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       # taz.de -- Hackathon „Coding da Vinci“: Wenn der Käfer wieder krabbelt
       
       > Audiodateien seltener Instrumente, alte Atlanten: Was kann man daraus
       > machen? Eine Hackerveranstaltung in Berlin hat viele Beispiele
       > geschaffen.
       
   IMG Bild: Als Roboter wiederbelebt: der „Cyberbeetle“
       
       BERLIN taz | „Wir arbeiten doch nicht mit Hackern zusammen!“ - diese
       Antwort bekam Stephan Bartholmei öfters zu hören, als er Museen und
       Bibliotheken davon überzeugen wollte, [1][beim Hackathon „Coding da Vinci“]
       mitzumachen. Hacker und Museen, die zusammenarbeiten? Genau das wollten die
       Deutsche Digitale Bibliothek (DDB), für die Bartholmei arbeitet, die Open
       Knowledge Foundation (OKFN), Wikimedia und die Servicestelle
       Digitalisierung Berlin (digis) bei Deutschlands erstem „Kulturhackathon“
       erreichen.
       
       Hackathons sind oft nur ein Wochenende, an dem Entwickler intensiv an einem
       Projekt arbeiten – Themen können dabei eine bestimmte Programmiersprache
       oder ein konkretes Ziel wie die Krisenprävention oder die Verbesserung des
       städtischen Nahverkehrs sein. Die Idee dahinter ist, Leute mit
       unterschiedlicher Expertise (Journalisten, User Experience Designer,
       Grafiker, Programmierer, Pädagogen usw.) zusammenzubringen und so innerhalb
       von kurzer Zeit kreative Lösungen für ein Problem zu finden.
       
       Eine konkrete Problemstellung gab es bei Coding da Vinci nicht – die
       Hauptidee war, den Hackern Datensätze aus dem Kulturbereich zu geben und zu
       sagen „Macht was draus!“ Alles ging: [2][ein Zwitscherwecker], den Geweckte
       nur ausschalten können, indem sie den zwitschernden Vogel erraten, ein
       Twitteraccount, der in der NS-Zeit verbotene Autoren und [3][ihre Werke
       twittert] oder eine App, in der man [4][selbst alte Musikinstrumente
       spielen] kann.
       
       Die über hundert Teilnehmer, die bei der Auftaktveranstaltung am 26. April
       dabei waren, konnten unter 16 Datensätzen wählen, und entscheiden, wie sie
       diese nutzen und kombinieren wollen.
       
       ## Käfer zum Leben erweckt
       
       Dabei sah man auch, was der ominöse Begriff „Daten“ ganz konkret bedeuten
       kann: Audio- und Videodateien von Musikinstrumenten aus dem Ethnologischen
       Museum Berlin, eine Liste der zwischen 1938 und 1941 verbotenen
       Schriftsteller und Werke und viele verschiedene Bilder – von
       Grabsteininschriften auf jüdischen Friedhöfen oder alten Atlanten. Ein
       Datensatz beinhaltete Scans der Insektenkästen des Naturkundemuseums
       Berlin, die sich die in Berlin lebende Finnin Kati Hyyppä und ihr Bruder
       Tomi vornahmen.
       
       Sie haben einen der Käfer, der vor allem in Indonesien vorkommt, [5][als
       „Cyberbeetle“] wieder zum Leben erweckt. Bei der Preisverleihung im
       Jüdischen Museum Berlin am 6. Juli krabbelte der elektronische Käfer dann
       auch langsam zwischen Laptops über die Tische – oder tanzte zu einer Musik,
       die Tomi Hyyppä aus Tierstimmen komponiert hatte.
       
       Dass die beiden die Scans aus dem Naturkundemuseum einfach als Vorlage für
       einen Roboterkäfer nutzen konnten, ist keine Selbstverständlichkeit. Unter
       anderem durch die Arbeit der digis und der DDB werden immer mehr
       Museumsbestände digitalisiert und sind teils sogar online einsehbar. Doch
       für eine kreative Weiterverwendung müssen die Museen und Bibliotheken sie
       erst freigeben – und zwar für jedermann.
       
       Das ist ein großer Schritt für Institutionen, die, was die technische
       Entwicklung angeht, oft einige Jahre hinterherhängen. Dazu kam bei vielen
       die Skepsis, als sie den Begriff „Hacker“ hörten – wer würde denen schon
       freiwillig seine Schätze überlassen? Um diesen Zweifeln zu begegnen, haben
       die Organisatoren bereits vor dem eigentlichen Hackathon viel
       Überzeugungsarbeit geleistet. Letztendlich waren die Museumsvertreter schon
       bei der Vorstellung der ersten Ideen davon beeindruckt, wie schnell ein
       Projekt wie Kati Hyyppäs Cyberbeetle Form annahm.
       
