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       # taz.de -- Mollath-Prozess in Regensburg: Richter vor Gericht
       
       > Am fünften Tag des Wiederaufnahmeverfahrens wurden diejenigen befragt,
       > die Mollath 2006 verurteilt haben. Sie zeigen deutliche Gedächtnislücken.
       
   IMG Bild: Auf dem Weg in den Gerichtssaal: Mollath, hier auf einem Foto vom Dienstag.
       
       REGENSBURG taz | Petra Heinemann hat es eilig. Die knallig-bunte Bluse der
       pensionierten Richterin lässt erahnen, wo sie hin will: in den Urlaub.
       Ihren beigen Rollkoffer hat sie schon dabei, als sie den Gerichtssaal
       betritt.
       
       Auch vor acht Jahren, als sie als beisitzende Richterin Gustl Mollath in
       die Psychiatrie brachte, wollte sie schnell in die Ferien. Am fünften
       Prozesstag im Wiederaufnahmeverfahren wird offenbar, dass sie sich damals
       wohl mehr mit der Frage beschäftigte, was sie noch in den Koffer packen
       muss, als mit Mollath.
       
       Allein der Sitzungsplan der Hauptverhandlung vom 8. August 2006 erscheint
       ungewöhnlich – oder mit den Worten Mollaths selbst: „skandalös“. Dreizehn
       Zeugen waren geladen, der erste um 9.45 Uhr, bis 11.45 Uhr sollte alles
       erledigt sein. Nicht mehr als zehn Minuten pro Zeuge nahmen sich die
       Richter also, um herauszufinden, ob Mollath seine Frau schwer misshandelt
       und Autoreifen zerstochen hatte.
       
       Ein durchaus „komplexes Verfahren“ wie Rechtsexperte Ernst Müller sagt.
       Doch Heinemann musste schließlich in den Urlaub, das Gericht sei personell
       überlastet gewesen, es sei eben ein „Massengeschäft“, sagt der damals
       zuständige Staatsanwalt Christian Schorr.
       
       Also diktierte Heinemann den „Urteilsentwurf“ ohne ihn noch einmal
       Korrektur zu lesen, ohne alle Akten zu haben. Sie konnte „nicht nachprüfen,
       wer was gesagt hat“. Heinemann zitiert eine Ärztin, die gar nicht
       vorgeladen war, übernimmt ganze Passagen aus dem Attest, das Mollaths
       Ex-Frau eingereicht hatte als Tatsachen und verwechselt Mollaths Festnahme
       2006 mit der von 2005.
       
       ## Wo war Zeuge Woertge?
       
       Die Reifenstechereien sollen die Fahrer in „gefährliche Situationen“
       gebracht haben, schreibt sie damals. Der Zeuge Woertge habe erzählt, sie
       seien ihm auf der Autobahn bei 200 km/h geplatzt. „Können Sie sich da auch
       täuschen?“ fragt Richterin Escher, denn Woertge war gar nicht geladen. Auch
       der Sachverständige Rauscher bestätigt, dass er im Protokoll kaum Hinweise
       auf gefährliche Situationen finden kann.
       
       Kein unwichtiges Detail. Als allgemeingefährlich wurde Mollath wegen den
       angeblich lebensgefährlichen Reifenstechereien verurteilt, die
       Körperverletzung an seiner Frau Petra M. hätte nicht gereicht. Und auch
       hier fällt Rechtsmediziner Eisenmenger eine „Unlogik“ auf. Heinemann
       schrieb damals, Mollath hätte seine Frau gewürgt bis zur Bewusstlosigkeit
       und dann getreten. Woher wollte die Richterin aber wissen, dass Petra M.
       getreten worden war? Ihre Informationen über die Misshandlungs-Szene bekam
       sie fast ausschließlich von Petra M. „Kann man etwas erinnern, wenn man
       bewusstlos ist?“ „Ich bin keine Rechtsmedizinerin“, entgegnet Heinemann.
       Allerdings Richterin.
       
