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       # taz.de -- Finanzkrise in Gera: So pleite, wie man pleite sein kann
       
       > Seit Jahren schlittert die Stadt in die Katastrophe. Jetzt sind
       > Stadtwerke und Verkehrsbetriebe insolvent. Und wer hat die Ernst &
       > Young-Berater bestellt?
       
   IMG Bild: Die Geraer Verkehrsbetriebe sind pleite – die Busse fahren weiter.
       
       DRESDEN taz | Gera, einst Residenz der Reußenfürsten, in der DDR
       Bezirkshauptstadt und jetzt mit knapp 100.000 Einwohnern noch drittgrößte
       Stadt Thüringens, ist so pleite, wie eine Kommune nur pleite sein kann.
       Nachdem Ende Juni das Thüringer Landesverwaltungsamt eine weitere
       Kreditaufnahme der Stadt abgelehnt und der Stadtrat einen Notverkauf von
       rund 7.000 kommunalen Wohnungen verhindert hatte, meldete die
       Stadtwerke-Holding Insolvenz an. Die Geraer Verkehrsbetriebe GVB als eines
       von sieben Tochterunternehmen folgten im Juli.
       
       Der Schuldenberg der Stadtwerke war in rund zwei Jahrzehnten auf 224
       Millionen Euro angewachsen. Die 300 Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe
       erhalten zunächst für drei Monate Insolvenzgeld; der Betrieb wird
       fortgeführt.
       
       Der Eklat überrascht in Gera nicht wirklich. Im November des vorigen Jahres
       sorgte das Alarmzeichen eines spontanen Schließungstags aller
       Kultureinrichtungen bundesweit für Aufsehen. Schon 2010 gab es keinen
       bestätigten Haushalt, und auch in diesem Jahr bleiben die Ansätze in der
       Schwebe. Unter dem Druck der Kommunalaufsicht wurde ein
       Konsolidierungskonzept beschlossen, mit dem Gera in zehn Jahren 100
       Millionen Euro sparen will und das der Stadt praktisch keinerlei
       Investitionen mehr erlaubt.
       
       Die Stadtwerke-Holding war als Aktiengesellschaft mit der Stadt als
       einziger Gesellschafterin gegründet worden, um den Stadthaushalt von den
       Bilanzen der Versorger zu entlasten und eine vergleichsweise lächerliche
       Steuersumme zu sparen.
       
       Dieses in vielen Kommunen übliche Ausgliederungs- und Verbundverfahren
       funktionierte in Gera immer schlechter, wie jetzt auch die parteilose
       Oberbürgermeisterin Viola Hahn konstatiert. Zuschussbetriebe wie die GVB
       konnten immer weniger auf eine Querfinanzierung durch die gewinnbringende
       Energieversorgung hoffen, weil auch deren Gewinne schrumpften. Schon im
       Jahr 2000 musste sie teilprivatisiert werden, der französische
       Energiekonzern GDF Suez stieg zu 49,9 Prozent ein. Den hohen Kaufpreis
       ließen sich die Franzosen mit einer langfristig vorteilhaften Klausel
       vergüten: Gewinne werden mit der Stadt geteilt, das Verlustrisiko bleibt an
       Gera hängen.
       
       ## Politik mit Visionen
       
       Spätestens seit 2005 waren die Fakten bekannt, meint der
       CDU-Fraktionsvorsitzende Hans-Jörg Dannenberg im Stadtrat. „Es gab aber
       offensichtlich mehr ’Visionäre‘ als politisch Handelnde mit
       Realitätsbezug!“ Die früheren Oberbürgermeister und
       Aufsichtsratsvorsitzenden Ralf Rauch und Norbert Vornehm wiederum machen in
       Zeitungsinterviews jetzt ihre Nachfolger verantwortlich.
       
       Schon 2007 musste die Stadt eine Patronatserklärung für einen neuen Kredit
       der Stadtwerke abgeben, ruft Fraktionsvorsitzende Margit Jung von der
       Linken in Erinnerung. Kredite wurden umgeschuldet, bei den
       Verkehrsbetrieben wurden ohne Eigenmittel „die Investitionen von heute mit
       den Fördermitteln von morgen bezahlt“, wie Dannenberg formuliert.
       
       Die Hauptursache für die finanzielle Dauerkrise Geras aber dürfte in der
       ausgebliebenen Anpassung der Infrastruktur an die wirtschaftliche und
       demografische Entwicklung nach 1990 liegen. Der Zusammenbruch der
       traditionellen Industriebasis, der Verlust von fast 40.000 Einwohnern und
       ausbleibende Investoren bilden einen Teufelskreis.
       
       Die Gestaltung einer schrumpfenden ostdeutschen Stadt ist in Gera
       misslungen. Hinzu kommt, dass „jenseits des Hermsdorfer Kreuzes Thüringen
       zu Ende ist“, wie es in Gera heißt – dass man sich von der
       Landesentwicklung und -förderung abgehängt fühlt. Vom jüngsten
       136-Millionen-Wahlgeschenk des Freistaates an die Kommunen kam gerade eine
       halbe Million Euro in Gera an.
       
       Wer rettet Gera? Etliche Berater von Ernst & Young springen bei den
       Stadtwerken herum und haben schon 1,3 Millionen Euro für einige Placebos
       kassiert. Nicht einmal die im Aufsichtsrat sitzende Margit Jung weiß, wer
       sie bestellt hat, weshalb seit April eine Strafanzeige gegen unbekannt
       läuft. Gründlicher wird ein städtischer Sonderausschuss bis 30. September
       die Ursachen der Insolvenz klären.
       
       Nicht ganz so viel Zeit hat Insolvenzverwalter Michael Jaffé, auf dessen
       Kompetenz CDU-Mann Dannenberg setzt. Er sieht überhaupt „die Insolvenz als
       einzige Chance zur Erhaltung funktionsfähiger Tochtergesellschaften“ für
       die kommunale Daseinsvorsorge an. Gewisse Hoffnungen richten sich auch auf
       Thüringens Finanzminister Wolfgang Voß, der bei Vorliegen entsprechender
       Konzepte eine Nothilfe des Landes zugesagt hat.
       
       16 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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