       Auch rechtlich ist es nicht einfach, die Freigabe digitalisierter Bestände
       in die Tat umzusetzen, denn meist steht das Urheberrecht einer kreativen
       Weiterverwendung im Wege. „In manchen Institutionen war der Hackathon aber
       auch ein Anlass, sich konkret mit dieser Frage zu beschäftigen“, meint
       Beate Rusch von der digis. Ein Beispiel dafür ist die Berlinische Galerie –
       sie setzte sich für Coding da Vinci mit einer Fotografin in Verbindung, die
       vor fünfzig Jahren Bilder von Berlin rund um den Alexanderplatz gemacht
       hatte. Der Aufwand hat sich gelohnt: Der Programmierer Erik Woitschig hat
       die Bilder in einer Webapp in eine Karte von Berlin integriert und die
       Fotos selbst nachgestellt, sodass man die Veränderung der letzten 50 Jahre
       direkt nachvollziehen kann.
       
       ## „Man bekommt eine Art Tunnelblick“
       
       Dass die Organisatoren noch auf relativ viel Skepsis gestoßen sind, hängt
       auch damit zusammen, dass „Open Data“, oder „offene Daten“ in Deutschland
       noch keine sehr lange Geschichte haben. Erst in den letzten Jahren hat das
       Konzept sich verbreitet. Die Grundidee: Von offen zugänglichen Daten
       profitieren alle. Die Gesellschaft, die Zugang zu mehr Informationen hat
       und diese nutzen kann, aber auch diejenigen, die die Daten freigeben. Denn
       wenn Informationen frei verfügbar sind, so die Theorie, können andere
       Menschen sie auf oft ungeahnte Weise nutzen und kombinieren, zum Wohl der
       Allgemeinheit und der Datengeber.
       
       Bei Coding da Vinci hat das auch in der Realität ganz wunderbar geklappt:
       Nachdem sie ihre Datensätze vorgestellt hatten, konnten die
       Museumsvertreter sich zurücklehnen und über die Kombinationen staunen, die
       entstanden. „Man bekommt schon eine Art Tunnelblick, wenn man sich
       jahrelang mit seinen Exponaten beschäftigt“, sagt Verena Höhn, die sich in
       der Musikethnologie-Abteilung des Ethnologischen Museums mit der
       Digitalisierung von Instrumenten beschäftigt.
       
       Besonders beeindruckt hat sie eine Spieleapp für Kinder: Die App bietet
       ihnen eine bunte Waldbühne, auf der sie aus Tierstimmen vom
       Naturkundemuseum Berlin und Instrumenten aus aller Welt vom Ethnologischen
       Museum ein eigenes Orchester zusammenstellen können. „Darauf wäre ich
       selber nie gekommen“, sagt Höhn.
       
       ## Frische Brise fürs Museum
       
       So profitieren die Museen auch von einer frischen Herangehensweise an
       Exponate, die teils seit Jahrzehnten auf die gleiche Weise präsentiert
       werden. Stephan Bartholmei von der DDB findet, dass Coding da Vinci Museen
       und Bibliotheken so eine sehr gute Möglichkeit gibt, ein bisschen mit der
       Zeit zu gehen – die Vorstellung, dass ein Onlineportal ausreiche, um Daten
       für die Öffentlichkeit bereitzustellen, hält er für veraltet: „Internet
       findet jetzt auf dem Smartphone statt, gerade bei der jüngeren Generation,
       und die kann man nicht einfach verlieren.“
       
       Diese Erkenntnis haben die beteiligten Kulturinstitutionen direkt
       umgesetzt: Nachdem viele Entwickler sich bereits während des Hackathons an
       die Museen und Bibliotheken gerichtet haben, wollen die nun einige
       Ergebnisse in ihre Ausstellungen einbinden. Vielleicht kann man also schon
       im Ethnologischen Museum mit seinem Smartphone die ausgestellten
       Musikinstrumente scannen – und sich dann direkt auf dem Handy [6][eine
       indonesische Gleitrassel] vorspielen lassen.
       
       9 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://codingdavinci.de/
   DIR [2] http://www.farbtrommel.de/zwitscherwecker/
   DIR [3] http://www.twitter.com/lebendigeliste
   DIR [4] http://ethnoband.thomasfett.de/
   DIR [5] http://katihyyppa.com/cyberbeetle/
   DIR [6] http://mcrumbs.com/portfolio/soundwall-app/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharin Tai
       
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