       Als solche hätte sie nicht nur plausibel argumentieren müssen, als solche
       weiß sie auch, wann es für sie gefährlich wird im Zeugenstand. Dass Mollath
       immer nur von den Schwarzgeldschiebereien sprechen wollte, die sie als Wahn
       abgetan hatte, daran kann sie sich erinnern. Auch, dass er, anders als sie,
       der Auffassung war, „vollkommen normal“ zu sein. Wie sie aber zu dem
       Schluss kam, er sei gemeingefährlich und gehöre in die Psychiatrie? „Ich.
       Weiß. Es. Nicht“, sagt sie immer wieder und betont jedes Wort wie ein
       bockiges Kind.
       
       ## Kein Blick zurück, sie muss zum Flieger
       
       Dass ihr Urteil zum Schluss von allen nur noch als „Urteilsentwurf“
       bezeichnet wird, das stört sie nicht. Auch als Mollath sie – höflich wie
       immer – daran erinnert, dass er in Handschellen im Gerichtssaal sitzen
       musste, verzieht sie keine Miene. Kein Blick zurück auf den Mann, dessen
       Schicksal sie so geprägt hat, als sie den Saal verlässt. Keine Zeit, sie
       muss zum Flieger.
       
       Richter Armin Eberl, der vor ihr vernommen wurde, saß deutlich länger im
       Zeugenstand. Der 54-jährige schlanke, große Mann mit türkisem Hemd hatte
       2004 in der Ausgangsverhandlung angeordnet, Mollath in der Psychiatrie auf
       seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen – gegen dessen Willen.
       
       Die Wahrheitssuche scheitert auch bei ihm an seinen Gedächtnislücken. „Ich
       kann es wahrscheinlich noch eine Stunde probieren und da kommt nichts“,
       sagt Richterin Escher resigniert. Doch dann hebt Mollath die Hand und
       erzählt Eberl die gleiche Geschichte wie vor zehn Jahren. Dass er die
       Rollläden in seinem Haus nicht runterließ, weil er psychisch gestört sei,
       sondern, weil zwei Räume renoviert wurden. Dass Nachbarn beobachtet hätten,
       wie der Bruder seiner damaligen Frau ihn zusammen schlagen wollte und nicht
       umgekehrt. Eberl nickt immer wieder eifrig, deutet mit dem Zeigefinger auf
       Mollath. „Ja, genau“. Wenn es nicht so ernst wäre könnte man sagen, da
       schwelgen zwei in alten Erinnerungen.
       
       ## Pünktlich verjährt
       
       Weniger freundlich läuft die Befragung durch Mollaths Anwalt Strate ab. Er
       liest Eberl einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vor,
       nach dem „eine Unterbringung zur Beobachtung“ nicht erfolgen kann, „wenn
       der Beschuldigte nicht zustimmt“ wie im Fall Mollath. Das sei ihm als
       Jurist nicht bekannt gewesen?
       
       „Mit absoluter Sicherheit nicht“, sagt Eberl. Das ist auch der Grund, warum
       das Ermittlungsverfahren, das Strate gegen ihn eingelegt hatte, abgewiesen
       wurde. Seit letzter Woche muss sich der Richter aber eh keine Sorgen mehr
       machen. Genau zum Prozessbeginn verjährte die ihm vorgeworfene
       Freiheitsberaubung.
       
       Gegen Richter Brixner, der Mollath 2006 gegen seinen Willen einwies, könnte
       allerdings noch ermittelt werden. Ein guter Freund von Mollath hat auch
       schon Strafanzeige erstattet. Kurz war Brixner, der Mollath wie ein
       „Diktator“ zusammengebrüllt haben soll am Freitag schon im Gericht. Gesehen
       haben sich die zwei aber noch nicht, die Vernehmung wurde vertagt. Mollath
       findet das gar nicht schlecht. „Herrn Brixner sollte das Gericht viel
       Aufmerksamkeit schenken“, sagt er. Das könnte klappen. Bis jetzt hat noch
       keiner der Richter angekündigt, bald in den Urlaub zu müssen.
       
       11 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lisa Schnell
       
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