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       # taz.de -- Feilschen im Kaufhaus: Am Ende zwinkert die Verkäuferin
       
       > Kann man einen heruntergesetzten Koffer noch billiger bekommen? Wer
       > richtig feilscht, schafft es sogar, dass die Verkäufer beim Sparen
       > helfen.
       
   IMG Bild: Kann man da beim Preis was machen?
       
       BERLIN taz | Kamal M. hat sich in Schale geworfen. Mit schwarzem Hemd und
       grauem Sakko steht der 44-Jährige vor der gläsernen Fassade einer
       Karstadt-Filiale im Süden Berlins. Sein Aufzug ist bewusst gewählt: Er will
       herausfinden, ob man im Kaufhaus feilschen kann. Wichtigste Regel dabei:
       Bloß nicht den Eindruck erwecken, man verwechsle die nüchterne Strenge des
       Kaufhauses mit dem libertären Chaos eines Flohmarkts.
       
       Den Eindruck erweckt Kamal M. ganz und gar nicht, er verschwindet fast in
       der grauen Menge der Kaufhaus-Kunden. Das ist nicht selbstverständlich,
       denn normalerweise ist Kamal M. eine schillernde Figur der Berliner
       Flohmarktszene. Unter der Woche kauft er Stehlampen, Teppiche, Bücher und
       Krimskrams, am Wochenende versucht er seine Ware auf dem Flohmarkt an den
       Mann zu bringen. „Normalerweise kostet dieser Rahmen drei Millionen Euro“,
       ruft er dann etwa, „aber Sie kriegen ihn schon für drei.“
       
       Das Feilschen ist Kamal M. zur zweiten Natur geworden. Er kennt alle
       Kniffe, weiß, wann man Interesse zeigen sollte, wann man besser
       Desinteresse vortäuscht. Es ist ein Spiel – und jedes Spiel hat Regeln. Ein
       guter Händler verliert nie den Respekt vor der Ware, sagt Kamal. Denn die
       hat nicht nur einen Wert, sondern in gewissem Sinn auch eine Seele. Die
       Menschen bauen eine Bindung zu den Dingen auf, behandeln sie wie alte
       Vertraute. Das muss ein guter Händler respektieren. Indem er einen Sinn
       dafür entwickelt, was ein Objekt wert ist, und nicht versucht, den Preis
       über ein faires Maß hinaus zu drücken.
       
       Einer, der so redet, ist Händler mit Herz und Seele. Und mit viel
       Erfahrung. Die will Kamal M. nun nutzen, um rauszufinden, ob man auch im
       Kaufhaus feilschen kann. Denn, auch wenn es kaum einer weiß, das ist
       tatsächlich erlaubt. Im Einzelhandel darf der Verkäufer den Preis
       festlegen, die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers ist eben das:
       unverbindlich. So weit die Theorie. Doch wie sieht es mit der Praxis aus?
       
       ## Nie vor anderen Verhandeln
       
       Versuch Nummer eins: Die Kofferabteilung. „Interesse an der Ware zeigen“,
       sagt Kamal, das ist die erste Regel. Bloß nicht aus Unsicherheit so tun,
       als sei man uninteressiert – oder sich gar herablassend über die Ware
       äußern. Das weckt keine Sympathien, sondern Widerstand. Er nimmt zwei
       Samsonite-Koffer in den Blick. Sie sind bereits von 189 auf 99 Euro
       reduziert, trotzdem versucht er sein Glück. Bevor er die erste Frage
       stellt, zieht Kamal M. die Koffer ein paar Schritte weiter weg, außer
       Hörweite anderer Kunden.
       
       „Man sollte nie vor Dritten verhandeln“, sagt Kamal hinterher. Für den
       Verkäufer käme das einem Selbstmord gleich. Höflich fragt er nun die
       Verkäuferin über die Qualität der Koffer aus, gibt ihr Gelegenheit, ihr
       Wissen zu demonstrieren. Dann wagt er sich vor. Der Koffer sei schon toll,
       aber er hätte ihn doch woanders schon günstiger gesehen. Ob man den Preis
       nicht etwas reduzieren könnte?
       
       Die Wortwahl ist wichtig: Das Wort Rabatt erwähnt er nicht, im Einzelhandel
       spricht man von Preisnachlass oder -reduzierung. Alles andere wirkt
       unseriös – Flohmarkt eben. In diesem Fall bleibt die Verkäuferin dennoch
       hart, sie kennt ihre Ware gut, weiß, dass ein Samsonite-Koffer für 99 Euro
       schon ein echtes Schnäppchen ist. Außerdem: „Es kann sein, dass die Koffer
       woanders noch billiger sind, aber sie müssen unterscheiden, ob sie in
       Europa oder China hergestellt sind.“
       
       Fazit: Ein Misserfolg. Einen ohnehin schon sehr günstigen Samsonite-Koffer
       weiter runterzuhandeln, ist unrealistisch. Der Verkäufer weiß, wie
       attraktiv das Angebot ist. Lieber um Dinge feilschen, die nicht so leicht
       weggehen.
       
