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       # taz.de -- Türkei vor den Präsidentschaftswahlen: Erdogan setzt auf Konfrontation
       
       > Der Premier könnte die Wahlen in der ersten Runde für sich entscheiden.
       > Dafür braucht er die Stimmen der Kurden. Denen verspricht er einiges.
       
   IMG Bild: Auf Konfrontationskurs: der kommende Präsident Tayyip Erdogan.
       
       ISTANBUL taz | Es war eine Geste, die den gerade begonnenen
       Präsidentschaftswahlkampf in der Türkei grell ausleuchtet. Ekmeleddin
       Ihsanoglu, der moderat-islamische Professor, der für die beiden
       Oppositionsparteien CHP und MHP ins Rennen geht, überwies an seine beiden
       Kontrahenten jeweils 1.000 Lira (350 Euro) auf deren Wahlkampfkonten.
       
       Dieses Signal für einen finanziell transparenten Gentleman-Wahlkampf kam
       bei Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan jedoch nicht gut an. Er ließ
       durch seinen Anwalt das Geld postwendend zurückschicken. Doch der dritte
       Kandidat, der Kurde Selahattin Demirtas, bedankte sich per Twitter und
       meinte, Ihsanoglu solle ruhig mehr Geld schicken, er könne es gebrauchen.
       
       Während der Außenseiter Demirtas, der im besten Fall auf zehn Prozent
       hoffen kann, für jedes Gespräch offen ist, sendet Erdogan das genau
       gegenteilige Signal: Dialog war gestern, jetzt werden wir euch
       fertigmachen.
       
       Seit den Gezi-Protesten im Sommer 2013 und den [1][Korruptionsvorwürfen im
       Dezember] setzt Erdogan auf totale Konfrontation. Er lässt in seinem
       Präsidentschaftswahlkampf keinen Zweifel daran. Die „neue Türkei“, so der
       Wahlkampfslogan Erdogans, hat keinen Platz mehr für Leute, die nicht zur
       konservativen, religiösen sunnitischen Mehrheit gehören. Die Epoche der
       säkularen türkischen Republik, „die Zeit des Leidens“, ist vorbei, ruft
       Erdogan seinen Anhängern zu: „Jetzt sind wir dran.“
       
       ## Resignation statt Aufbruch
       
       Mit dem Gentleman-Wahlkämpfer Ekmeleddin Ihsanoglu hat die Opposition
       theoretisch einen guten Schachzug getan, praktisch droht der Mann jedoch zu
       einer Katastrophe zu werden. Der gebildete, kosmopolitische Professor
       sollte den säkularen Oppositionsparteien einen Einbruch in das
       Wählerpotential der AKP Erdogans ermöglichen. Doch der moderate Islamist
       wird von Erdogan erfolgreich als Verräter denunziert und ist gleichzeitig
       nicht in der Lage, die säkularen Wähler anzusprechen.
       
       „Wen haben wir zur Auswahl?“, fragte ein frustrierter Kolumnist der
       AKP-kritischen Tageszeitung Hürriyet kürzlich: den kommenden Diktator
       Erdogan, einen Islamisten und einen Kurden. Die Nominierung von Ihsanoglu
       hat den sowieso schon deprimierten säkularen Teil der türkischen
       Bevölkerung völlig in die Resignation getrieben. Die Aufforderungen von
       CHP-Parteichef Kemal Kilicdaroglu an die Basis seiner Partei, sie möge sich
       doch endlich für ihren Kandidaten ins Zeug legen, verhallen weitgehend
       ungehört. Die meisten fahren in den Urlaub, die Organisation der Kampagne
       der Opposition ist ein Desaster.
       
       Ganz anders sieht es bei dem kurdischen Kandidaten Selahattin Demirtas aus.
       Der immer noch jugendlich wirkende ehemalige Anwalt ist ein schlagfertiger
       Wahlkämpfer. Seine Partei HDP, die auch kleine linke türkische Parteien
       umfasst, unterstützt ihren Kandidaten hundertprozentig.
       
       ## Friedensverhandlungen mit der PKK
       
       Die Kurden haben nur deshalb einen Kandidaten aufgestellt, weil bei der
       Wahl am 10. August zum ersten Mal in der türkischen Geschichte der
       Präsident nicht mehr vom Parlament, sondern vom Volk gewählt wird. Die
       Kandidatur von Demirtas könnte deshalb dazu führen, dass Erdogan in der
       ersten Runde nicht die notwendigen 50 Prozent plus eine Stimme erreicht und
       ein zweiter Wahlgang nötig wird. Dann müsste er den Kurden ein Angebot
       machen, was Erdogan deshalb schon jetzt versucht.
       
       Im Parlament wurde noch vor der Sommerpause ein Gesetz verabschiedet, in
       dem Rahmenbedingungen für die Friedensverhandlungen mit der kurdischen PKK
       festgelegt werden. Zudem empfing Erdogan am Montag den Präsidenten des
       kurdischen Nordirak, Masud Barsani, und stimmte zu, dass die Kurden im
       Nordirak künftig über die Türkei ihr Öl verkaufen können. Mit der Mischung
       aus kompromisslosem Kampf gegen den säkularen Teil der Gesellschaft und dem
       Versprechen, den Konflikt mit den Kurden zu lösen, könnte Erdogan der Sieg
       bereits in der ersten Wahlrunde gelingen.
       
       18 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
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