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       # taz.de -- Japanischer Polizeithriller: Eine fein ziselierte Maschinerie
       
       > In Takashi Miikes „Die Gejagten“ muss eine Polizeieinheit einen
       > Kindsmörder vor einem Lynchmob bewahren. Trauen kann sie dabei niemandem.
       
   IMG Bild: Jeder ist auf sich allein gestellt.
       
       Um 2000, während eines kurzfristigen Programmkino-Booms rund um das
       asiatische Kino, galt der in Fassbinder-Hochfrequenz Filme auf den Markt
       schleudernde japanische Regisseur Takashi Miike mit Filmen wie etwa
       „Audition“, „Fudoh“ und „Ichi – The Killer“ als Experte für alles grob
       Gemanschte. Seine ästhetische Domäne war dementsprechend die Nahaufnahme,
       oft schon aus Budgetgründen.
       
       Seitdem ist der einstige Tabubrecher wenigstens zeitweise zum Klassizisten
       gereift, dem man sehr selbstverständlich auch große Mainstreamproduktionen
       mit weit ausladendem epischen Bogen und prächtigen Panoramaaufnahmen
       anvertraut. Auch die großen Festivals interessieren sich seitdem mit
       Nachdruck für ihn: Sein existenzialistischer, zwischen wuchtig erzählter
       Actionoper und intensivem Kammerstück changierender Polizeithriller „Wara
       no Tate – Die Gejagten“ lief 2013 im Wettbewerb um die Goldene Palme in
       Cannes.
       
       Was der durchaus und im besten Sinne slick anzusehende Film auf Texturebene
       an früheren, grotesken Miike-Exzessen vermissen lässt, verschiebt er in
       Form eines moralisch-gesellschaftlichen Dilemmas in den
       zwischenmenschlichen Bereich: Ein Milliardär setzt via Internet-Botschaft
       ein immens hohes Kopfgeld auf einen überführten Kindsmörder aus – und macht
       damit aus einer ganzen Nation einen von Smartphone-Apps über den aktuellen
       Aufenthaltsort des Verbrechers stets bestens informierten Lynchmob im
       Blutrausch.
       
       Einer kleinen Polizeieinheit obliegt es nun, den Verbrecher quer durchs
       empörte Land zu bugsieren. Die Verlockungen des großen Geldes und
       Verdächtigungen der Kollegen plagen die zwischen Pflichtbewusstsein und
       offenem Verdruss über die Natur ihres Auftrags agierenden Polizisten nicht
       nur intern: Schnell erweist sich, dass in Krankenhäusern und im
       Polizeiapparat keinem zu trauen ist.
       
       Eine fein ziselierte, einmal in Gang gesetzt, ihr Programm sehr konsequent
       abspielende Maschinerie hat Takashi Miike hier entworfen, der eine in ihren
       extremen Spitzen vielleicht unglaubwürdige, aber filmisch höchst effektive
       Konstruktion zugrunde liegt. Bei aller Parteinahme für den Rechtsstaat, der
       auch den schlimmsten Verbrechern noch den Schutzraum von Menschenrechten
       und gesellschaftlicher Fairness zugesteht, ist der angeschlagene Grundton
       doch pessimistisch: Wie einer Gesellschaft trauen, deren Institutionen, die
       sie sich zu ihrem eigenen Schutz errichtet hat, schon binnen kurzem
       hoffnungslos in sich zusammenbrechen?
       
       Wenn Hunderte Polizisten den Gefangenentransport beschützen sollen, dann
       kennzeichnet der Film vor allem jene Meute an schwer bewaffneten – und
       unterbezahlten – Männern als Hort der diffusen Bedrohung: Jeder einzelne
       könnte es sich just anders überlegen und seine Waffe im eigenen Interesse
       nutzen.
       
       Eine tiefe Skepsis gegenüber den zivilisierenden Mechanismen zieht sich
       durch diesen Film. Dass diese nicht nur dem filmischen Effekt zuarbeitet,
       sondern sich tatsächlich auch als Kommentar verstehen lässt, rückt den Film
       in die Nähe der großen Paranoia-Thriller und macht dessen Stärke aus.
       
       9 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Groh
       
       ## TAGS
       
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