       ## Die Autorität des Verkäufers
       
       Versuch Nummer zwei: Die Schuhabteilung. Diesmal feilscht Kamal M. um einen
       Jack-Wolfskin-Schuh. Der ist im Gegensatz zum Schuh daneben noch nicht
       runtergesetzt; er kostet 89,90 Euro. Kamal spricht einen Verkäufer an:
       „Wissen Sie, ich mag keinen Sport, aber meine Freundin sagt, ich bin zu
       dick. Da hab ich mir überlegt, ich fange an zu wandern.“ Der Verkäufer,
       selbst nicht ganz schlank, lächelt verständnisvoll. Diesmal geht Kamal
       direkter vor: „Sie sind der Experte, aber ich finde den Schuh ein bisschen
       teuer. Der andere ist ja auch runtergesetzt. Könnte man da noch was
       machen?“ Er schaut den Mann freundlich an. Der Blickkontakt symbolisiert
       dem Gegenüber, dass man es ernst meint und ihn als Autorität respektiert.
       
       „Man muss dem Verkäufer das Gefühl geben, dass die Entscheidung bei ihm
       liegt“, sagt Kamal M. Und tatsächlich: Er hat Erfolg. Der Verkäufer bietet
       zehn Prozent Rabatt an. Mehr darf er nicht, das ist von der
       Abteilungsleitung so festgelegt. Ausnahmen gibt es nur bei Einzelstücken.
       Kein Problem für Kamal: „Der Schuh ist für mich wirklich etwas ganz
       Besonderes. Vielleicht könnte man ihn deshalb als Einzelstück betrachten?“
       Der Verkäufer lacht. Es bleibt bei zehn Prozent.
       
       Fazit: Beharrlichkeit ist der Weg zum Erfolg. „Man muss wie ein Kind
       fragen“, erklärt Kamal hinterher. „Einfach immer wieder nachhaken, meistens
       gibt der andere dann irgendwann nach.“
       
       ## Zehn Prozent? Reicht nicht
       
       Dritter Versuch: Die Haushaltswarenabteilung. Diesmal nimmt sich Kamal M.
       Zeit, fachsimpelt über Gas- und Induktionsherde. Erzählt der geduldigen
       Verkäuferin, was er alles gerne für seine Freundin kocht. Sie hätten schon
       ein paar Töpfe, wollten sich jetzt aber „verbessern“. Sein Blick fällt auf
       das mehrteilige Koch-Set von Fissler. „Das ist doch sehr schön.“ Mit 299
       Euro allerdings auch außerhalb seiner Möglichkeiten. Ob man da was machen
       könnte?
       
       Die Verkäuferin überlegt ein bisschen. Sie will verkaufen, in die oberste
       Etage schaffen es deutlich weniger Kunden als nach unten. Sie bietet Kamal
       M. eine Kundenkarte an, damit gibt es einen Willkommensrabatt von zehn
       Prozent. Nicht schlecht, sagt Kamal, und wiegt den Kopf. Aber immer noch
       teuer. Könnte es auch ein anderes, günstigeres Kochset sein? Nein, nein,
       nur Fissler – man will sich ja schließlich verbessern.
       
       Die Verkäuferin hat ein Einsehen, sie verschwindet im Lager und kommt nach
       ein paar Minuten mit einem 15-Prozent-Coupon von einer Rabatt-Aktion und
       einem originalverpackten Kochmesser wieder, ebenfalls von Fissler. Man
       könnte fast ein wenig Mitleid bekommen, sie gibt sich solche Mühe. Kamal M.
       sieht das entspannt: „Ein Verkäufer reduziert nur solange, wie es sich noch
       für ihn lohnt.“
       
       ## Nur wer wagt, gewinnt
       
       Mit schwärmerischen Blicken beäugt er noch immer das Set – hach, er weiß
       einfach nicht, ob er sich das leisten kann. Die Verkäuferin zögert, dann
       zwinkert sie ihm verschwörerisch zu. „Ich sag mal so, wenn der Topf einen
       Makel hätte, dann ließe sich da vielleicht noch etwas machen.“ Kamal M. ist
       Experte, Makel findet er sofort. Einer der Töpfe weist zwei Fingerabdrücke
       auf. „Das sieht ja ganz unschön aus“, pflichtet ihm die Verkäuferin bei.
       Noch einmal kriegt Kamal M. zehn Prozent Rabatt. Statt 299 Euro kostet das
       Set jetzt 224 Euro, das Messer gibt es obendrein.
       
       Fazit: Nur wer wagt, gewinnt. Man muss hartnäckig sein, aber wer die Kunst
       des Feilschens beherrscht, kommt auch im Kaufhaus billiger weg.
       
       12 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Ley
       
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