrzehnts soll die Hälfte der
       Stützpunkte aus Zentralisrael in die Wüste verlegt worden sein. In der
       Negev wird der Platz für Träume und Visionen eng. Der israelische Staat ist
       auf der Hut, wappnet sich für den Krieg, nicht für den Frieden.
       
       24 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva Lindner
       
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